Fallout 3 (Bethesda) geschrieben von Jan-Tobias Kitzel
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"Fallout". Allein der Name genügt, um Millionen Spieler auf der Welt wieder an die gute alte Zeit Ende der 90er denken zu lassen. Die beiden "Fallout"-Teile begeisterten damals Heerscharen in allen Herren Länder und gelten nicht ohne Grund als Meilensteine erwachsener Rollenspielunterhaltung. Die Fußstapfen, die von den beiden Vorgängern hinterlassen wurden, sind ein schweres Erbe für den neuesten Teil der Reihe, "Fallout 3". Oder wird er die Messlatte gar erneut ein Stück höher legen? Gameplay oder: "War. War never changes." "Fallout 3" entführt den Spieler in eine postapokalyptische Zukunft. Nach einem Atomkrieg hat sich die Menschheit in drei Lager gespalten: Die Ödländer, die in den verwüsteten Ruinen und selbst gebauten neuen "Städten" leben, wenn man diese Höllenlöcher so nennen will. Die Mutanten, menschenähnliche Wesen, die in barbarischen Rotten leben und das Land unsicher machen, mehr Tier als Mensch. Und die Glücklichen, die es geschafft haben, in einem der "Vault" genannten Bunker die Zeiten zu überdauern, gut versorgt von der liebevollen Muttergesellschaft Vault-Tec und angeführt von jeweils einem weisen "Aufseher", der nur das Beste für alle will. Ist die Ironie angekommen? Bei dem von euch erschaffenen Charakter auf jeden Fall. Denn "Fallout 3" beginnt, nachdem ihr eurer eigenen Geburt und den ersten Fußstapfen also letztlich dem Tutorial beiwohnen durftet, als ihr als junger Erwachsener die Vault 101 durchstreift. Und "glücklich" sind nur wenige dort. Langeweile, Mangel an Ersatzteilen und abwechslungsreicher Nahrung, ein despotischer "Aufseher" und eine Halbstarkengang, die alle einfach nur nervt. Da trifft es sich gut, dass euer Vater, ein Wissenschaftler, aus der Vault flieht und ein derartiges Chaos dabei auslöst, dass ihr ebenfalls flüchten könnt. Doch bereits bei diesen ersten Schritten habt ihr Entscheidungen zu treffen: Helft ihr der Mutter eines Gangmitglieds, obwohl euch dieses vorher immer verprügelt hat? Oder bestraft ihr letztlich die alkoholkranke Mutter für die Dämlichkeit ihres Sohnes und werft sie den wilden Tieren zum Fraß vor? Egal, welche Entscheidung ihr trefft: Sie wird letztlich auf euch zurückfallen. So wie jede andere in der Welt von "Fallout 3". Denn genau das ist das Grundkonzept des Spiels, das ihr in der 3D-Perspektive durchstreift: Jede eure Handlungen hat Konsequenzen. Lebt damit. Und wählt weise. Oder seid der pure Chaot, ganz wie es euch beliebt. "Fallout 3" macht euch keine Vorschriften, wie ihr zu spielen habt. Latscht nach eurer Flucht aus der Vault 101 gleich in die nächste Stadt und folgt der Hauptquest der Suche nach eurem Vater oder durchstreift frei das Ödland und nehmt erst mal jede Menge Nebenquests an. Außerdem ist es euch überlassen, wie ihr die Aufgaben löst, das Spiel lässt fast immer mehrere Möglichkeiten. Aber es lässt euch eben auch die Freiheit, dass ihr jederzeit eure Waffe ziehen und fast jede Siedlung ausradieren könnt, falls ihr stark genug seid. Es ist euer Spiel; macht, wozu ihr Lust habt. Wenn man unentschlossen ist, bietet es sich durchaus an, erstmal der Hauptquest zu folgen und nach der Vault die "Hauptstadt" des Ödlands anzusteuern, ein Höllenloch namens "Megaton". Dort könnt ihr euch auf die Spur eures Vaters setzen, werdet aber auch von verschiedenen Gruppierungen angesprochen, die euch Aufgaben gegen Bezahlung oder Ausrüstung anbieten. Die interessanteste Quest stellt dabei die Stadt an sich dar: Megaton wurde rund um eine Atombombe gebaut, die als Blindgänger