Chrome - SpecForce (Koch Media Deutschland) geschrieben von Bernd Wolffgramm
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Im Jahr 2003 erschien mit dem Egoshooter Chrome ein Spiel, das durchweg sehr gute Kritiken erhielt und auch bei den Gamern sehr gut ankam; 500.000 verkaufte Exemplare sprechen hier eine deutliche Sprache. Das polnische Entwicklerstudio Techland hatte es mit innovativen Ideen geschafft, auch ohne großes Marketingbudget einen Bestseller zu schaffen. Wesentliche Merkmale dieses Spiels waren die nicht-geskriptete Handlung, innovative Features wie verschiedene Implantaten wie z.B. Tarnung und Muskelstimulanz oder das Medizin- Einpump-System. Chrome brachte frischen Wind in einen Spielebereich, der im Wesentlichen von Folge-Releases à la Quake 3 geprägt war. Erzählt wurde die Geschichte eines Freelancers, Bolt Logan, der sich im Verlauf des Spiels bei verschiedenen Auftraggebern wie den Firmen Zetrox und CoreTech verdingte und der am Ende des Spiels von seiner hübschen Mitstreiterin überredet wird, sich den Interessen einer kleinen Siedlerkolonie zu verschreiben. Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund heuert Logan nun bei einer Spezialeinheit an, die überall im Universum gegen kriminelle Firmen zu Felde zieht, in diesem Fall die LoreGen Corporation. Super-Burschi rettet die Welt Die Grundzüge der Geschichte sind nicht sehr verschieden von denen, die auch andere Egoshooter erzählen. Ein junger, gut gebauter Adonis zieht los und löst die wichtigsten Probleme des Universums. Dabei bedient er sich eines breiten Waffenarsenals und einer ausgeklügelten Technik, die ihm Vorteile gegenüber dem gemeinen Bösewicht verschafft. Er bekommt von seinem Arbeitgeber, einer Spezialeinheit zur Terrorbekämpfung, eine Panzerung zur Verfügung gestellt, die über hochinteressante Features verfügt. Da wäre zum Beispiel die Tarnung, die es Logan erlaubt, sich bis zu einem bestimmten Grad unsichtbar zu machen und so - ungesehen von neugierigen Augen - durch die Reihen der Feinde zu huschen, jedenfalls so lange, bis die Ortungsgeräte der Bösewichte ihn dann doch erfassen. Ist er dann einmal enttarnt worden, schaltet Logan ein anderes Spielzeug ein, die Muskelstimulanz, die ihm bis zur Batterieneige einen Geschwindigkeitsboost verleiht. Aber noch zwei weitere Features helfen ihm bei der Erledigung seiner kniffligen Aufgaben: der zuschaltbare Schutzschild und das Exo-Skelett. Ersteres schützt ihn vor dem häufig starken Feind-Beschuss, Zweiteres erlaubt es ihm, den Ablauf des Geschehens so zu verlangsamen, dass er alles in Zeitlupe ablaufen sieht und so schneller als die Angreifer zurückschießen kann. Logan macht mobil Neben seinen "Superkräften" hat Logan die Möglichkeit, diverse Fahrzeuge und Mechs zu besteigen und damit einen Vorteil gegenüber seinen Feinden zu erlangen, die meistens mit Schusters Rappen vorlieb nehmen müssen. Möchte er flott von A nach B gelangen, springt er in einen Buggy und ist so nicht nur schnell, sondern auch noch gut bewaffnet, denn die Bordkanone des Buggies ist eine mächtige Waffe. Für die Flucht durch den Urwald benutzt Logan den Speeder, der aussieht wie eine umgedrehte Zigarre. Dieser Gleiter ist zwar nicht mit Waffen bestückt, schlängelt sich dafür aber elegant durch das Dickicht aus Bäumen und Büschen. Ab und zu wird Logan gezwungen, sich gegen eine Übermacht von stark bewaffneten Feinden zu behaupten, dann steigt er in einen von zwei Mech-Typen, die er in den Hangars der LoreGen Corporation finden kann. Da wäre zunächst der wendige Läufer, der aussieht wie ein quer liegendes Ei mit angeschraubten Beinen und der mit