City Life (Deep Silver) geschrieben von Hans Thiel
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Tiefe Häuserschluchten, pulsierende Verkehrsadern und überall hektische Betriebsamkeit; jedem Hobby-Städtebauer wird bei diesen Anblicken der Puls nach oben schnellen. Mit "City Life" versucht sich Monte Christo in einer Adaption der erfolgreichsten Städtesimulation "Sim City". Anders als im Original wird aber mehr Wert auf die zwischenmenschlichen Komponenten des Großstadtlebens gelegt und so das Erfolgskonzept um eine weitere interessante Facette erweitert. Auch wenn sich der Vergleich mit "Sim City" aufdrängt, "City Life" bietet genügend Ansätze, sich von der Vorlage abzugrenzen und eigene Wege zu beschreiten. Auch wenn nach wie vor das Errichten einer funktionierenden Großstadt im Vordergrund steht, birgt die Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen neue Anreize und Ansprüche bei Planung und Gestaltung der Metropole. Nachbarschaftsstreitigkeiten "City Life" teilt die Stadtbevölkerung in sechs Gruppen, die jeweils eigene Ansprüche an Umgebung, Lebensstandard und Arbeitsmöglichkeiten stellen. Die größte Herausforderung des Spiels besteht darin, all diese Bevölkerungsgruppen in der Stadt zu versammeln, ohne dass es aufgrund der unterschiedlichen Lebensstile zu Konflikten kommt. Am Anfang der Stadtentwicklung setzt sich die Bevölkerung aus den drei Grundgruppen Tagelöhner, Hippies und Arbeiter zusammen. Mit dem Wachstum der Stadt kommen dann Trendsetter, Schlipsträger und Reiche hinzu. Jede dieser Bevölkerungsgruppen kann mit jeweils zwei anderen Gruppen harmonisch zusammenleben, mit zwei weiteren gibt es rasch Streitigkeiten und je eine Bevölkerungsgruppe steht sich in den Ansichten und Lebensgewohnheiten gegenüber, so dass es fast automatisch zu Auseinandersetzungen kommt. Arbeiter können so zum Beispiel sehr gut mit Tagelöhnern und Schlipsträgern zusammenleben, mancher Arbeiter kann sogar durch höhere Bildung in die Gruppe der Schlipsträger wechseln. Mit Reichen und Hippies kommt der durchschnittliche Arbeitnehmer aufgrund der stark abweichenden Lebensgewohnheiten und Ansichten schnell in Konflikt. Trendsetter, die Weiterentwicklung der Hippies, stellen in ihrer ganzen Art den Gegensatz zur Arbeiterklasse dar, ein Aufeinandertreffen dieser Bevölkerungsgruppen führt nahezu unausweichlich zu heftigen Reaktionen. Die beste Lösung ist also eine Ghettoisierung der Stadt mit Vierteln, die jeweils von befreundeten Bevölkerungsschichten bewohnt werden, um allem Konfliktpotenzial von vornherein aus dem Weg zu gehen. Durch Freizeiteinrichtungen der jeweiligen Bevölkerungsschicht lassen sich bestimmte Bereiche quasi markieren und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich auch nur Angehörige dieser Gruppe dort niederlassen. Für Arbeit sorgen ebenfalls getrennte Fabriken, die im Falle der Hippies direkt neben den Wohnhäusern positioniert werden können, während die Umwelt verschmutzenden Fabriken der Tagelöhner und Arbeiten etwas abseits der Stadt besser aufgehoben sind. Auch wenn durch strikte Trennung der Gruppen die gröbsten Schwierigkeiten vermieden werden können, kann es dennoch ab und an zu Konflikten kommen. Wird auf diese nicht schnell genug reagiert, können sich die anfänglichen Nachbarschaftsstreitigkeiten zu ausgewachsenen Aufständen entwickeln, in denen mit brennenden Häusern die Feuerwehr in Atem gehalten wird und die von der Polizei nur schwer unter Kontrolle zu bringen sind. Deshalb bietet "City Life" noch weiterführende Instrumente, um den Stadtfrieden aufrecht zu erhalten. Neben der beruhigenden Wirkung des Rathauses können noch so genannte "Friedensstiftende Einrichtungen" errichtet werden, die in einem gewissen Umkreis die Gemüter zu beruhigen helfen. Bei kleineren