mitten in der Stadt liegt und von einer verrückten (aber harmlosen) Sekte angebetet wird. Nun bittet euch der Sherriff, diese Gefahr ein für alle Mal zu entschärfen. Aber ein Mann mit einem dicken Geldkoffer bietet euch ein Leben in Reichtum, wenn ihr für einen völlig durchgeknallten Auftraggeber Megaton mithilfe der Bombe auslöscht. Beides gibt Karma! Nur in unterschiedlichen Ausprägungen. Karma? Dies ist ein weiterer roter Faden, der sich durch "Fallout 3" zieht. Jede eurer Entscheidungen hat Auswirkungen auf euer "Karma", also letztlich euer Ansehen in der Welt, aber auch eure Seele. Seid ihr fortwährend böse, weichen euch bald selbst die härtesten Sklavenhändler aus und versuchen, euch mit Geschenken zu besänftigen. Spielt ihr aber einen Engel des Ödlands, fallen euch einfache Dorfbewohner um den Hals und geben euch Lebensmittel und Stimpacks (Gesundheitshelferlein). Es ist wohl kaum ein Geheimnis, dass der leichteste Weg zum "worst motherf ever" darin besteht, die Bombe zu zünden. Was dies für weitere Auswirkungen auf die Spielwelt hat? Probiert es selbst aus. Eure Wege in "Fallout 3" sind also allein die euren. Das Spiel unterstützt euch dabei mit einer problemlosen Steuerung, bei der allein das umständliche Inventar negativ auffällt. Zwar sind die Designer auf die merkwürdige Idee gekommen, dass nach 19 Levelaufstiegen (also auf Level 20) weitere Verbesserungen nicht mehr möglich sein sollen, aber wir hätten nicht das Zeitalter des Internets, wenn findige Code-Wühler nicht bereits Abhilfe gefunden hätten (einfach in der Konsole "setgs imaxcharacterlevel X" eingeben, wobei X für den gewünschten Maximallevel steht, den ihr durch weiteres leveln erreicht wollt). Etwas saurer stößt da schon die Zensur auf, unter der wir Deutsche zu "leiden" haben: "Fallout 3" ist durch und durch ein Spiel für Erwachsene. Dennoch haben die Entwickler für die deutsche Version abgetrennte Gliedmaßen und explodierende Köpfe herausgenommen. Kübelweise Ghule, Gehängte, Skelette, Sexsklavinnen, Kinderarbeiter, herumliegende Leichen, etc. waren uns wohl zuzumuten, aber ein davonfliegender Kopf war offensichtlich zu viel. Das verstehe, wer will. Wer nun nicht zur englischen Version greifen will vielleicht aufgrund der Sprachbarriere bemühe einen Videospiel-Versandhändler seines Vertrauens und ordere die österreichische oder schweizerische Version. Deutsch und unzensiert. Oder prüfe seine Google-Fu-Fähigkeiten und suche nach einem bereits erhältlichen Bloodpatch, der die deutsche in die österreichische/schweizerische Version umwandelt. Viel Aufhebens um nichts Weltbewegendes. Denn im Mittelpunkt steht bei "Fallout 3" schließlich nicht das Blut, sondern vielmehr der Spielspaß. Und der ist in rauen Mengen vorhanden. Nicht nur die Hauptquest, auch und vor allem die Nebenquests sind unglaublich detailreich erstellt worden. Viele Charaktere zeigen bemerkenswert genau ausgearbeitete Hintergrundgeschichten. Das Ödland ist abwechslungsreich und lädt zum Erkunden ein. Sei es, um auch möglichst viele Nebenquest-Geber zu finden, oder einfach nur herumzulaufen, Mutanten umzulegen, Dungeons (also beispielsweise andere, aufgegebene Vaults) zu erkunden und die Liebe zum Detail zu bewundern, die Bethesda hat walten lassen. "Fallout 3" ist eine virtuelle Reise wert, solange man gut bewaffnet ist. Und Zeit mitbringt. Denn zum einen sind die Wege im Ödland weit und mal eben in Bus und Bahn einsteigen oder gar ein eigenes Auto besitzen ist nicht. Aber selbst, wenn ihr nur die Hauptquest verfolgt und jede Nebenaufgabe links liegen lasst, seid ihr locker mehr als zehn Stunden beschäftigt. Der