einem Bord-MG ausgestattet ist. In den späteren Missionen bedient sich Logan dann aber vor allem des größeren Walkers, der zwar sehr schwerfällig ist, aber dafür mit seinen beiden, raketenbestückten Kanonen alles aus dem Weg räumt, was meint, sich dem unvermeidbaren Sieg des Guten über das Böse in den Weg stellen zu müssen. Gameplay Die Missionen des Spiels sind von den Aufgaben her recht unterschiedlich, wenn es auch in Wirklichkeit immer darum geht, vom Ausgangspunkt zu einem Zielort zu gelangen und dort eine einfache Handlung vorzunehmen. So sind es auch hier die klassischen Aufgaben eines Egoshooters, die erfüllt werden müssen. Es gilt, Bomben zu legen, Viren in Computersysteme einzuschleusen, feindliche Stellungen auszuheben oder befreundeten Einheiten Feuerschutz zu geben. Orientieren kann man sich mit zwei Systemen: Da wäre zum einen das Kompasssystem, auf das der Leitoffizier dem Spieler die Koordinaten einspielt, die er benötigt, um sich in der Wildnis zurechtzufinden. Zum anderen steht eine Karte zur Verfügung, auf der die Ziele noch einmal erklärt werden und deren Erfüllungsort genau markiert ist. Neben dem Ortungssystem sieht der Spieler die FPS-typischen Daten auf dem Bildschirm: die Gesundheit, die Waffen- und Munitionsanzeige sowie die Statusanzeige für die Implantate. Eine Besonderheit des Spiels ist der Rucksack von Logan. In ihm nimmt er alles mit, was er für die Mission braucht oder was er auf dem Schlachtfeld aufsammelt. Doch im Gegensatz zu anderen Egoshootern ist die Kapazität des Rucksacks nicht endlos groß. SpecForce ist also kein Spiel, in dem man ständig zwischen Dutzenden von Wummen hin- und herschalten kann, sondern es stehen Logan nur die Waffen zur Verfügung, die Logan gerade in seinem Rucksack hat. Der Platz des Rucksacks ist sehr eng bemessen. Neben einer Pistole (die kaum gebraucht wird und deswegen gleich entsorgt werden sollte) kann der Spieler maximal zwei Gewehre mitnehmen. Zu Beginn jeder Mission ist Logan fast immer mit einem Sturmgewehr, dem DG5-A1, und etwa 50 Schuss Munition ausgerüstet; dazu kommen einige Handgranaten und genügend Medikits und Batterien für seine Powerups. Sobald Logan die ersten Feinde ins Jenseits befördert hat, nutzt er die Möglichkeit, die Leichen zu fleddern und ihnen die Waffen, Munition und weitere Ausrüstungsgegenstände abzunehmen ... so sie denn in seinem Rucksack Platz finden. So sind fast alle Missionen darauf ausgelegt, dass man sie mit einem Standardgewehr und einer Spezialwaffe, zum Beispiel einem Scharfschützengewehr oder einem Raketenwerfer, bewältigen kann. In den letzten Missionen kommt der Waffen(ab)wahl eine bedeutende Funktion zu, da man gegen sehr starke Gegner nur dann eine Chance hat, wenn man immens viel Munition einer bestimmten Sorte eingepackt oder aufgelesen hat. Da die Munitionsbehälter auch Platz beanspruchen, kann es sein, das man manchmal nur mit einer einzigen Waffe herumläuft, dafür aber den Rucksack bis zum Abbinden mit Munition gefüllt hat. In einigen Missionen ist Logan Teil eines Teams, das eine bestimmte Aufgabe erfüllen muss. Aber die anderen Mitglieder des Trupps sind fast immer nur Statisten, Logan muss sich um alle Aufgaben selbst kümmern und immer wenn es brenzlig wird, ziehen sich seine Kumpels zurück und überlassen Logan sich selbst. Schlimmer noch: Er muss auch noch dafür Sorge tragen, dass die Mitglieder des Teams nicht übermäßig dezimiert werden. Super-Burschi ist also der Hansdampf in allen Gassen. Besonders, wenn es darum geht, sich irgendwo Zutritt zu verschaffen, wird Logan losgeschickt, die benötigte Keycard zu besorgen beziehungsweise ein