Valkyria Chronicles

Valkyria Chronicles (PS3)

(Sega)

geschrieben von Witali Blum

 

     
 

Die Walküre ist eine weibliche Geistergestalt aus der nordischen Mythologie, die man in den Sagen oft mit Heldentum und Ruhm auf dem Schlachtfeld in Verbindung bringt. Viele japanische Mangas, Animationsfilme sowie Spiele greifen dieses Thema auf. "Valkyria Chronicles" bildet da keine Ausnahme. In einem Genremix aus RPG und Strategie muss der Spieler ein kleines Land in einem scheinbar aussichtslosen Kampf gegen ein übermächtiges Imperium verteidigen und kann nebenbei die Manga-Kultur in der Spielgrafik bewundern. Allerdings wird vorausgesetzt, dass man der englischen Sprache mächtig ist, denn alle Texte sowie Menüs des Spiels sind ausschließlich auf Englisch gehalten. Der folgende Test wird zeigen, ob sich eine Anschaffung des Spiels trotz weiterer im November erscheinender Highlights für die Playstation 3 lohnt.

De Bello Europae (lat., Über den Krieg in Europa)

"Valkyria Chronicles" spielt in einer fiktiven Welt namens "Europa", die jedoch stark an das historische Vorbild zwischen den Jahren 1930 und 1950 angelehnt ist. Die zwei Großmächte "East European Imperial Alliance" (engl. Osteuropäische Imperiale Allianz) sowie "Atlantic Federation" (engl. Atlantischer Bund) liefern sich Gefechte um das wertvolle Mineral Ragnite, das hauptsächlich zur Herstellung von Waffen dient. Im sprichwörtlichen Mittelpunkt dieses Konflikts steht das kleine Fürstentum Gallia, das territorial von beiden Kontrahenten umzingelt ist. Obwohl das kleine Land sich bisher neutral verhalten hat, beschließt die Imperiale Allianz, den Status quo zu kippen und sich die zahlreichen Rohstoffvorkommen des scheinbar wehrlosen Staates einzuverleiben. Es werden genug Truppen mobilisiert, um den Gegner wie eine Lawine mit schierer Masse zu überrollen.

Die Rechnung geht jedoch für das Imperium nicht auf, da in Gallia allgemeine Wehrpflicht besteht, zu der im Kriegsfall alle Männer und Frauen ab fünfzehn Jahren eingezogen werden. So leisten die sonst friedlichen Bewohner erbitterten Widerstand. Darunter befindet sich auch der Held, in dessen Gestalt der Spieler schlüpft, um dem Aggressor Einhalt zu bieten. Gunther Welkin, der Sohn eines berühmten Generals, führt ein kleines Bataillon an, der den übermächtigen Gegner dank taktischem Geschick in vielen Schlachten das Fürchten lehrt. Jedoch hat die Imperiale Allianz auch ein Ass im Ärmel, nämlich eine junge Kommandantin, die zu dem geheimnisvollen Volk der Valkyria gehört und daher mit übermenschlichen Fähigkeiten gesegnet ist. Wer wird den Krieg gewinnen: der kluge Taktiker oder die mächtige Kriegerin?

Das Spiel wäre nur halb so interessant, wenn man sich nur auf die Hauptfigur sowie deren Gegenspieler in der Geschichte konzentrieren würde. Stattdessen beleuchtet man jedoch auch viele andere Charaktere, wie zum Beispiel Isara Gunther, Welkins kleine Stiefschwester, Alicia Melchiott, Bäckerin und Stadtgardistin aus Leidenschaft, oder Brigitte Stark, die vor dem Krieg unter dem Alias "Rosie" ihr Geld als Sängerin verdiente und jetzt eine der besten Angriffseinheiten unter dem Kommando des Helden darstellt. Die Schicksale der Menschen, ob Aggressor oder Verteidiger, werden zusammen mit den Gefechten geschickt in einer Erzählung miteinander verknüpft, indem man dem Spieler die einzelnen Elemente auf einer animierten Buchübersicht wie die Kapitel einer Kriegschronik präsentiert. Die Übergänge zwischen den Filmen und den interaktiven Auseinandersetzungen gegen den Computer sind fließend und durchbrechen nie den Erzählfluss.

