EXODUS: Neue Geschichte über eine junge Kolonie der Menschen

Emanuela (24. Oktober 2024 11:12 )
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Am Rande des Hörbaren


Nicht alle Archenschiffe sind gleichzeitig in Centauri eingetroffen und nicht alle hatten den gleichen Erfolg, eine Siedlung zu gründen. Die, die damals zuerst eintrafen – wir bezeichnen sie heute als Celestials – waren nicht immer die wohlwollendsten Gastgeber. Manchmal tolerierten sie die Menschen, die Jahrhunderte, oder sogar Jahrtausende später kamen. Oft versklavten sie uns oder beuteten uns aus. Es kam auch vor, dass sie uns ignorierten. In ganz seltenen Fällen schienen sie uns sogar zu helfen.

Doch trotz unseres gemeinsamen Ursprungs, haben sich die Celestials in etwas Übermenschliches entwickelt, etwas Unmenschliches. Sie sind keine Verbündeten. Sie sind nicht unsere Freunde. Es ist das Beste, wenn man sie möglichst schlicht meidet. Siedle auf Welten, die die Celestials verlassen oder ignoriert haben. Planeten, auf denen junge Kolonien der Menschen die Chance haben, aus eigener Kraft aufzublühen.

Doch wenn man eine dieser seltenen, unbeanspruchten Welten findet, muss man sich unweigerlich fragen: Warum ist hier noch niemand?

Am Rande des Hörbaren

„Ich sehe, was das Problem ist“, sagte Ollie. „Ich sehe das Problem aber nicht.“

Steven sah ihn schräg an. „Was?“

„Na ja ... im Nukleus einiger dieser Zellen ist irgendetwas durcheinander geraten. Zuerst scheint es zufällig zu sein, aber es folgt einem ... Muster.“

„Ich sehe es nicht. Ich sehe nur eine Kartoffel“, sagte Steven. „Und das heißt, dass es das Problem von Ag Sci ist und nicht von Gene Tech.“

„Na ja, also die Gene der Kartoffel.“

„Weißt du eigentlich, wie einfach Ag Sci es hier auf diesem Planeten haben?“ Stevens Monolog nahm an Fahrt auf. „Klar, Sauerstoff ist noch Mangelware. Noch weitere fünf Generationen, bis unsere kleinen extremophilen Käfer genug produzieren, damit man seine Kartoffeln draußen anpflanzen kann. Aber wir haben acht Zehntel Schwerkraft. Temperaturen wie an einem sonnigen Tag in Nebraska. Unendlich weites Flachland, Ollie. Unendlich weites Flachland voller Staub, der so voll mit Kohlenwasserstoffen ist, dass man ihn als Erde bezeichnen kann, aber ohne die Viecher, die dir sonst deine Kartoffeln wegfressen. Stell hier doch einfach eine Kuppel auf und pump ordentlich Sauerstoff rein. Die Mutter Natur der Alienwelt hat das Schwierigste doch schon erledigt. Und weißt du was? Die kriegen es sogar hin, Kartoffeln kaputtzumachen! Und irgendwie ist das dann wieder unser Problem.“

„Sie sind im Inneren einfach kaputt“, sagte Ollie verwundert und sah sich die nächste Mikroaufnahme mit durcheinander gewürfelten Basenpaaren an. Und theoretisch steckt in diesem Durcheinander der genetische Code, der eine Kartoffel wachsen lässt, aber niemand hat die Puzzleteile zusammengesetzt. „Hast du die Neuigkeiten aus der Teratologie-Abteilung gehört? Bei vielen Leuten sind Tumore aufgetreten.“

„Kartoffeln!“, rief Steven. „Ich meine, sie sind doch einfach das typische Weltraumfutter, oder? Jeder Trottel, der es geschafft hat, irgendwo alleine zu stranden, kann doch Kartoffeln anbauen. Du kennst doch den alten Film, Ollie, oder? Wo der Astronaut Kartoffeln anpflanzt? Wie hieß der noch ...?

