Nier

Nier (PS3)

(Square Enix)

geschrieben von Witali Blum

 

 
Entwickler: Cavia
Publisher: Square Enix
Genre: Action-Rollenspiel
Releasedate: Bereits erhältlich
Homepage: Nier
Preis: 60,00 €
Altersfreigabe: Freigegeben ab 16 Jahren gemäß §14 JuSchG

Nachdem Square Enix mit "Final Fantasy 13" einen lang ersehnten Titel auf den Markt gebracht hat, will sich die Firma nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und liefert gleich das nächste Rollenspiel aus dem Land der aufgehenden Sonne. "Nier" soll die Rollenspielgemeinde in Europa und den USA bei der Stange halten, um den stetigen Geldstrom in die Kassen des Unternehmens nicht versiegen zu lassen. Lesen Sie im folgenden Test, ob das Spiel wirklich sein Geld wert ist und womöglich hilft, das bevorstehende Sommerloch ohne große Langeweile zu überstehen.

Die Legende

"Nier" erzählt die Geschichte des gleichnamigen Helden, der alles Erdenkliche tut, um seine Tochter Yonah von einer mysteriösen Krankheit, der Runenpest, zu heilen. Die häufigsten Symptome des Leidens sind heftige Gliederschmerzen, Atemnot und ein sich schnell ausbreitender, schwarzer Ausschlag auf der Haut, der unbekannte Zeichen formt. Niemand scheint zu wissen, wie die Pestilenz übertragen wird, denn das Gebrechen verhält sich nicht wie eine normale Krankheit. Während vereinzelte Personen beliebigen Alters oder Geschlechts erkranken, bleiben Menschen, die sogar im selben Haushalt wohnen, von der Runenpest verschont. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass die Schatten - humanoide magische Monster - aus unerfindlichen Gründen besonders daran interessiert sind, die Patienten heimzusuchen. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass die Welt von "Nier" fantastischen Ursprungs ist, zumal einige ihrer Bewohner arkane Kräfte entfesseln können. Trotzdem stößt man im Laufe des Abenteuers immer wieder auf Hinweise einer untergegangenen, hochtechnologischen Zivilisation, die auch real sein könnte.

Auf seiner verzweifelten Suche nach einem Heilmittel stößt der Protagonist auf ein geheimnisvolles, lebendes Buch namens Grimoire Weiss, das ihm magische Unterstützung in Kämpfen gewährt. Fortan kann der Held dunkle Speere schleudern oder sogar mit riesigen Geister-Fäusten den Weg von Gegnern freiräumen. Der neue Helfer gibt Nier die Hoffnung, seine Tochter vor der Runenpest retten zu können, denn eine alte Legende behauptet, dass ein weißes magisches Buch die Welt von der Krankheit befreien könne. Dazu müssen allerdings erst so genannte verschollene, dunkle Verse gefunden werden, die die wahre Macht von Grimoire Weiss aktivieren. Mit einem neuen Ziel vor den Augen macht sich der sorgenvolle Vater auf die Suche. Dabei erhält er unerwartet Hilfe von einer jungen Frau namens Kainé, die selbst von einem Schatten besessen zu sein scheint und dennoch ihr eigenes Bewusstsein behalten hat. Ihr loses Mundwerk, die spärliche Bekleidung sowie ihre exzentrische Persönlichkeit machen die beschwerliche Mission erträglicher. Später gesellt sich ein weiterer Kompagnon mit mysteriösen Kräften hinzu. Der Junge Emil sucht nach seiner eigenen Vergangenheit und beschließt, den Protagonisten zu begleiten. Gemeinsam macht sich die Gruppe daran, den mächtigen Schatten die dunklen Verse zu entreißen, um schließlich die Runenpest ein für alle Mal zu besiegen.