Durchschnittsspieler, der einige Nebenquests mitnimmt und auch mal links und rechts schaut, verbringt mit "Fallout 3" ohne Langeweile 30 Stunden und mehr. Während ihr also das Ödland erforscht, werdet ihr fast zwangsläufig Aufgaben erfüllen und Gegner töten. Beides verschafft euch Erfahrungspunkte, die bei gewissen Stufen zu Levelaufstiegen führen. Nun dürft ihr auf eure Fertigkeiten (beispielsweise "Kleine Waffen", "Schleichen" oder "Sprengstoffe") Punkte verteilen, um besser zu werden, und euch eine neue Spezialfähigkeit aussuchen. Das reicht von vergleichsweise "normalen" Sonderfertigkeiten wie einer Erhöhung von Grundwerten bis hin zu Skurrilitäten, durch die ihr z. B. zu Kannibalen werdet und durch Menschenfleisch Gesundheit zurück erlangt. Aber nicht in der Öffentlichkeit naschen, wenn ihr euren Kopf behalten wollt! Einen Mehrspielermodus kann "Fallout 3" nicht aufweisen, dafür dürft ihr euch auch als PC-Spieler bei "XBOX Live" einloggen und über euer Spielerprofil der Welt kundtun, welche Errungenschaften ihr schon geschafft habt. Nett, aber auch nicht mehr. "Fallout 3" ist durch und durch ein Einzelspielerspaß, aber bei derart abwechslungsreichen Aufgaben in einer apokalyptischen Welt liegt es allein an euch, wenn ihr keine Freude habt. Selbige könnt ihr auch mit den alternativen Enden haben. Je nachdem, wie ihr "Fallout 3" spielt und welche Entscheidungen ihr getroffen habt, erwartet euch ein unterschiedliches Ende. Gut, es muss leicht eingeschränkt werden: Es unterscheidet sich (fast) nur der Abspann, der die Hintergrundgeschichte weitererzählt. Aber auch durch die vielen Entscheidungen, die ihr auf dem Weg zum Ende zu treffen habt, bietet "Fallout 3" einen immensen "Das Spiel muss ich mehrmals durchkriegen"-Effekt. Die unterschiedlichen Enden sind da lediglich die Sahne auf dem Eis. Aber dennoch lecker. Grafik oder "Was grünt so grün im Ödland?" "Fallout 3" bietet eine ordentliche Grafik, ohne hier den Genrestandard setzen zu können. Man merkt dem Spiel an, dass die nicht ganz taufrische "Oblivion"-Engine als Grundgerüst genutzt und dann aufpoliert wurde. "Fallout 3" ist grafisch ok, wenn auch gerade am PC hier und da mehr drin gewesen wäre, insbesondere bei den Wand- und Bodentexturen. Dafür sind die Charaktermodelle liebevoll erstellt und geizen nicht mit Details. Auch die Charakteranimationen sind gut gemacht. Insgesamt ist die Grafik stimmig, weiß die apokalyptische Atmosphäre zu unterstreichen, drängt sich aber nicht in den Vordergrund. Sound oder "Treffen sich zwei Mutanten. Beide tot." Sound und Musik sind für die Entwickler offenbar mehr Mittel zum Zweck als eigentliches Entwicklungsziel. Und das ist gut so. Die hörbare Kulisse, Sounds von Waffen und Gegnern und auch die dezente Hintergrundmusik lenken nicht vom Spiel ab. Und es gelingt den Designern, die Sounds passgenau in das Gesamtwerk "Fallout 3" zu integrieren, sie wirken stimmig und tragen so zum gesamten "Look & Feel" des Spiels bei. Die Entwickler haben mit "Fallout 3" ein Meisterwerk abgeliefert. Die wenigen störenden Details wie ein unhandliches Inventar und der Mangel an fahrbaren Untersätzen sind Kritik auf einem derart hohen Niveau, dass es einem als Tester fast peinlich sein muss. "Fallout 3" ist beste Rollenspiel-Action-Unterhaltung. Egal, ob ihr die Vorgänger kennt oder nicht, dieses Spiel wird euch derart schnell in seinen Bann ziehen, dass ihr den strahlenden Staub des Ödlands so schnell nicht mehr werdet verlassen wollen. Absoluter Pflichtkauf im Spielejahr 2008 und darüber hinaus. (28.11.2008)
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