Gemini Rue - Verschwörung auf Barracus (Daedalic) geschrieben von Malte Janßen
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Es regnet in Strömen und die düstere Atmosphäre ist zum Greifen nahe. Doch ich schaue gerade mal nicht aus dem Fenster, sondern tauche in die Welt von "Gemini Rue" ein, einem Abenteuer-Spiel im äußerst klassischen Gewand. Und hier ist der Name wahrlich Programm. Dass Daedalic ein Herz vor allem für Fans des Adventure-Genres besitzt, haben sie schon mit einigen preisgekrönten Titeln wie "Edna bricht aus" gezeigt und das Game-Noir aus der Feder des jungen Independent-Entwicklers Joshua Nuernberger reiht sich nahtlos in diese Riege mit ein. Auch wenn man weiß, dass den Spieler laut Verpackung ein "stimmiger Retro-Look" erwartet, ist man dennoch im ersten Moment überrascht, obschon die Hersteller-Logos bereits ebenso pixelig dargestellt sind, wie das Spiel selbst. Der Bulle und der Sträfling Unwillkürlich drängt sich der Vergleich zu "Beneath a Steel Sky" auf. Und obwohl die beiden Spiele Gemeinsamkeiten wie den Stil oder die Soundkulisse teilen, ist "Gemini Rue" doch ganz anders. Und nach einem kurzen Intro, das mehr Fragen aufwirft als beantwortet, ist man auch schon mittendrin im Geschehen. Doch wer ist man eigentlich? Diese existenzielle Frage lässt sich, zumindest in diesem Spiel, sehr einfach klären: Azriel Odin, ehemaliger Mafioso und nun ein interplanetarer Cop, der auf der Planetenkolonie Barracus auf einen Informanten wartet. Allerdings erscheint dieser nicht am Treffpunkt. Seltsam. Was also tun? Natürlich das, was man als Gesetzeshüter am besten beherrscht - in schönster Detektivmanier versuchen, etwas über den Verbleib unseres Mannes herauszufinden. Doch das gestaltet sich schwieriger, als gedacht. Uns leistet zwar ein eigener Kommunikator treue Dienste, mit dem Notizen angelegt und Telefonate geführt werden können, doch der Versuch, den Mann anzurufen, bleibt erfolglos und somit steht man wieder am Anfang. Genau vor einem steht einer der stadteigenen Computerterminals, der jedoch ohne eine entsprechende Zugangskarte keine Informationen preisgibt. Nun gilt es, sich eine solche Karte zu organisieren. Doch wem kann man in einer Stadt, die von den Boryokudan beherrscht wird, überhaupt trauen? Was sich wie ein medizinischer Fachbegriff anhört, ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Story. Die Boryokudan sind eine mafiöse Vereinigung, die die Geschicke auf Barracus fest im Griff haben und es liegt am Spieler, ihnen das Handwerk zu legen. Doch dafür müssen wir bis in die Höhle des Löwen vordringen ...
Als weiteres spannendes Element spielen wir noch einen zweiten Handlungsstrang, mit einem uns nur unter dem Namen Delta-Six bekannten Charakter. Der Spieler wird, genau wie die Figur, im Unklaren darüber gelassen, wer man ist und warum man sich gerade jetzt und hier in diesem dunklen Raum befindet. Wir werden rüde von einer Stimme aus einem Lautsprecher geweckt, der sich uns nur als "der Direktor" vorstellt und uns ferner mitteilt, dass wegen unseres letzten Ausbruchsversuchs unser Gedächtnis gelöscht wurde. Diese Tatsache, nebst der, dass wir eine Art Trainingskleidung tragen und uns der Direktor eine Einweisung mit einer Schusswaffe unterzieht, lässt ziemlich schnell erahnen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt und wir hier so schnell wie möglich raus müssen. Doch was tun, wenn man sich an gar nichts erinnern kann? Immerhin erfahren wir durch einen der anderen Insassen unseren Namen: Charlie. Doch wem kann man trauen? Von Mäusen und Tasten - die Steuerung Wer ungern Bedienungsanleitungen liest, hat zu Anfang seine Schwierigkeiten, mit einigen Steuerungselementen zu arbeiten. So gestaltet sich die Handhabung der Computer-Terminals, gerade in Verbindung mit dem eigenen Kommunikator, ein wenig konfus. Hat man den Dreh aber erst mal raus, so kommt man dann doch recht schnell zu seinem Ziel. Interessant ist hier vor allem die Möglichkeit des Drag and Drop zwischen Kommunikator und Terminalbildschirm. So zieht man einfach einen Namen in das Textfeld und erhält nach dem Drücken auf den "Suchen"-Knopf die gewünschte Info, sofern eine vorliegt.