Der Kampf

"Nier" ist ein Action-Rollenspiel, das viele Hack'n'Slay-Kämpfe sowie einige einfache Schalterrätsel beinhaltet. Der Held des Titels ist ein Schwertmeister, der auf der Suche nach einem Heilmittel für seine Tochter zahlreiche Areale sowie Gewölbe durchstreift und dabei die monströsen Schatten bekämpft. Diese am häufigsten vorkommenden Gegner gibt es in allen Größen. Man erspäht sie ziemlich früh, weil sie als humanoide Wesen aus Licht und Schwärze aus der Landschaft hervorstechen. Abgesehen von ihrem Furcht einflößenden Äußeren besitzen die Monster ein gewisses Maß an Intelligenz, das ihnen erlaubt, taktisch klug ihre Fähigkeiten gegen den Helden einzusetzen. Die Nahkämpfer versuchen beispielsweise Nier einzukreisen, während die Magier auf Abstand gehen und den Protagonisten mit Energiekugeln beschießen. Blindes Gemetzel hilft dem Spieler nicht viel, man sollte sich lieber im Ausweichen und Blocken von Angriffen üben, um spätestens gegen die riesigen Bosse eine Chance zu haben. Die Kolosse kann man übrigens nicht mit Waffenkraft allein bezwingen, weil sie meist nur durch die Zauber des lebenden Buches Grimoire Weiss stark verwundbar sind.

Es ist nur logisch, dass der Held in heftigen Gefechten gelegentlich Blessuren davonträgt, die sich in einer abnehmenden grünen Lebensleiste am rechten oberen Bildschirmrand widerspiegeln. Im Gegensatz zur darunter liegenden blauen Magieleiste, die den Verbrauch von Grimoire Weiss' Zaubern anzeigt, füllt sich der Lebensbalken nicht wieder automatisch auf. Zum Glück findet man überall in den Leveln unter Bäumen sowie Sträuchern oder in zerbrechlichen Holzkisten Heilkräuter, die Linderung verschaffen. Gefallene Feinde hinterlassen manchmal ebenfalls Heilgegenstände. Der Vorrat an Medizin ist jedoch stark begrenzt, da das Inventar des Helden jeweils zehn Objekte der gleichen Sorte fassen kann. Alternativ kann Nier später das Blut gefallener Gegner absorbieren, um seine eigene Lebensenergie aufzufrischen. Falls der Held mal doch der feindlichen Übermacht unterliegen sollte, kann der Spieler das Abenteuer entweder am automatischen Speicherpunkt am Anfang des jeweiligen Spielabschnittes fortsetzen oder er greift auf den eigenen Speicherstand zurück, der an einem der spärlich gesäten Briefkästen erstellt worden ist. Die erstgenannte Variante ist dabei häufig die bequemere, weil die offiziellen Speicherpunkte sich hauptsächlich vor den Dungeons oder in Städten befinden, während die automatische Alternative den Charakter nur an den Anfang des jeweiligen Spielabschnittes befördert.

Wie es sich für ein RPG gehört, bekommt der Schwertmeister für besiegte Gegner Erfahrungspunkte, die seine Fähigkeitenstufe anheben, wenn er genug davon gesammelt hat. Die Charaktereigenschaften können dabei nicht individuell gesteigert werden, sondern werden automatisch um einen bestimmten Wert erhöht. Der Held hat nach seiner Aufwertung mehr Lebens- sowie Manapunkte zur Verfügung und verursacht einen deutlich größeren Schaden mit seinen Waffen. Leider wachsen auch die immer wieder neu erscheinenden Gegner mit, so dass bereits besuchte Spielabschnitte immer noch eine Herausforderung darstellen. Nun mag man sich fragen: Warum sollte der Spieler überhaupt auf bereits beschrittenen Pfaden wandeln wollen? Die Antwort ist simpel: Die meisten Nebenmissionen, die der Held von Nichtspielercharakteren erhält, zwingen ihn dazu. Mal muss ein entlaufener Hund gefunden oder unzählige Schafe in den Bergen gejagt werden, um an ihr Fleisch zu kommen. Alle Aufträge haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Nier wird von der Bevölkerung als Laufbursche missbraucht. Nur die fürstliche Bezahlung motiviert den Spieler die Nebenquests anzunehmen, da sie wegen mangelnder Abwechslung eher lästig sind und nebenbei auch keine Erfahrungspunkte bringen.

