X-Men Legends 2 - Rise of Apocalypse

X-Men Legends 2 - Rise of Apocalypse

(Activision)

geschrieben von Matthias Lanwehr

 

Mit "Baldur's Gate - Dark Alliance" wurde seinerzeit der Action-Haudrauf-Marathon für Konsolen wiederbelebt. Nachdem die Black Isle Studios ihrerseits gezeigt haben, wie ein wirklich gutes, kurzweiliges Hack-and-Slay-Intermezzo auszusehen hat, haben sich auch andere Entwickler am Diablo-inspirierten Gameplay versucht. Klar, dass bei einer solchen Gelegenheit viele mehr oder weniger gute Klone zum Zug kommen. Einer der positiveren Vertreter der Zunft war "X-Men Legends", das Ende 2004 für alle aktuellen Konsolen erschienen ist. Jetzt wagt Activision mit der Fortsetzung auch den Angriff auf den gemeinen PC-Spieler, und gerade dieser darf sich über eine ziemlich aufgepowerte Version der sympathischen Mutanten freuen.

Story

Viel zu lange war es still im Heldenuniversum. Nachdem der Serie ewiger Lieblingsfeind Magneto am Ende des ersten Teils richtig auf die Mütze bekommen hat, kehren die Wunderkinder in ihr Internat zurück. Als sich ein Großteil der X-Men kurze Zeit später auf einer Routinemission befindet, passiert genau das, was eigentlich immer passiert, wenn man die Deckung fallen lässt: Professor Xavier, geistiger Führer und Gründer der X-Men, wird entführt. Schuld daran ist Apocalypse, ein Mutant, der lieber seine eigene Weltordnung schaffen möchte, als sich den Helden oder der Bruderschaft, welche von Magneto angeführt wird, anzuschließen. Und da beide Fraktionen die Gefahr des neuen Supermutanten, der mit seinen Gefangenen alles andere als zimperlich umgeht, erkennen, tun sie etwas, das jedes Fanherz höher schlagen lässt: Sie vereinbaren einen kurzfristigen Waffenstillstand und retten Professor Xavier bereits im Vorspann gemeinsam. Noch ein Hinweis an treue X-Men Leser: Die zeitliche Ansiedlung der Geschichte ist relativ frei, so braucht nicht befürchtet zu werden, plötzlich über ein Storydetail zu stolpern, das man noch gar nicht wissen wollte. Sämtliche Anspielungen beziehen sich auf Hintergründe der Mutanten, die weitläufig bekannt sind.

Gameplay

Das Beste gleich zuerst: die PC-Version ist den Konsolen in Sachen Inhalt um eine Mutation voraus. Diese beinhaltet nämlich nicht nur fünf spielbare Mutanten (drei davon erst nach einmaligem Durchspielen) und einige Level mehr, ebenfalls kann man sich mit anderen Spielern über das Internet prügeln, was zum Beispiel in der GameCube-Version nicht möglich ist. Sonst erwartet den Spieler eine Schnetzelorgie nach dem Motto "weniger-ist-mehr". Wie im ersten Teil sieht der Spieler sein Team aus maximal vier guten oder bösen Helden aus der Vogelperspektive und verprügelt alles, was ihm im Weg steht. Wenn ein Gegner durch die Luft segelt, kommt die besonders vielfältige, interaktive Umgebung zum Einsatz. Das komplette Mobiliar darf auseinander genommen werden, so bersten zum Beispiel Rohre und Hydranten unter dagegen geschleuderten Gegnern. Gesteuert wird jeweils nur ein Charakter mit einem Gamepad oder einer Kombination aus Maus und Tastatur, allerdings ist per Tastendruck jederzeit ein Wechsel zu einem anderen Mitstreiter möglich. Wer die Wahl hat, sollte allerdings unbedingt zum digitalen Steuerkreuz greifen, da der schnelle Charakterwechsel, die präzise auszuführenden Teamattacken und die ganz normalen Rangeleien zwischendurch innerhalb einer halben Stunde zu gemeinen Fingerkrämpfen oder einfach nur Verwirrung sorgen. Die Steuerung ist zwar frei konfigurierbar, trotzdem sind einfach zu viele Tasten mit zu vielen unterschiedlichen Aktionen belegt. Ebenso empfiehlt sich ein Gamepad mit sowohl analoger als auch digitaler Steuerung, damit eins der Kreuze zum Lenken und eins zum Charakterwechsel, ganz nach Konsolenvorbild, verwendet werden kann.