Codeschloss oder Sicherheitssystem zu hacken. Dieser Hackvorgang ist im Prinzip immer derselbe, ändert sich aber in seiner Intensität. Sobald sich Logan an ein System angekoppelt hat, erscheint eine Art Memory-Spiel, das es zu lösen gilt. Es müssen verdeckte Felder aufgedeckt und Symbolpaare gefunden werden. Zunächst kann man Systeme hacken, indem man kleine Spielfelder leert, gegen Ende des Spiels müssen dann Dreierpaare auf einer größeren Grundfläche gefunden werden. Die Intelligenz (KI) der Gegner ist in jedem Egoshooter ein wichtiger Faktor und häufig hängt die Bewertung eines FPS davon ab, wie intelligent sich die Bösewichte verhalten. Das ist in SpecForce nicht anders. Unterteilen kann man die KI in aktives und passives Verhalten. Beim "aktiven Verhalten" fällt dem Betrachter sofort auf, dass dies eines der wenigen Spiele ist, in dem die Gegner nicht lauthals "Hier bin ich, murks' mich ab!" rufen. Dass die Feinde den Spieler gesehen haben, merkt man meistens erst dann, wenn bereits die ersten Treffer in der Panzerung einschlagen. Unter "passives Verhalten" ordnet man die Vorgänge ein, die bei der KI ablaufen, wenn man auf die Computerfeinde schießt. In diesem Spiel bleiben die Feinde stehen und ballern, wenn sie der Meinung sind, eine Chance im Duell zu haben oder wenn sie in der Überzahl sind. Sollten sie aber merken, dass Logan die bessere Position besitzt, dann versuchen sie Deckung zu nehmen und das tun sie sehr gut. In freiem Gelände oder im Wald verstecken sie sich so clever, dass sie mit dem bloßen Auge nicht mehr zu sehen sind und der Spieler muss schon auf den Zielmodus seiner Waffe zurückgreifen, um sie überhaupt sehen zu können. Die Nehmerqualitäten der Feinde sind aber durchweg eher dünn. Hat der Spieler einen Computerbösewicht erst mal im Visier, hat er diesen meist bereits nach wenigen Treffern ins Datennirvana verbannt. Die Bewaffnung der Feinde ist allerdings fast immer ebenbürtig und ist man erst einmal ins Kreuzfeuer der Feinde geraten, dann kann man nur noch Fersengeld geben, um zu überleben. Insgesamt ist die KI der Feinde wirklich gut gelungen, das zeigt auch die Tatsache, dass die Feinde nicht hinter Logan herlaufen, sondern in ihrer Position verharren. Solide Grafik SpecForce ist im Wesentlichen keine große Weiterentwicklung der Originalversion und so sind auch die Grafiken und der Sound von SpecForce eher mit befriedigend zu werten. Eigentlich ist alles vorhanden, was von einem guten Egoshooter grafisch und soundtechnisch erwartet werden kann, aber eben auch nicht mehr. Zwar wurden mehr Explosionseffekte und einige neue Sounds eingefügt, aber letztendlich sind das nur Mosaiksteinchen im Gesamteindruck. Wie schon bei der Erstausgabe des Spiels sind die Level weiträumig begehbar und ausreichend detailliert dargestellt. Zwar kann sich SpecForce grafisch nicht in einem Atemzug mit Half-Life 2 oder Far Cry nennen lassen, aber welches andere Spiel kann das schon? Lediglich bei der Darstellung der Charaktere hätten die Designer etwas mehr Liebe aufbringen können, die Feinde sehen fast alle gleich aus und tragen alle eine grobe Plattenrüstung. Weibliche Feinde gibt es auch, aber die sind immer unsichtbar getarnt. Und richtig etwas hermachen tun sie auch nicht. Es ist zwar nicht zu erwarten, dass man am Fortschritt des Spliss in ihren Conditioner-gefestigten Haaren erkennen kann, wann sie das letzte Mal beim Friseur waren, aber ein wenig kommt es bei den Gamebabes doch auf die Ausstattung an. Und auf die Ausrüstung selbstverständlich auch. Und noch etwas fällt auf: Es gibt keine einzige Cut- oder Videoszene im ganzen Spiel. Multiplayer SpecForce