Mit genug Kapital kann der Protagonist sein Arsenal um einige beachtliche Tötungswerkzeuge aufstocken. Zu Beginn erwirbt man beim Schmied noch Einhandschwerter, die unterschiedlich schnelle Angriffe zulassen. Später kommen Zweihänder sowie Speere hinzu. Zusätzlich verbessert der Spieler in einer versteckten Werkstatt die Waffen mit bestimmten Rohstoffen, die äußerst selten von toten Gegnern fallen gelassen werden. Neben dem Umschmieden des Arsenals gibt es eine magische Optimierungsmöglichkeit: Gefallene Schatten hinterlassen manchmal Wortsilben, die Grimoire Weiss zu Worten der Macht kombinieren kann, um mit ihnen beispielsweise den Angriffsschaden der Waffen sowie Zauber zu erhöhen oder Sekundäreffekte wie "Vergiften", "Lähmen" und "Verwirren" hinzuzufügen. Regelmäßig findet man in den großflächigen Leveln jede Menge Gegenstände, die bei den Händlern in den Städten veräußert oder selbst benutzt werden können. Zusätzlich gibt es noch zwei Arten, um an wertvolle Ressourcen zu kommen: Angeln und Ackerbau. Beide friedlichen Betätigungen müssen erst über eine Questreihe aktiviert werden. Die Mühe lohnt sich auf alle Fälle, denn die gefangenen Fische bringen viel Geld ein und Gleiches gilt für die angebauten Pflanzen, die aus vergleichsweise billigen Samen gezüchtet werden. Interessant ist dabei die Tatsache, dass sich der Wachstumszyklus der bestellten Felder an der internen Uhr der Playstation 3 orientiert. Mit Hilfe einer Umstellung der Uhrzeit kann die Ernte eventuell früher eingesammelt werden.

Um auf der Reise nicht den Überblick zu verlieren, steht dem Spieler eine Minikarte mit einer Markierung für die Hauptquest zur Verfügung. Die große Version ist mit Hilfe der "Select"-Taste zugänglich. Jedoch muss man für unbekannte Gebiete oft einen Plan bei einem lokalen Händler erwerben, sonst zeigt das entsprechende Feld auf dem Bildschirm oder das Menü ein graues Nichts. Ferner liefert die Karte Informationen, ob irgendwelche Lebewesen in der Nähe sind. Besonders in der Wüste ist es hilfreich zu wissen, wo die giftigen Skorpione sich eingegraben haben, um Nier aus dem Hinterhalt anzugreifen. Schließlich ist noch erwähnenswert, dass das Spiel insgesamt vier unterschiedliche Endsequenzen zu bieten hat, die alle erst bei mehrmaligem Durchspielen zugänglich werden. Da nur wenige Spieler die notwendige Ausdauer für diese Aufgabe besitzen, haben die Entwickler mit Absicht es ermöglicht, dass man bei fünfzig Prozent der Hintergrundgeschichte erneut in das Geschehen einsteigen darf. Allerdings mag bezweifelt werden, dass die finalen Filme sowie die erringbaren Trophäen genug Zocker reizen würden, den langwierigen Titel erneut in Angriff zu nehmen - besonders, wenn sie bereits alle Quests im ersten Durchlauf gelöst haben und den Ausgang der Hauptaufgabe praktisch kennen.

Die Choreografie

Die Spielsteuerung ist intuitiv und bedarf fast keiner Erklärung, da man ziemlich früh alle grundlegenden Aktionen in einem Tutorial gefahrlos ausprobieren kann. Wie aus anderen Titeln gewohnt, dient der linke Analogstick des Playstation-3-Controllers zur Fortbewegung des Helden, während der rechte für die Kameraführung zuständig ist. Mit "X" macht der Protagonist einen Sprung und "Kreis" lässt ihn mit Objekten interagieren oder Nichtspielercharaktere ansprechen. Die übrigen zwei Symbole, "Quadrat" sowie "Dreieck", dienen dem Kampf, wobei wiederholtes Drücken Kombinationsangriffe auslöst. Die Trigger des Controllers können frei belegt werden. Am besten hat sich jedoch die Einstellung bewährt, "R1" und "L1" fürs Blocken und Ausweichen zu reservieren, derweil "R2" sowie "L2" die mächtigsten Zauber aus Grimoire Weiss' Repertoire aktivieren sollten. Zusätzlich lassen Gegner oder zerbrochene Kisten so genannte Info-Kugeln fallen, die Tipps für das Spiel beinhalten und im entsprechenden Menü jederzeit nachgelesen werden können. Für erfahrene Rollenspieler sind die Informationen in der Regel nutzlos, weil sie das meiste davon bereits selbst herausgefunden haben.