Ars Martialis (lat., Die Kriegskunst)

Zugegebenermaßen hat SEGA mit der Verschmelzung von Rollenspiel und Strategie nicht gerade das Rad neu erfunden, denn ähnliche Ansätze gab es zum Beispiel auch bei "Final Fantasy Tactics" oder den "X-Com"-Titeln. Vielmehr hat man dieses Konzept für die Konsole der nächsten Generation weiterentwickelt, so dass möglichst alle technischen sowie medialen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Dank des neuen "Blitz"-Kampfsystems ("Battle live in tactical zones") kommt zu keinem Zeitpunkt Langeweile auf, denn es verbindet wie keine Spielmechanik zuvor rundenbasierte Taktik mit Echtzeitgefechten.

Sobald an einer Stelle der Geschichte eine Schlacht beginnt, schaltet "Valkyria Chronicles" in eine strategische Übersicht, die authentisch als eine skizzierte militärische Karte dargestellt wird. Darauf sind eigene sowie gegnerische Einheiten und wichtige Terraindetails wie Flüsse, Hügel oder Brücken mit einfachen Symbolen abgebildet. Außerdem sieht man am linken oberen Bildschirmrand so genannte "Commando Points" (CPs), die man braucht, um rundenbasiert die eigenen Streitkräfte zu befehligen. Hat man eine Auswahl getroffen, dann geht das Spiel in eine dreidimensionale Ansicht über, in der man die aktuelle Einheit in Echtzeit bewegt und wie in einem Ego-Shooter die Feinde aufs Korn nimmt. Die Bewegungsfreiheit wird lediglich durch "Action Points" (APs), die als ein gelb-orangefarbener Balken am unteren Bildschirmrand sichtbar sind, eingeschränkt.

Im Prinzip kann sich der Spieler bei jedem Zug viel Zeit lassen, denn der Gegner kann seine Soldaten nicht bewegen, solange er nicht an der Reihe ist. Allerdings heißt das nicht, dass feindliche Kämpfer wie Lämmer auf der Schlachtbank darauf warten, ohne Gegenwehr erlegt zu werden. Sollte sich der Fall ergeben, dass man die Sichtlinie der Kontrahenten kreuzt, dann eröffnen sie gnadenlos das Feuer. Damit nicht genug – Einheiten in der Defensive verwenden im Gegensatz zum Angreifer ihre Waffe mehrmals, so dass es viel Sinn ergibt, vor einer Attacke Deckung hinter etwaigen Hindernissen wie Bänken oder Sandsäcken zu suchen. Viel geschickter ist es jedoch, selbst einen Hinterhalt zu legen und die herannahenden Feinde aus der Verteidigungsstellung zu erledigen. Ein weiterer Bonus kommt hinzu: Unverbrauchte CPs übernimmt der Spieler in die nächste Kampfrunde und überschüssige APs führen im nächsten Durchgang zu Effekten wie höherem ausgeteilten Schaden oder besserer Heilrate.

Insgesamt hat man zwanzig taktische Züge, in denen man den Gegner überwältigen muss, da sonst die Partie als verloren gilt. Ebenso erlebt man eine Niederlage, wenn einer der storyrelevanten Hauptcharaktere stirbt. So ist der Spieler stets hin- und hergerissen zwischen vorsichtigem Handeln über lange Zeit, um die Schäden an den eigenen Truppen minimal zu halten, und schnellem, massiven Angriff, um mit mehr Erfahrungspunkten bei den abschließenden Missionsbewertungen entlohnt zu werden. Letztere spielen beim Aufwerten der tapferen Recken eine große Rolle. Wer seine Soldaten pfleglich behandelt, kann im Laufe der Missionen ihre grundlegenden Eigenschaften wie Zielgenauigkeit, Rüstung, Schaden oder Reichweite stark verbessern. Ein weiteres Feature des Rollenspiels kommt in der Form vor, dass einige Charaktere besser oder schlechter zusammenarbeiten können. So bündeln Freunde auch mal ihre Kräfte zu einer mächtigen Gruppenattacke.