„Space-toffel?“

„Space-toffel. Genau. Aber jetzt sitzen wir hier mit den besten Grundvoraussetzungen, die uns das Universum nur geben konnte, und die Luftnummern bei Ag Sci kriegen es nicht mal hin ...“

Ollie hörte schon gar nicht mehr zu. Jedes neue Bild schien sich in seinen Verstand hineinzubohren. In der Verteilung der geschädigten Kartoffelzellen gab es mehr als nur ein Muster. Es war eine Nachricht. Er hatte sie schon einmal gehört, gerade als er einschlief. Eine Stimme, die ihm kaum hörbar etwas zuflüsterte ... furchtbare Dinge, unglaubliche Dinge. 

„Steven“, sagte er mit klappernden Zähnen. „Hörst du das?“

Steven war immer noch dabei, sich über die Unzulänglichkeiten von Kartoffelbauern zu beschweren.

Ollie machte ein Geräusch. Es sollte eigentlich ein Wort sein, aber es wurde zu einem kehligen Brummen tief in seiner Brust.

„Was?“, fragte Steven, dessen Schimpftirade unterbrochen wurde. „Ollie, du hast da gerade was rausgewürgt ... Verdammt, Alter, das sieht aus wie eine halbe Lunge.“

Ollie drehte sich zu ihm und er spürte, wie ihm das Blut zwischen die Zähne und über das Kinn lief. „Ich ... höre ...“, gurgelte er. Und er hörte es tatsächlich und wollte sichergehen, dass Steven es auch hörte, aber Stevens Ohren schienen das Geräusch nicht richtig wahrzunehmen, weshalb er sich einen anderen Weg überlegen musste, es Steven in den Schädel zu hämmern. Er sprang vor und spürte, wie sich die Kehle seines Kollegen zwischen seinen Fingern wand. Er riss seinen Kiefer weit auf, um Stevens Fleisch beißen zu können.

Die Aufnahme war so schockierend, dass es im ganzen Raum ganz still wurde. Ein Mann, der sich ohne Vorwarnung wild wie ein Kannibale auf seinen Kollegen stürzt, als hätte er den Verstand verloren. Oder scheinbar ohne Vorwarnung. Die Autopsie der beiden Männer – denn Ollie hatte es geschafft, Stevens Kehle aufzureißen, bevor jemand einschreiten konnte – zeigte Hinweise auf den wahren Mörder.

Die leitende Ärztin Dalina Vael begann, ihre Ergebnisse auf den Bildschirmen der Arche und dem Führungsschiff der Zivilisten, die sich versammelt hatten, zu präsentieren.

„Ein katastrophaler Zusammenbruch der interzellulären Strukturen hat sich im ganzen Körper ausgebreitet“, erklärte sie. „Wir haben bereits zuvor ähnliche Vorgänge beobachten können, allerdings in früheren Phasen. Mr. Ollie wies mehrere Symptome auf, die er untersuchen lassen wollte, aber die Schäden erstreckten sich nicht auf die wichtigsten Organe, also befand er sich weiter unten auf der Warteliste. Wir haben ihn nicht behandeln können, bevor es sich auf sein Gehirn ausbreitete.“

„Es?“, fragte jemand fordernd. „Da draußen lebt nichts. Nicht mal auf mikroskopischer Ebene. Und wir haben die Quarantänevorschriften genau eingehalten. Alles wird überwacht, verstrahlt, gescannt, ausgesiebt ... Wie kann es da also ein „es“ geben?“

Jemand anderes rief: „Wie heilt man es?“

Doktor Vael stand einfach nur da, fummelte an ihrem Bildschirm herum und ihr Mund zuckte nervös.