Wie bei anderen Action-Prüglern gibt jeder vermöbelte Gegner vor seinem Ableben ein paar Erfahrungspunkte an das Team ab. Sobald eine gewisse Anzahl erreicht wurde, steigen die Charaktere einen Level auf und dürfen ihre individuellen Superkräfte ausbauen. Öffnet man das Charaktermenü, macht sich auf den ersten Blick eine große Auswahl breit. Die Möglichkeiten reichen von den Grundausführungen "Stärke" und "Resistenz" bis zu komplexen Mutationen, die zum Teil einen bestimmten Level und vorher erworbene Attribute voraussetzen. Leider ist es bei der Weiterentwicklung der Charaktere nicht möglich, den gesamten Fertigkeitsbaum zu benutzen, so gibt es zum Beispiel keine Mutanten-übergreifende Kräfte. So schön es auch wäre, Rouge mit Wolverines Krallen oder Storm mit Nightcrawlers Teleportationshopsern auszurüsten, haben die Entwickler auf derart abgedrehte Kombinationen den serieninternen Logikdaumen drauf. Trotzdem sind die Möglichkeiten, um sauer erprügelte Erfahrungspunkte in lohnende Mutationen umzusetzen, mehr. Dabei wird eine Planung ab der ersten Levelsteigerung empfohlen, da die Möglichkeiten zu vielfältig sind, um sie bis zum Ende des Spiels vollständig ausschöpfen zu können. So hat zum Beispiel Jean Greys rosa Psychowelle auf der ersten Stufe ungefähr die Wirkung eines Föns, mit der Steigerung der Spezialkraft stellt ihre Attacke aber so manches Team in den Schatten, obwohl diese komplette Teamattacken ausführen können. Stimmt das Timing während der Prügelei, lassen sich vernichtende Super-Attacken-Combos mit mehreren Teammitgliedern ausführen. Diese wurden im Gegensatz zum ersten Teil überarbeitet und bieten, wie das Charaktermenü, eine breite Einsatzmöglichkeit, die je nach Teamkombination unterschiedlich ausfällt.

Die abwechslungsreichen, teils sehr großen Level, lassen das Geprügel in den ersten Stunden sehr kurzweilig erscheinen, später stellt sich der größere Inhalt gleichzeitig als Fluch und Segen heraus: Die für dieses Genre recht hohe Spielzeit von 20 bis 25 Stunden wird mit einigen Füllern gestreckt, die zwar in die Handlung eingebettet sind, zum Teil aber recht weit hergeholte Begründungen für die Einsätze präsentieren. Da kommt die ein oder andere Pause ganz gelegen, sonst wird der X-Men-Einsatz zur Rettung der Menschheit schnell zum stiefmütterlich behandelten Zeitvertreib für zwischendurch. Sammler und Fans der Serie werden großzügig von den zusätzlichen Extras wie Covern von X-Men Comics, Sammelbildern, Filmen und ähnlichem versorgt, die sich in versteckten Gebieten der weiten Spielwelt finden lassen wollen. Ebenfalls ist das beliebte X-Men Quiz aus dem ersten Teil zurück, bei dem aber nur Fans der Serie wirklich auf Anhieb Erfolg haben dürften. Allen anderen, selbst Kennern der Filme, dürften Begriffe wie "Dead Zone" und "Planet M" bzw. Fragen zur Biografie eines X-Man wenig sagen. Kenner der Serie haben ohnehin einen Vorteil, da im Spiel viele Anspielungen auf Ereignisse und Beziehungen der Charaktere untereinander vorkommen, die an einem Comicmuffel spurlos vorbeiziehen.

Netterweise wurde die interne Superhelden-Logik nicht nur bei der Vergabe der speziellen Kräfte konsequent durchgezogen: So ändern sich, je nach Teamzusammenstellung, nicht nur stellenweise die Dialoge, es ist zum Beispiel auch möglich, am Anfang des Spiels den Kampf mit einem Miniboss zu umgehen, indem man ihm klarmacht, dass er sowieso keine Chance gegen das Mutantenteam hat. Dabei kommt es aber ganz auf die Wahl des Anführers an. Verhalten sich die drei KI-gesteuerten Mutanten im Spiel selbst ab und zu ein bisschen dämlich und steuern gerne mal Ecken an, aus denen sie ohne Hilfe nicht wieder herauskommen, darf beim Online-Spiel jeder Mitstreiter eine der vier Positionen selbst belegen und sich mit seinen Kumpeln und stark ansteigendem Spielspaß in die mutierte Massenschlacht stürzen. Dabei gibt es nicht nur die Möglichkeit, die Story noch einmal, ohne in Ecken stecken zu bleiben, zu spielen, sondern in Professor Xaviers Gefahrenraum darf man Herausforderern mal so richtig den Hintern versohlen.