Abgesehen von Kriegsgeräten wie Panzern oder Kanonen besitzt "Valkyria Chronicles" fünf verschiedene Einheitentypen, die nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip agieren. So stellen "Scouts" (engl., Aufklärer) sowie "Shocktrooper“ (engl., Sturmtruppe) das Rückgrat von Welkins kleinem Bataillon dar, die ganz vorne an der Front mitkämpfen, während "Sniper" (engl., Scharfschütze) sich eher im Hintergrund halten. "Lancer" (engl., Lanzenträger) können mit Recht als Panzerabwehrspezialisten bezeichnet werden, da sie mit ihren lanzenähnlichen Kanonen fast jeden Stahlkoloss in einen Schrottklumpen verwandeln. Gleichzeitig aber sind sie aufgrund ihrer schweren Panzerung in ihrer Mobilität eingeschränkt, weshalb sie auch verwundbarer gegen Infanterieangriffe auf die Rückseite sind. Schließlich gibt es noch Ingenieure, die man keinesfalls direkt an die Front beordert, da sie frontal selbst gegen einen Aufklärer keine Chance hätten. Ihre Stärke liegt in der Unterstützung der eigenen Truppen wie durch das Aufstocken der Munition, Reparatur der Kriegsmaschinen oder das Räumen von Minenfeldern.

Es ist unverständlich, warum SEGA bei diesem taktischen Hit auf einen Mehrspielermodus verzichtet hat, denn die Möglichkeit, Gefechte gegen andere menschliche Mitspieler zu bestreiten, wäre die Krönung des Ganzen gewesen. Damit hätten die Entwickler auch für Langzeitmotivation gesorgt, da das Spiel aufgrund des moderaten Schwierigkeitsgrads und dazu noch linearen Storyverlaufs schnell an Herausforderung verliert. Es bleibt nur zu hoffen, dass irgendwann ein Nachfolger des Titels erscheint, der den zwischenmenschlichen Wettstreit über das Internet fördert. Vielleicht beschließt man dann auch, das Strategie-Rollenspiel in die deutsche Sprache zu übersetzen, so dass ein größeres Publikum erreicht werden kann.

Momentum (lat., Die Bewegung)

Anfänger sollten sich nicht von den vielen Details abschrecken lassen, denn trotz der großen Vielfalt lässt sich "Valkyria Chronicles" leicht spielen. In der Strategieübersicht benötigt man fast nur das Analogkreuz sowie die "X"-Taste zum Auswählen der Einheiten, während im Aktionsmodus eine ähnliche Steuerung vorliegt, wie man sie von Ego-Shootern auf der Playstation 3 gewohnt ist. Der linke Analogstick ist für die Fortbewegung zuständig, der rechte für die Kamera. Mit den "R"- und "L"-Tasten aktiviert man die Sonderfähigkeiten, wie unter anderem das Zielen mit dem Gewehr, und die Symboltasten erlauben einen Zugriff auf das Inventar. Schließlich spielt auch in dieser Ansicht die "X"-Taste die wichtigste Rolle, da man damit alle Kampfbefehle wie Schießen, Ducken oder Granatwurf bestätigt. Man braucht nicht einmal einen Blick ins Handbuch zu werfen, da die Knöpfe zu jedem Zeitpunkt neben den Aktionen als Hilfe stehen. Wer immer noch unsicher ist, kann sich mit dem Gedanken trösten, dass der Krieg gegen die Imperiale Allianz mit einfachen Missionen beginnt, die gleichzeitig die Funktion eines Tutorials übernehmen.