„Doktor?“, hakte der Kapitän der Arche nach. „Wenn es sich um einen biologischen Erreger handelt, der mit unserem Körper interagiert, wie können wir den dann übersehen haben? Wie machen wir ihn sichtbar?“

„Es ist kein biologischer Erreger“, antwortete Vael forsch. „Tatsächlich hat es so lange gedauert, herauszufinden, um was es sich handelt, da wir von einer biologischen Ursache ausgingen. Wir sahen schwache Symptome wie sterbende Feldfrüchte und wir wurden krank ... und jetzt das. Aber was Ollie gesagt hat, hat mich endlich auf die richtige Spur geführt. So wie Steven vor sich hin flucht, kann man es kaum verstehen. Er hat gefragt, ob er etwas gehört habe. Und natürlich haben wir uns daraufhin seine Ohren angesehen, aber keine Infektion entdeckt. Die Schädigungen sind dort kaum zu sehen, aber ... Ein Mitglied des Teams der Geophysik hat über akustische Halluzinationen geklagt. Ein konstantes Brummen, wie ein vibrierender Tinnitus. Wir haben ihm gesagt, dass es dafür keine Ursache gibt, dass er es sich einbildet. Er hat uns nicht geglaubt. Er hat ein Teil des Erdbeben-Kits wiederverwertet. Und er hatte recht. Es war nicht nichts. Und jetzt befindet er sich wegen akuten Leberversagens in Behandlung. Aber wir haben seine Testergebnisse.“

„Ist es ein Silikat? Irgendeine geologische Mikrostruktur?“, unterbrach sie jemand. „Es kann ja nichts so Kleines sein, dass es unbemerkt an unseren Filtern vorbeikommen würde?“

„Das nicht“, sagte sie geduldig. „Es ist ... der Planet. Also nichts Kleines, ganz im Gegenteil. Etwas sehr Großes.“

„Der Planet macht die Leute krank?“, rief der Kapitän höhnisch aus.

Das war zumindest genug, um für etwas mehr Ruhe zu sorgen, seit sie Ollies Anfall gesehen hatten.

„Ich möchte euch etwas fragen“, sagte sie. „Hat irgendjemand von euch ein Geräusch gehört? Gerade so, kaum wahrnehmbar? Wenn es nachts ganz still ist. Wenn ihr alleine seid. Und ihr bemerkt, dass es immer da ist, so leise, dass man es die meiste Zeit nur nicht hört? Ein Pfeifen, ein Summen oder ein Brummen? Ich schon.“ Und sie blickte in ihre Gesichter, manche zuckend, manche ganz still. Aber niemand wollte etwas zugeben. „Wenn ihr nichts sagt, weil ihr Angst habt, erkrankt zu sein, solltet ihr wissen, dass das Hören eines solchen Geräuschs erst mal nur bedeutet, dass eure Ohren besser auf bestimmte Frequenzen eingestimmt sind. Jedes Lebewesen hier wird davon beeinflusst. Jede Pflanze, die wir hier kultivieren. Jedes menschliche Wesen.

„Ist es ein Angriff?“, wollte jemand wissen.

„Nicht mal das“, sagte sie. Denn ein Angriff wäre etwas Greifbares, etwas auf menschlicher Ebene. „Es ist einfach der Planet“, sagte sie hilflos. „Tektonische Bewegungen, die in der Tiefe stattfinden und eine konstante harmonische Vibration erzeugen, wie sie auf der Erde nicht vorkommt. Es schüttelt unsere Zellen auseinander, beim Nukleus angefangen. Die Muster, die Ollie beobachtete, spiegeln die Wellenbewegungen des Geräusches wieder. Es passiert in uns allen. Wir sind alle daran erkrankt.“

„Wie kriegen wir das wieder aus uns heraus?“, fragte der Kapitän fordernd.

„Gar nicht“, antwortete sie. „Es ist kein Keim, kein Toxin und auch keine Strahlung. Es ist eine Vibration, die sich auf den ganzen Planeten bezieht. Und das bedeutet, dass wir hier weg müssen, auch wenn so viele andere Aspekte einfach perfekt für unser Leben hier wären. Es ist eine tote Welt. Und wenn wir bleiben, wird sie auch uns in den Tod singen.“



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