ist definitiv ein Singleplayer-Shooter, aber da Spiele heutzutage heruntergewertet werden, wenn es nicht auch einige Multiplayer-Modi gibt, wurden diesem Spiel die üblichen Mehrspieler-Szenarien beigefügt. So kann man sich im Deathmatch, Team-Deathmatch und Capture the Flag messen und die Karten machen ab vier Spielern sogar richtig Spaß. Es gibt die oben beschriebenen Fahrzeuge auch in den Multiplayer-Modi und so entstehen auf den leider nur wenigen Karten richtige Straßenrennen. Dafür gibt es aber den schon bei Chrome sehr hoch gelobten Editor ChromeEd, mit dem man leicht einige Karten erstellen kann. Chrome vs. SpecForce Ist denn SpecForce nun das alte Chrome noch einmal in einem neuen Gewand, sprich mit etwas anderer Handlung und neuen Maps? Ja. Ist das schlimm? Nein. Es gibt schließlich genügend Spiele, die in einer Weiterentwicklung vermurkst worden sind, zu nennen ist da vor allem Deus Ex. Obwohl stark zu bezweifeln ist, dass genau diese Überlegung - nämlich das Spiel nicht zu verhunzen - im Mittelpunkt der Neuauflage gestanden hat, tut es wohl zu sehen, dass Techland es verstanden hat, dem Spieler ein Game zu geben, dass die Fähigkeiten eines PCs wieder mal ausschöpft. Es musste nicht - wie in letzter Zeit so häufig - auf die Konsolenumsetzungen des gleichen Shooters Rücksicht genommen werden. Ein PC hat nun mal mehr Möglichkeiten als eine Konsole und die werden in diesem Spiel abgerufen. Wo sind denn nun die Unterschiede von SpecForce zu Chrome? Die paar grafischen Differenzen kamen schon zur Sprache, ebenso die neuen Soundeffekte. Mehrmals in diesem Spiel erschreckt man sich, wenn ein Vogelzwitschern die Stille durchbricht. Außer an ein paar Randerscheinungen hat Techland scheinbar vor allem an der Gegner-KI gearbeitet. Bei Chrome hatte man doch einige Male das Gefühl, dass die Feinde einmal zu oft an den Coretech-eigenen Chemiefässern geschnüffelt hätten und deswegen wie Junkies bei einer Polizeirazzia wild umherliefen. Das ist bei SpecForce anders. Nichtsdestotrotz hat SpecForce gegenüber Chrome etwas abgespeckt. Wie schon erwähnt, kommen im ganzen Spiel keine Videoszenen vor, wozu auch? Es gibt ja auch keine gut gebauten Frauen in dem Game. Von den ehemals sechs Implantaten sind nun noch vier übrig geblieben, die Zielhilfe wurde standardmäßig in jede Waffe eingebaut und auf das schwachsinnige Durch-die-Wand-sehen wurde komplett verzichtet. Auch die Waffentypen wurden etwas bereinigt, für jeden Munitionstyp gibt es in SpecForce nur noch maximal zwei Waffen und nicht bis zu fünf wie in Chrome. Das tut dem Spiel sehr gut. SpecForce ist ein Spiel, das Tester lieben werden. Es bietet einem frustrierten Journalisten die Möglichkeit, ein gutes Spiel herunterzuschreiben. Techland hat nach fest gefügten Grundsätzen des Spieletests nämlich alles falsch gemacht: die Grafik stammt aus dem Jahr 2003, hinter dem ganzen Spiel steht eine eher dünne Geschichte und der Multiplayermodus ist eher dürftig. Eigentlich wurde an diesem Spiel seit 2003 nichts verändert, außer der Gegner-KI und den Kampfeffekten. Gott sei Dank! Techland hat es verstanden, ein gutes Spiel etwas zu entschlacken, an den wesentlichen Stellen zu verbessern und so ein gutes Game noch verbessert. Und das ist es, worauf es einem Spieler ankommt: Das Spiel muss einigermaßen herausfordernd sein und Spaß machen. Diese beiden Kriterien sind voll erfüllt, SpecForce trifft zumindest den Nerv des DLH.Net-Testers. Außerdem ist es mal wieder nett zu sehen, dass man auch für ein gutes Spiel seinen PC nicht überzüchten muss. Gut gemacht! (28.06.2005)
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