Sin Episodes - Emergence (Ritual) geschrieben von Bernd Wolffgramm
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Eigentlich sollte "Sin Episodes - Emergence" der erste Egoshooter werden, der im Episodenformat auf den Markt kommt. Geplant sind mehrere Spiele, die nach und nach erscheinen und die letztlich dann zu einem großen Handlungsbogen zusammengefasst werden. Was den Rest der Welt angeht, so hat der Entwickler Ritual das geschafft. Am 5. Mai 2006 erschien das Spiel in den USA und am 29. Mai 2006 in Europa. Und wieso gibt es dann erst Anfang August 2006 einen Test auf DLH.Net? Nun, in Deutschland erinnerte man sich daran, dass der Vorgänger im Geiste, das Originalspiel mit dem Namen "Sin", indiziert ist; und deswegen schaute die USK ganz genau hin und verweigerte dem Spiel einen Freigabestempel, so dass Ritual noch einmal zurück an die Rechner geschickt wurde, um das Spiel an die deutschen Befindlichkeiten anzupassen. Und das hat nun mal volle drei Monate gedauert, und hierzulande war dann Valve mit seiner Episode One von "Half-Life 2" das erste verfügbare Mehrteilerspiel. Seit dem 20. Juli 2006 kann man das Game von Ritual nun im Laden erwerben, und auch der Download-Dienst Steam sperrt User mit deutschen Adressen nicht mehr aus. In dem folgenden Test wird nun beleuchtet, ob die Aufteilung des Spiels gelungen ist und ob "Sin Episodes - Emergence" Lust auf mehr macht. Installation Normalerweise verzichtet DLH.Net auf eine Beschreibung der Installation, es sei denn ... es gibt daran etwas zu kritisieren so wie bei diesem Spiel. "Sin Episodes - Emergence" kommt in zwei Varianten auf den Markt: Entweder man kauft ganz normal die Boxed-Version mit einer DVD - oder aber man bezieht das Game komplett über den Valve-Download-Service Steam. DLH.Net hat die DVD-Version getestet, und da fällt schon jener kleine Vermerk auf der Rückseite der Box auf. Dort ist in etwa sinngemäß zu lesen: "Sie benötigen einen Steam-Account, um dieses Produkt verwenden zu können." Dann steht dort noch etwas von Produktaktivierung und Steam-Abonnementsvereinbarung. Während der Installation meldet man sich dann also bei Steam an und gibt den Aktivierungscode ein, der in der Box liegt und dann kann man loslegen. Pustekuchen! Nach der Aktivierung fängt "Sin Episodes - Emergence" erst einmal an, weitere Daten über Steam herunterzuladen - in einem Statusfenster ist da von 50 MB die Rede, dem Gefühl nach ist es aber wesentlich mehr. Ob man es nun ärgerlich findet, dass man auch für die Offline-Version einen Internetanschluss und dann auch noch einen Steam-Account benötigt, sei jedem selbst überlassen, dass aber noch einmal größere Datenpakete herunterzuladen sind, hätte auf der Box verzeichnet werden müssen. "Sin Episodes - Emergence" ist nun nicht das erste Spiel, bei dem das so ist - "Half-Life-2"-Zocker erinnern sich - und man darf heutzutage davon ausgehen, dass in Deutschland die meisten Gamer breitbandige Internetzugänge haben, aber ein kleiner Hinweis darauf hätte sicher nicht geschadet. Die Sünde lebt Der grobe Handlungsrahmen von "Sin Episodes - Emergence" ist derselbe wie schon im Originalspiel "Sin": Der Kommandant der Elite-Polizei-Einheit HardCops mit Namen John R. Blade macht sich auf, die böse Genetikerin Elexis Sinclaire zu jagen, die die Stadt Freeport mit ihren mutierten Bestien beherrschen will. Sie lässt sich dabei von einem zwielichtigen Typen namens Radek helfen, der für sie die Drecksarbeit macht. Auch nicht mehr ganz neu ist die Idee, dem Helden eine Kollegin namens Jessica zur Seite zu stellen, die ihn vor allem logistisch, aber auch kämpfend unterstützen soll. Und diese Kollegin wird dann auch in der ersten Szene mit großem Getöse eingeführt. Sinclaire und Radek haben John R. Blade irgendwie in die Finger bekommen, ihn auf einem Tisch festgeschnallt und beratschlagen gerade, was sie nun mit ihm machen wollen. Sinclaire hat anscheinend Pläne mit Blade und hält Radek davon ab, ihn einfach in die ewigen Jagdgründe zu schicken. In diesem Moment wird die Tür aufgesprengt, Jessica stürmt in den Raum und verjagt die beiden Bösewichte. Als sie den Polizisten losmacht, stellt sie