Zu Beginn ist die Maussteuerung bei normalen Aktionen eher anstrengend. So ist die Spielfigur unfähig, beispielsweise selbstständig über ein Geländer auf einen Sims zu klettern. Es muss zuerst das Geländer mit der entsprechenden Aktionstaste ("Hand") kombiniert werden, damit sie auf den Sims steigt. Wenn man also auf die andere Seite möchte, wären es zwei Kombinationen - eine für das erste Geländer und dann für das zweite. Glücklicherweise wurde in die Steuerung eine Wiederholungsfunktion eingebaut, so dass man die zuletzt benutzte Aktion mit einem Doppelklick erneut durchführen kann.
Apropos Steuerung: Erst nach mehreren Aktionen kommt per Einblendung der Hinweis, dass, während die Spielfigur läuft, die ESC-Taste gedrückt werden kann, um Laufwege abzukürzen. An sich eine gute Idee, im Sinne des klassischen Adventures wäre hierfür ein Doppelklick aber schöner gewesen - wenn der nicht schon anderweitig belegt wäre.
Ein nettes Feature ist aber, dass man Gegenstände bereits frühzeitig in sein Inventar aufnehmen kann, auch wenn man sie erst viel später braucht - das spart so manchen Weg. Bei anderen Vertretern des Genres müssen erst bestimmte Begebenheiten stattgefunden haben, oder erst eine besondere Aktion vorangegangen sein, um einen Gegenstand mitzunehmen. Von Pistolen und Kisten - das Gameplay Besonders rätsellastig ist "Gemini Rue" nicht, daher finden sich auch Einsteiger in den düsteren Gassen und regennassen Straßen, die den Spieler die Hälfte der Zeit über begleiten, gut zurecht. Dennoch ist das Spiel nicht minder schwierig. Im Grunde müsste man für dieses Spiel ein neues Untergenre erfinden - den Adventure-Shooter, denn anders als beim klassischen Abenteuer wird hier scharf geschossen. Ja, richtig gelesen: ein Point-and-Click-Spiel mit Baller-Elementen. Für diese kann man sich zwischen zwei Varianten (Einfach und Mittel) entscheiden. Doch schon die leichteste Einstellung ist tatsächlich an manchen Stellen durchaus knifflig, wenn man nicht genug geübt hat. Die Möglichkeit dazu erhält man im Laufe des Spiels, wenn wir uns dem zweiten Protagonisten des Spiels, Delta-Six, zuwenden.
Da Gewalt aber bekanntermaßen nicht immer eine Lösung ist, müssen auch ab und an einige kleinere Schiebeaktionen ausgeführt werden. Diese bestehen aus Kisten, die von der einen Ecke in eine andere geschafft werden, um beispielsweise an einen höher gelegenen Punkt zu kommen oder zwei Dinge miteinander zu kombinieren. Bei normalen Adventures ist das nichts Besonderes - doch auch hier versteht es "Gemini Rue", zu punkten. Denn ebenso wie beim Zielen aus der Deckung in den Schusswechseln, werden die Kisten mit der Tastatur verschoben und auch das hinaufklettern und wieder absteigen gelingt nur mit den entsprechenden WASD-Tasten, die man aber - ganz im Sinne der altbekannten Shooter - umbelegen kann. Unterforderung für Rechenknechte Die Grafik ist, wie es der Packungstext schon angedeutet hat, extrem retro. Das heißt, das man, wie zu seligen Amiga-Zeiten, die Figuren nur schemenhaft sieht (glücklicherweise werden während der Dialoge Porträts der einzelnen Charaktere eingeblendet) und die Umgebung nur grob aufgelöst erkennt, wobei sie dennoch hervorragend konzipiert und eingebettet ist. Die Animationen wirken, trotz ihres Aussehens, flüssig und doch hölzern genug, um die besondere Stimmung der vergangenen Tage einzufangen. Hier spielt die Musik! Die Synchronisation ist gut gelungen, aber leider gibt es auch den einen oder anderen Fauxpas in der Übersetzung. So wurden zum Beispiel einige Einzelwörter nicht eingesprochen, weshalb man stattdessen das englische Originalwort hört. Als Beispiel sei der Dialog zwischen Azriel und Portier im Hibiskus-Komplex angebracht, in dem eine Antwort "No" lautet. Oder man hört Kanes englische Stimme, wenn er Sayjuris Namen sagt. Auch beim geschriebenen Wort gibt es viele Stellen, an denen statt eines Umlauts ein Textsymbol zu sehen ist. Auch passen die Bildschirmtexte nicht immer mit den optional zuschaltbaren Stimmen zusammen. Um die wirklich hervorragende Musik, die stets zur Situation passt, aber nie aufdringlich ist, in vollen Zügen genießen zu können, sollte man sich - zumindest beim zweiten Spielen - nur die Texte einblenden lassen, zumal das den Klassik-Faktor noch einmal hochschraubt. "Gemini Rue" ist spannend, düster, knallhart und genau das, was ein Adventure ausmacht und vor allem, was man heutzutage an Spielfluss und Storyline bei anderen Games vermisst. Wem das noch nicht reicht, der wird beim absolut erschwinglichen Preis garantiert schwach. Ein Muss für jeden Adventure-Fan, egal ob Veteran oder Neuling. (05.10.2011)
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