Streitigkeiten hilft zudem die Polizei, größere Aufstände werden durch eine spezielle Eingreiftruppe gehandhabt. Beste Prävention bietet allerdings die Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse - vor allem nach Wohnraum und Arbeit. Hohe Arbeitslosigkeit begünstigt Streitereien und lockt im Extremfall das organisierte Verbrechen an. Für eine funktionierende Stadt werden allerdings alle Bevölkerungsgruppen benötigt, vor allem öffentliche Gebäude wie Bibliotheken oder Schulen beziehen ihre Angestellten aus allen Gruppen, so dass eine Monokultur zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist. Liebe und Hass Die größte Neuerung des Spiels bietet allerdings auch den meisten Anlass zur Kritik. Auf der einen Seite wirkt die strikte Trennung der Bevölkerung recht holzschnittartig und zu stark vereinfacht. Konflikte brechen spontan und heftig aus, Bilder von sich prügelnden Stadtbewohnern finden sich allerorten. Andererseits ist die strikte Trennung der Bewohner in einzelnen Ghettos mit etwas Übung schnell zu meistern, was dem Spielspaß rasch den Wind aus den Segeln nimmt. Etwas mehr Varianz und Orientierung an der Realität wäre der Komplexität der Thematik mehr gerecht geworden und hätte auch erfahrene "Sim"-Städtebauer vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Die Anzahl der Gebäude, die das Zusammenleben erleichtern, ist auch begrenzt und Einflussmöglichkeiten auf ihre Funktion, etwa über Budgetzuweisungen, Stadtgesetze oder ähnliches, fehlen. Gerade im Hinblick auf aktuelle Diskussionen wäre eine Möglichkeit, zum Beispiel Schulen oder Jugendhäuser differenzierter zu beeinflussen, ein interessanter Ansatz gewesen, der die Komplexität des Spiels stark gesteigert hätte. Ein lebendiges und homogenes Stadtviertel zu erschaffen, stellt den Spieler zwar vor große Herausforderungen, es fehlen aber Möglichkeiten, diesen Zustand detaillierter zu beeinflussen, so dass dieses Experiment meist zum Scheitern verurteilt ist. Der Ansatz, mehr die Probleme des Zusammenlebens in der Großstadt zu thematisieren, ist hervorragend, bleibt in der Umsetzung aber leider zu abstrakt und vereinfacht, um langfristig allein Spielspaß zu garantieren. Bau auf, bau auf Der Hauptschwerpunkt eines jeden Stadtsimulators liegt natürlich im Aufbaupart. Gerade hier haben sich die Entwickler selbst ein Bein gestellt. Durch die Notwendigkeit, die Bevölkerungsgruppen strikt zu trennen, fällt der begrenzte Gebäudeumfang umso stärker auf. Fabriken sind, wie auch Freizeiteinrichtungen oder öffentliche Gebäude, Einzelgebäude, die - zwangsläufig - immer gleich aussehen. Es obliegt dem Spieler, durch geschicktes Platzieren, etwa von Tagelöhner- und Arbeiterfabriken, eine Industrieansiedlung ein wenig zu variieren. Da sich aber die Anzahl der verfügbaren Gebäude auf fünf beschränkt - zu Beginn des Spiels ist die Auswahl sogar noch geringer -, sind der stadtplanerischen Kreativität hier allzu deutlich Grenzen gesetzt. Dieser Mangel an Abwechslung zieht sich durch die gesamte Darstellung des Spiels. Sei es nun, dass in den Vierteln der Hippies beinahe jedes Fahrzeug ein bunt bemalter Bulli-Bus ist oder die Bewohner selbst, die irgendwie alle gleich aussehen. Eine komplexe Umgebung wie eine Stadt lebendig und abwechslungsreich wirken zu lassen, ist kein leichtes Unterfangen - jedes Modell mehr bedeutet für das System eine höhere Belastung und nimmt Ressourcen für andere Teile des Spiels. Durch die strikte Trennung in "City Life" fällt diese Schwäche, die das Spiel zweifelsohne mit vielen Simulationen teilt, nur überdeutlich ins Gewicht. Gut gelöst ist die visuelle Trennung der Viertel - entlang des Einflussgebietes der Vergnügungseinrichtungen färben sich die Bürgersteige leicht in der jeweiligen Farbe der Bevölkerungsgruppe, was eine