fest, dass es den beiden Unholden doch noch gelungen ist, Blade irgendeine Flüssigkeit zu injizieren. Es kommt nun zu einem Kampfgetümmel, in dessen Verlauf es Jessica gelingt, Blade zu ihrem Auto und in rasender Fahrt in Sicherheit zu bringen. Sie fährt den Helden zu den Docks der Stadt, wo er sich mit einem Spitzel treffen soll, der Informationen über Radek hat. Und dies ist dann die Stelle des Games, wo der Spieler die Geschicke von Blade übernimmt und ihn von Gefecht zu Gefecht führt, um seine Heimatstadt Freeport zu retten und an ein Gegenmittel für das Gift zu kommen, das in seinem Körper schlummert. Sünden im Spiel Gibt es auf diesem Planeten noch Menschen, die nicht wissen, was ein Egoshooter ist? Das ist doch wohl kaum zu vermuten. "Sin Episodes - Emergence" ist ein reinrassiger First-Person-Shooter, der auf allen überflüssigen Schnickschnack verzichtet. Dem Helden stehen lediglich drei Waffen nebst Handgranaten zur Verfügung, mit denen er auskommen muss. Mit der Pistole, der Shotgun und der Maschinenpistole verfügt Blade über drei Wummen, mit denen er sich zumindest in weiten Teilen des Spiels seiner Haut gut erwehren kann. Alle Wummen verfügen über einen zweiten Feuermodus; besonders interessant ist der Sekundärmodus der Pistole, die eine Art Lähmungsstrahl aussendet, der es auch mit stärkeren Gegnern aufnehmen kann. Das Game verfügt über zwei Spielmodi, nämlich die Episode und einen Arena-Modus; das ist so eine Art Deathmatch für eine Person und ein paar feindliche Bots. Apropos Gegner: Blade hat es im Episoden-Modus mit zwei Arten von Feinden zu tun. Da sind zunächst die Soldaten von SinTek, das ist die miese Firma, in der die Mutationsgifte hergestellt werden. Auf sie trifft der Held in verschiedenen Variationen, es verändert sich im Verlaufe des Spiels vor allem die Panzerung der Feinde. Je später sie im Game auftauchen, desto schwerer sind ihre Rüstungen zu knacken. Die Soldaten benutzen die gleichen Waffen wie Blade, deswegen kann (bzw. muss) er sie als wandelnde Nachschubeinheiten ausplündern. Leider ist die KI der Soldaten nicht wirklich ausgefeilt. Sie gehen zwar ab und zu in Deckung, laufen aber immer dem Helden hinterher und damit auch in die Falle. Dieses Manko versucht das Spiel dadurch auszugleichen, dass die Angriffsfähigkeiten der Bösewichte gigantisch sind: Sie treffen immer. Die zweite Gegnerart sind Mutanten, die eher wie Tiere aussehen als wie Menschen. Sie verfügen über gar keine Fluchtinstinkte und kommen immer auf den Helden zugelaufen. Zusätzlich zu der unausgeglichenen KI wurde im Spiel ein System eingebaut, das eigentlich auf den ersten Blick eine tolle Erfindung ist. "Sin Episodes - Emergence" verfügt über eine adaptive Schwierigkeitsgradanpassung, das sogenannte Personal Challenge System. Während des ganzen Games wird der Spielerfolg des Zockers gemessen und ausgewertet. Diese Daten sind in der Option Statistik im Menü jederzeit abrufbar. Jedes Datum wird dabei gespeichert, zum Beispiel wie oft der Spieler in den verschiedenen Ebenen geschossen und getroffen hat, welche Waffen er benutzt hat, wie genau die Granaten platziert wurden, wie weite Wege er gelaufen ist, wie oft er nachgeladen hat - einfach alles. Daraus ermittelt das Spiel dann den persönlichen Schwierigkeitsgrad des Spielers und passt das Game diesbezüglich an, indem es zum Beispiel die Panzerung der Gegner reguliert oder festlegt, wie viele Hilfen vom Spiel gegeben werden, zum Beispiel, wie viele Munitionslager erscheinen. Das ist eigentlich sehr löblich, nur für gute Spieler heißt das, dass der Schwierigkeitsgrad sehr schnell steigt und dass die letzten Levels wegen der hohen Treffsicherheit der Feinde fast unspielbar werden. Auch für gute Zocker wird das Spiel damit zu einer Orgie aus den Tasten für Quicksave und Quickload. Vor dem ersten Patch der amerikanischen Version haben nur 17 Prozent der registrierten Spieler das Spiel zu Ende gespielt; der eben beschriebene Umstand hat sicher dazu beigetragen. Sündhafte Ausstattung "Sin Episodes - Emergence" wurde mit der "Half Life 2"-Engine realisiert, die zwar schon zwei Jahre alt ist, aber immer noch zum Besten gehört, was man als