Grafik

Im Gegensatz zum ersten Teil hat sich so gut wie nichts geändert. Einige Details wurden etwas aufpoliert, die Bosse sind größer, gefährlicher und imposanter, die Entwickler bleiben aber bei dem bewährten Cell-Shading-Look, anstatt Verschlimmbesserungen einzuführen. Da es sich scheinbar um die Verwendung der bereits für die für Konsolen genutzte Engine handelt, sollte man keine großen Sprünge in Sachen Schönheit erwarten. Leider verliert die Superhelden-Combo dadurch den optischen Vergleich gegen andere Vertreter ihrer Art, zum Beispiel den zur gleichen Zeit erschienenen "Ultimate Spiderman", dessen Anblick deutlich besser geworden ist. Gut gelungen sind dagegen die actiongeladenen Zwischensequenzen, die nicht nur technisch gut aussehen, sondern auch jede Menge Materialschlacht, Explosionen und detailgetreue Charaktermodelle bieten. Ebenfalls gefallen die netten Effekte während den Schlachten, die von Storms Blitzgewitter bis zu den bildfüllenden Teamattacken mit Transparenz und Dynamik aufwarten können.

Sound

Die Musik hält sich zwar dezent und subtil im Hintergrund, wird ihrem Zweck aber sehr gerecht. Hochwertige Synthesizer tragen stark zur Bildung einer ganz eigenen Atmosphäre bei, auch wenn es erst nicht auffällt. Sämtliche Dialoge wurden ins Deutsche übersetzt und mit deutschen Sprechern vertont. Diese haben eine gute Arbeit abgeliefert, zum Teil klingen Gespräche zwar sehr dramatisch, dafür fügen sich alle Beteiligten gut in ihre Rolle. Ein deutlicher Pluspunkt gegenüber dem ersten Teil sind die dieses Mal vertonten Gespräche mit Nebencharakteren, die einen lebendigeren Eindruck vermitteln als einfach nur zwischendurch eingeblendete Textboxen. Allerdings stellen die Sprecher der englischen Version ihre deutschen Kollegen allesamt in den Schatten, da hier echte Profis ans Werk gelassen wurden: Patrick Steward übernimmt ein weiters Mal die Rolle von Professor Xavier und selbst die Nebenrollen stimmen bis ins kleinste Detail. U. a. wird der Charakter "Juggernaut" von niemand anderem als John DiMaggio, der amerikanischen Stimme von "Bender" aus "Futurama" und "Wakka" aus "Final Fantasy X" gesprochen.

"X-Men Legends 2 - Rise of Apocalypse" ist alles in allem ein würdiger Nachfolger des ersten Teils. Obwohl es eher den Anschein eines Add-ons hat und grafisch mit neueren Titeln gerade auf PCs nicht mithalten kann, bietet das Spiel noch genug Ansätze, um Fans und Neueinsteiger gleichermaßen zu fesseln. Die zusätzlichen Level und Mutanten allein bieten einen großen Anreiz zum erneuten Durchspielen, da spätestens ab der Hälfte des Spiels immer dieselbe Mutantenkombination gewählt wird. Schuld daran haben ganz einfach die vielseitigen Entwicklungsmöglichkeiten der Charaktere, über die man sich mit einem eingespielten Stammteam einen besseren Überblick verschaffen kann, als jeden Mutanten nur ein bisschen zu trainieren. Nimmt man sich zusätzlich noch vor, alle Extras frei zu spielen und sämtliche Mutantenkräfte auszubauen, wird man noch weit über die 20 Stunden Spielzeit beschäftigt sein. X-Men-Fans werden dagegen sofort zuschlagen dürfen. So viel Material und Insider-Seitenhiebe zu den Comics gibt es auf PCs und Konsolen zurzeit nirgendwo sonst.

(18.11.2005)

Entwickler: Raven Software
Publisher: Activision
Genre: Action
Releasedate: Bereits erhältlich
Homepage: X-Men Legends – Rise of Apocalypse
Preis: 44,90 Euro
Altersfreigabe: Freigegeben ab 12 Jahren gemäß §14 JuSchG

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