schnelle Identifizierung des Gebietes ermöglicht und hilft, eventuelle Nachbarschaftsstreitigkeiten mit angrenzenden Vierteln schnell zu erkennen. Auch die Wohngebäude spiegeln die Eigenheiten ihrer Bewohner wieder, leider auch, ohne allzu große Unterschiede aufzuweisen. Dafür finden sich andernorts wiederum nette Ideen, so steht zu Beginn des Spiels nicht die gesamte Karte zur Verfügung, der Hobby-Bürgermeister darf Stück für Stück Parzellen zukaufen, um das Stadtgebiet zu erweitern. Manche Stücke sind auch gesperrt und werden erst beim Erreichen bestimmter Zielsetzungen freigeschaltet. So gilt es, eine bestimmte Bevölkerungszusammensetzung, Einwohnerzahl oder einen festen Betrag in der Stadtkasse zu erreichen. Diese "Stadtschlüssel" in den Ausführungen Gold, Silber und Bronze werden auch benötigt, um weitere Szenariokarten zu aktivieren und zu bespielen. "City Life" stützt sich nicht auf einen integrierten Karteneditor, sondern bietet eine Auswahl vordefinierter Karten, die mit verschiedenen Zielsetzungen und Voraussetzungen jedoch einige Hausforderungen bieten. Mit von der Partie ist natürlich auch ein freies Spiel, wo der städtebaulichen Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Der Großteil des Spiels wird Kennern des Genres sehr vertraut vorkommen, neben verschiedenen Straßentypen - die übrigens auch in freien Winkeln verbaut werden können - gibt es die üblichen Stromversorgungsgebäude, Abfallwirtschaft, Brücken und Polizeigebäude - kurzum, alles, was eine ordentliche Stadtsimulation ausmacht. Budget-Übersichten und demografische Karten geben dem Bürgermeister die nötigen Informationen, um die Stadt zur Blüte zu führen. Ebenfalls gibt es die Möglichkeit, einige Bürger zu beobachten, um ihren Werdegang in der Stadt verfolgen zu können. "City Life" liefert zwar einen Editor mit, mit dem sich selbst grundlegende Spieleigenschaften modifizieren lassen sollen, nur ist dieser an manchen Stellen so instabil, dass die Lust am Experimentieren schnell vergeht. Da Monte Christo den Editor auch explizit vom Support und Updates ausgenommen hat, bleibt es fraglich, ob das Spiel noch eine funktionierende Möglichkeit erhält, den Funktions- und Grafikumfang zu erweitern. Grafik Die grafische Darstellung von "City Life" ist ausgesprochen gut und bietet nicht nur die Möglichkeit, aus der gewohnten Vogelperspektive die Stadt zu betrachten, sondern bringt den Spieler in letzter Zoomstufe bis auf Straßenniveau hinab, um mit den virtuellen Bewohnern einen Stadtbummel zu wagen. Der Spieler kann sich völlig frei und in bewährter Egoshooter-Manier bewegen, den Bewohnern bei ihren täglichen Verrichtungen zusehen oder einfach nur die Aussicht genießen. Auf allen Zoomstufen sieht die Darstellung ansprechend aus, wenn auch durch die beschränkte Gebäudeanzahl etwas monoton. Sound Der Sound, was Geräusche von Fahrzeugen, Personen oder ähnlichem betrifft, ist gelungen und dem Spieltyp angemessen. Die Hintergrundberieselung, mit dem Charme eines Softerotikstreifens, lässt sich glücklicherweise abschalten. Ansonsten ist der Sound unspektakulär, passend zum Spiel, aber mit Sicherheit kein Highlight. "City Life" versucht, mit verschiedenen Bevölkerungsschichten mehr die soziale Komponente in die Stadtsimulation zu bringen und vermag dies in Ansätzen auch recht gut. Leider leidet die Komplexität des Spiels in anderen Bereichen darunter, so dass im Endeffekt keine Erweiterung des Genres herausgekommen ist, sondern es sich anfühlt, als ob lediglich verschiedene Elemente ausgetauscht wurden. Dennoch macht das Spiel eine Menge Spaß, bietet sowohl erfahrenen Städtebauern als auch Neulingen einige Herausforderungen und bringt frische Ideen in die Welt der Städtebauer. (26.05.2006)
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