Die Kunst

Die grafische Präsentation von "Nier" weckt zwiespältige Gefühle. Auf den ersten Blick wirken die großen Level wüst und leer, weil es ihnen an Objekten wie Felsen, Bäumen oder Tieren mangelt. Außerdem bieten die Landschaftstexturen nur wenig Abwechslung fürs Auge, denn die Entwickler haben wohl viel zu häufig mit "Kopieren & Einfügen" gearbeitet, so dass beispielsweise der Boden unter den Füßen des Protagonisten mancherorts eher wie ein ordentlicher Teppich aussieht. Dafür glänzt das Spiel mit dem Design von Charakteren sowie feindlichen Endbossen, die im krassen Gegensatz zum beinahe sterilen Exterieur äußerst imposant in Szene gesetzt werden. Die Körper der mächtigen Opponenten sind gut modelliert und ihre magischen Angriffe sorgen mitunter für ein optisches Feuerwerk, das gelegentlich einem 2D-Shooter im "R-Type"-Stil gleicht. Darüber hinaus gibt es eine bemerkenswerte Kameraführung, die in einigen Situationen von der standardmäßigen, frei rotierbaren 3D-Ansicht abweicht und durch automatisches Herauszoomen einen zweidimensionalen Blickwinkel auf das Geschehen schafft. Ob die Draufsicht wirklich nötig ist, steht auf einem anderen Blatt. Zumindest vermittelt dieses Feature den Eindruck eines Genremixes zwischen einem Arcade-Game aus der alten Schule sowie einem modernen Rollenspiel.

Die Musik

Der Soundtrack ist nahezu typisch für einen Titel, der seinen Ursprung im Land der aufgehenden Sonne hat. Er besteht größtenteils aus instrumentalen sowie vokalen Kompositionen des Japan-Pop-Genres und hat starken Ohrwurmcharakter. Leider wurde die deutsche Synchronisation nur in Textform umgesetzt, so dass Spieler auf ihre Englischkenntnisse angewiesen sind, wenn sie den Dialogen oder Zwischensequenzen ohne Untertitel folgen wollen. Wer über diesen Fauxpas hinwegsehen kann, wird mit teilweise witzigen Konversationen der Charaktere belohnt, die gekonnt von den Synchronsprechern vertont werden. Vor allem die neckischen Sticheleien von Grimoire Weiss gegen die aufbrausende Kainé mit ihrem losen Mundwerk lockern die düstere Atmosphäre des Abenteuers etwas auf. Trotz allem gibt es auch auf der tontechnischen Seite einen groben Makel, der mit zunehmender Spieldauer die Nerven der Zocker stark strapaziert. So merkwürdig es klingen mag, erzeugt der Protagonist nur zwei Arten von Laufgeräuschen, die sich zwar passend zur Oberfläche ändern, aber dennoch unglaubwürdig anhören. Der erste Laut ist mit dem Klicken von Stöckelschuhen auf Parkett vergleichbar, während der zweite eher dem Schlurfen von Sandalen auf Sandboden zuzuschreiben ist. Was zuerst als trivial erscheint, geht einem zunehmend immer mehr auf den Wecker. Das Problem lässt sich nicht über das Einstellungsmenü beheben, denn wenn man den Geräuschpegel der Schritte senkt, büßt man gleichzeitig die vergleichsweise gut gelungenen Soundeffekte für Zauber oder Angriffe ein.

Fazit

Auch wenn "Nier" nicht gerade eine Meisterleistung in Sachen Soundeffekte oder Grafik darstellt, ist es ein Action-Rollenspiel, das durchaus für viele Zocker interessant sein könnte. Der Titel besticht vor allem durch gelungenes Charakter- sowie Gegnerdesign und eine fesselnde Hintergrundgeschichte, die man zumindest ein Mal bis zu Ende gehört haben möchte. Trotzdem halte ich den aktuellen Kaufpreis etwas überzogen, denn der Konkurrent aus eigenem Hause - gemeint ist natürlich "Final Fantasy 13" - ist zurzeit sogar noch günstiger zu haben und hat nicht so viele Ecken und Kanten, an denen die Entwickler hätten feilen müssen. Die einzigen Menschen, die vielleicht sofort das Spiel erwerben sollten, sind Genreliebhaber mit einem dicken Geldbeutel, denn diverse Versandhäuser haben nur noch wenige Exemplare von "Nier" auf Lager.

(08.06.2010)

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