Entwicklerteam lizenzieren kann. Deswegen kommen dem Spieler viele Effekte und Grafiken bekannt vor, zum Beispiel die Darstellung des Wassers. Auch die Atmosphäre der Levels ist dem Egoshooter-Fan bekannt, denn die "Half Life"-Stadt City 17 und der Ort der Handlung in dieser "Sin"-Episode, Freeport, ähneln sich in Farbgebung und Gebäudestil sehr. Lediglich die handelnden Charaktere und die NPCs erscheinen in "Sin Episodes - Emergence" viel comichafter, so wirkt zum Beispiel Blades Genossin Jessica eher wie eine Figur aus einem Marvel-Comic, während bei ihrem Pendant in Half-Life 2, Alyx, versucht wurde, sie so menschlich wie möglich darzustellen und zu animieren. Ansonsten haben sich die Programmierer alle Mühe gegeben, ein Ambiente zu schaffen, in dem sich der Spieler gern bewegt. Neben den für den Spielverlauf nötigen Gegenständen wurden viele Gimmicks in das Spiel eingebaut, die zum Verweilen einladen. Da wären zum Beispiel viele Telefonzellen - in "Sin Episodes - Emergence" heißen sie ComStations - und man findet sie fast an jeder Straßenecke. überall im Game kann man Telefonnummern aufstöbern, meistens auf Werbeplakaten und diese kann man dann einmal anrufen, wenn man etwas Muße hat. Verbunden wird man immer mit irgendwelchen Telefonansagen von mehr oder weniger zwielichtigen Firmen, die ihre Dienstleistungen anbieten. Da keine dieser Telefonnummern irgendeine Bedeutung für das Spiel hat, sind die meisten das, was man als Easteregg bezeichnen würde. Neben diesen Nummern ist das Game noch voller Anspielungen auf andere Computerspiele (z. B. "Duke Nukem Forever"), TV-Serien (z.B. "Southpark") oder seine eigenen Vorgänger (Bilder von Elexis aus "Sin 1"). Neben solchen grafischen und hörbaren Spielereien sorgt die Physik-Engine des Games dafür, dass sich ziemlich realistisch viele Gegenstände wegtragen lassen. Das ist dann aber manchmal im Spiel auch notwenig, zum Beispiel dann, wenn man eine Tonne genau unter einem offenen Fenster platzieren muss, um seinem Ziel näher zu kommen. Insgesamt gesehen ist der gesamte mediale Teil, also Grafik und Sound, wirklich gut gelungen. Ein kleiner Wermutstropfen sind die Gespräche, die komplett in Englisch gehalten sind; zur besseren Verständlichkeit gibt es aber deutsche Untertitel. Als kleines Bonbon sei noch erwähnt, dass "Emergence" die G-15-Tastatur unterstützt. Emergence vs. Sin Viele der Leser dieses Tests werden vermutlich das Originalspiel "Sin" nicht kennen, sei es, weil sie zu jung sind oder weil das Game nicht mehr zu bekommen ist, da es (immer noch) indiziert ist. "Sin" erschien im November 1998, und im Februar legte Ritual ein spielgleiches Missionspack mit dem Namen "Wages of Sin" nach. Die handelnden Personen waren John R. Blade und sein Operator JC, der mit Blade fast das ganze Spiel darüber diskutierte, wie man denn nun vorgehen sollte. Dabei kam es zu sehr witzigen Unterhaltungen, die den Stil des Games prägten. Nicht zuletzt durch diese Konversationen erreichte das Spiel einen gewissen Kultstatus, und alte "Sin"-Fans waren nun sehr gespannt darauf, ob es den Entwicklern wohl gelingen würde, den Esprit des Originals zu erhalten. Nun, JC ist immer noch da, ab und zu klinkt er sich in die Kommunikationskanäle ein und sagt Blade, was zu tun ist. Nur Blade sagt fast nichts, er ist zum reinen Befehlsempfänger verkümmert. Jessica ist komplett in die Rolle der Entscheiderin und Stichwortgeberin geschlüpft, sie sagt Blade, was er zu tun hat, und er folgt ihren Anweisungen dann auch widerspruchslos. Diejenigen, die sich kleine Diskussionen liefern, sind Jessica und JC, aber die Gespräche haben nicht die Klasse der alten Blade-JC-Konversationen. Das ist sehr schade. Ein weiteres Feature neben den oben schon genannten Eastereggs von "Sin" hat Ritual schön in die Episoden-Welt übertragen: die Secrets. Alle Levels sind gespickt mit Geheimnissen, die es auf dem Weg zur enthüllen gilt. Die Mischung aus einfach zu findenden und fast unmöglich zu entdeckenden Secrets ist gut gelungen und von geheimen Türmechanismen bis hin zu ganzen versteckten Levels ist alles dabei. Diese kleinen Sidekicks lockern das Spiel merklich auf und sorgen