Augurium (lat., Die Beobachtung)

Bei der Gestaltung von "Valkyria Chronicles" hat sich SEGA etwas ganz Besonderes einfallen lassen, denn mit der neuen "CANVAS"-Engine (engl., Leinwand) erscheint das ganze Spiel trotz seiner Dynamik wie ein mit Aquarellfarben gezeichneter Comic. Dabei sieht man die ungewohnte Darstellung nicht nur in den Zwischensequenzen, sondern auch während der Missionen. Der Eindruck, im Grunde einen interaktiven Manga vor sich zu haben, wird noch dadurch verstärkt, dass man laute Geräusche wie zum Beispiel Explosionen durch Lautworte sichtbar macht. Weitere grafische Effekte wie Lichtspiel oder Schattenwurf sind zwar bewusst im selben Stil gehalten, werden aber trotzdem physikalisch korrekt berechnet und gezeigt.

Ferner bemühten sich die Entwickler, sowohl schönes als auch sinnvolles Terrain zu schaffen, in dem jede Schlacht Spaß macht. So steigt man zum Beispiel als Scharfschütze gerne auf Dächer, um eine größere Übersicht über das Kampffeld zu haben, während normale Infanteristen Deckung hinter Mauern suchen. Es ist jedoch Vorsicht geboten, wenn Kriegsmaschinen wie Panzer auf der Bildfläche erscheinen, denn sie können Hindernisse, auf oder hinter denen man sich versteckt, gezielt mit ihrer Kanone zerstören. Diejenigen Leser, die schon bei der Einführung enttäuscht darüber waren, dass man schon wieder mit der Zweiter-Weltkrieg-Thematik ein Spiel gestaltet hat, können beruhigt aufatmen, denn die Einheiten auf dem Schlachtfeld sind eine Mischung aus dem Fantasy- und Steam-Punk-Genre. Nur einige Kleinigkeiten wie das Design der feindlichen Helme und die Fahrzeuge erinnern entfernt an die vergangene harte Realität.

Auditio (lat., Das Hören)

Die Hintergrundmusik ist auf einem sehr hohen Niveau, das sonst nur bei japanischen Rollenspielen wie "Final Fantasy" anzutreffen ist. Der orchestrale Soundtrack erzeugt eine zur jeweiligen Situation passende Stimmung und ist auch noch schön anzuhören. Darüber hinaus besitzen alle Hauptfiguren, die etwas in den Zwischensequenzen zu sagen haben, eine eigene professionell vertonte Synchronstimme. Leider verzichtete man auf eine deutsche Lokalisierung des Spiels – nicht einmal deutsche Untertitel sind zum besseren Verständnis vorhanden. Dafür kommen aber Japan-Puristen ganz auf ihre Kosten, da sie zu Spielbeginn im Optionsmenü die japanische Sprachausgabe zusammen mit den englischen Untertiteln einstellen können. Die Waffengeräusche sind nicht immer authentisch – müssen es aber auch nicht sein, denn schließlich spielt "Valkyria Chronicles" in einem fiktiven Universum, in dem das Kriegsgerät eben anders funktioniert.

 


Fazit

(lat., Das ergibt)

"Valkyria Chronicles" ist ein unerwartetes Highlight, das vor allem durch seine einheitliche Geschichte, kreative Grafik sowie ein innovatives Spielprinzip punktet. Selbst nach mehreren Stunden Spielzeit macht es Spaß, Gefechte gegen den Computer auszutragen, weil man dafür nicht nur mit Erfahrungspunkten, sondern auch einem weiteren Stück der "Kriegschronik" belohnt wird, die über die Schicksale der Hauptfiguren berichtet. Vor allem Fans des Anime- und Manga-Genres werden von dem Titel vermutlich begeistert sein, da die "CANVAS"-Engine das Spiel fast wie einen Animationsfilm aussehen lässt. Sie werden jedoch erst die sprachlichen Barrieren überwinden müssen, um das Spiel in vollem Umfang zu genießen. Da ich persönlich beide letztgenannten Anforderungen erfülle, hat mir "Valkyria Chronicles" sehr gut gefallen und ich möchte allen Gleichgesinnten eine Kaufempfehlung aussprechen.

(20.11.2008)


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