auch dafür, dass man über die immer gleichen Ballerhandlungen etwas hinwegsehen kann. Für die Super-Nerds sei es schon mal vorweggenommen: Der Dopefish lebt! Können denn Episoden Sünde sein? Diese Frage wird man sich vermutlich in den nächsten Jahren noch öfter stellen, denn anscheinend haben die Spiele-Publisher das Episoden-Modell dazu ausgewählt, dem Gamer ein paar neue Gegebenheiten unterzujubeln. Da wäre zunächst einmal die Spielzeit einer Episode. Sie ist viel kürzer, aber dafür wird dem Gamer eingeredet, er müsse auch viel weniger bezahlen. Die Entwicklungszeit für ein kürzeres Spiel ist natürlich deutlich geringer und damit kann ein Game günstiger produziert werden. Letztendlich entsteht beim Käufer dann so etwas wie eine Preisillusion, denn schließlich hat er immer noch ein Spiel gekauft, und das war ja viel billiger als andere Games. Eine weitere Facette im Marketing-Mix, die sich mit der Einführung der Episoden ändern wird, ist der Vertriebskanal. Zwar wird z.B. "Sin Episodes - Emergence" auch in einer Boxed-Version verkauft, aber man kann sicher davon ausgehen, dass die Entwickler versuchen werden, in Zukunft die Vertriebsschiene Handel auszuschalten. Dass "Sin Episodes - Emergence" oder auch "Half-Life 2 - Episode One" noch auf DVD verkauft werden, liegt nur an bestehenden Verträgen mit Publishern und daran, dass die Entwickler das Marketing-Netzwerk der Verleger nutzen wollen. Sobald genügend breitbandige Internetleitungen in den Hauptmärkten verfügbar sind, wird das Vertriebsmedium auf Onlineverkauf und Direkt-Download umgestellt. Gerade bei Episoden bietet sich das an, weil man die Käufer eines Spiels kennt und ihnen dann direkt die nächste Folge anbieten kann. Soviel zu den Marketing-überlegungen, die endlos auf weitere Gebiete wie Konsumentenforschung, Werbung, etc. ausgeweitet werden könnten. Inhaltlich birgt die Episoden-Idee für die Games eine große Gefahr: Es muss dem Entwickler gelingen, über alle Episoden einen Spannungs- und Handlungsbogen aufzubauen, der nicht unterbrochen werden darf. Hält ein Teil der Serie nicht mehr das, was sein Vorgänger versprochen hat, dann springen die Kunden ganz schnell ab. Dass gerade "Sin Episodes" auch diesem Problem zum Opfer fallen könnte, zeigt sich bereits in "Emergence". Es gibt nicht wirklich eine Geschichte, man wird ins kalte Wasser geworfen, der Spieler ist bereits mit der ersten Szene inhaltlich überfordert, es sei denn, er kennt das Originalspiel und kann sich so in etwa einen Reim darauf machen, was dort passiert. Nun kann man argumentieren, dass dies bei einem Egoshooter zweitrangig ist, solange eine Shotgun im Game vorkommt. In "Emergence" kommt aber das Gefühl auf, dass es sich um eine Aneinanderreihung von einzelnen Gefechten handelt, und gäbe es nicht die Secrets und Eastereggs, wäre das Spiel einfach nur bockeschwer und langweilig. Man erfährt nichts über Elexis Sinclaire oder Radek, und Jessica taucht wie aus dem Nichts auf. Das Handlungszwischenziel der ersten Episode ist es, Blade zu einem Gegenmittel gegen die verabreichte Spritze zu führen, davon ist nach ein paar Minuten allerdings nicht mehr die Rede. Eventuell gehe ich mit dem Spiel zu hart um, denn eigentlich hat es alles, was ein Egoshooter braucht: Einen Helden, der mit ein paar Wummen loszieht, um seine Heimatstadt zu retten, und ein paar Feinde, die ihn daran hindern wollen. Die Grafik des Spiels stimmt, ebenso der Sound. Was mir als altem "Sin"-Fan aber besonders fehlt, ist die Stimmung, die das Originalspiel zum Kult-Game gemacht hat, und die Tatsache, dass der Held Blade zum Befehlsempfänger verkümmert ist. Es fehlt einfach die Originalität und mir persönlich etwas, das mich in eine freudige Erwartung auf die nächste Episode versetzt. Eines der Probleme dieses Spiels wird es auch sein, dass es wegen der Handlungs- und Personengleichheit immer mit "Half-Life 2" und seinen Episoden verglichen werden wird, und da hat Valve mit seinem Spiel eindeutig die Nase vorn. Ich finde, Ritual hat hier die Chance verpasst, mit "Sin Episodes" in die Oberliga der Egoshooter zurückzukehren. (09.08.2006)
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