Multiwinia – Survival of the Flattest

Multiwinia – Survival of the Flattest

(Flashpoint)

geschrieben von René Gurlin

 

 
Entwickler: Introversion Software
Publisher: Flashpoint
Genre: Strategie
Releasedate: Bereits erhältlich
Homepage: Multiwinia
Preis: 29,99 €
Altersfreigabe: Freigegeben ab 12 Jahren gemäß §14 JuSchG

Ursprünglich nur als Erweiterung der "Xbox Live Arcade"-Version des Vorgängers "Darwinia" gedacht, erscheint "Multiwinia" jetzt als eigenständiges Strategiespiel auch für den PC und bietet somit allen Liebhabern der kleinen flachen Strichmännchen die Chance, sich im Mehrspielermodus gegen andere Mitspieler zu behaupten. Ob das Konzept aufgeht, oder ob es nur bei der tollen Grundidee bleibt, wollen wir in diesem Test herausfinden.

Nur die Flachsten überleben

"Multiwinia" setzt einige Zeit nach den Ereignissen von "Darwinia" an. Damals hatte der Computer-Wissenschaftler Dr. Sepulveda die namensgebende digitale Welt erschaffen, in der das friedliche virtuelle Volk der Darwinianer lebte und sich entwickelte. Nur haarscharf wurde verhindert, dass aggressive Computerviren diese künstliche Biosphäre zerstören und die Bewohner ausradieren konnten. Nachdem die Bedrohung ausgeschaltet wurde, haben sich die einstmals friedliebenden Darwinianer in verschiedenfarbige Stämme aufgespaltet und kämpfen nun als Multiwinianer um die Vorherrschaft um die knapper werdende Ressource dieser virtuellen Welt: Polygone. Der Spieler übernimmt die Kontrolle eines Stammes und muss ihn zur Vorherrschaft über die anderen Konkurrenten führen.

Auf das Wesentliche konzentrier

Anders, als es die interessante Hintergrundgeschichte auf der Verpackungsrückseite vielleicht impliziert, sollte man im Spiel keinen Kampagnen- oder Storymodus erwarten; es gibt nämlich keinen. Das Augenmerk liegt einzig und allein auf Mehrspielergefechten und der direkten Konkurrenz zu anderen Spielern, ganz im Sinne des Namenspaten Charles Darwin. Zwar wird die Möglichkeit zu "Einzelspieler-Runden" angeboten, allerdings verbirgt sich dahinter nichts anderes als das Spielen der einzelnen Karten und Modi gegen einen bis drei Computergegner. Die CPU kann dabei in der Stärke von leicht bis stark variiert werden und gibt selbst auf der einfachsten Stufe noch einen recht passablen Widersacher ab. Dies täuscht aber nicht darüber hinweg, dass es im Grunde nur Trainingseinheiten für die eigentliche Herausforderung von "Multiwinia" sind, nämlich den "Mehrspieler-Runden" gegen menschliche Mitspieler. Darunter wird im Übrigen ausschließlich das Online-Spielen verstanden, ein LAN-Modus ist nicht vorgesehen.

Kommen wir zum eigentlichen Spiel: Wer jetzt Techtrees, Gebäudebau, Ressourcenmanagement und Einheitenvielfalt erwartet, wird enttäuscht. "Multiwinia" verzichtet auf all diese Merkmale moderner Strategietitel und konzentriert sich voll und ganz auf die Grundlage des Genres: Taktik. Die einzigen Einheiten sind die kleinen, flachen "Multiwinianer", die in regelmäßigen Abständen automatisch aus den Brutstätten, fest vorgegebenen Gebäuden, herausschlüpfen. Bewaffnet sind sie mit Lasern und gelegentlich werfen sie auch Granaten. Ein einzelnes dieser Strichmännchen ist ziemlich schwach, aber in Massen auftretend stellen sie eine ordentliche Streitmacht dar. Und Masse gibt es reichlich. Während einer Partie wird es immer wieder zu Massenschlachten kommen, die sich nicht hinter "Supreme Commander" zu verstecken brauchen. Gleichzeitig erinnert das Ganze ein wenig an "Lemmings", denn die Figürchen bleiben nicht einfach stillstehen, sondern wandern etwas herum und bilden bei Kämpfen kleine oder größere Knäuel. Um etwas Ordnung in das Chaos zu bringen, können einzelne Multiwinianer zu Offizieren befördert werden. Offiziere können feste Wegpunkte vorgeben, an denen sich die anderen Multiwinianer sammeln sollen, was einen Schlüssel zum Erfolg darstellt, denn nur wenn die Logistik klappt und die Verstärkung rechtzeitig eintrifft, können Kämpfe gewonnen werden. Weiterhin können sie so genannte Formationen anführen, in denen sich bis zu 100 Multiwinianer in einer Art Phalanx aufstellen. Formationen marschieren und greifen konzentrierter und zielgerichteter an, verzichten allerdings auf Granaten. Zudem sind sie an der Rückseite verwundbar, und können mittels geschickter Flankenmanöver aufgerieben werden. Diese Einfachheit und die Konzentration auf das Wesentliche lassen dem Spieler viel Zeit, um sich auf das reine taktische Vorgehen zu konzentrieren.

Die Spielmodi und Karten sind im Einzel- und Mehrspielermodus identisch. Introversion hat sich beim Gestalten der verschiedenen Game-Varianten teilweise von diversen Shootern inspirieren lassen und sie in das Strategiegenre übertragen. Folgende Spielvarianten stehen zur Auswahl:

"Vorherrschaft": Ziel ist es, die Kontrolle über alle Brutstätten auf der Karte zu erlangen und die feindlichen Stämme auszulöschen bzw. nach Ablauf der Zeit die meisten zu besitzen.

"Hügelkönig": Auf der Karte verteilt gibt es verschiedene Punktezonen, die es zu besetzen gilt. Je mehr und je länger man diese unter Kontrolle hat, umso mehr Punkte werden dem Spieler gutgeschrieben. Es gewinnt, wer nach Ablauf der Zeit die meisten Punkte sein Eigen nennen kann.

"Schnapp dir die Statue": Im Spiel erscheinen nach dem Zufallsprinzip an festgelegten Punkten immer wieder große Statuen, die zum eigenen Zielpunkt transportiert werden müssen. Pro erfolgreich erbeutetem Denkmal erhält man Punkte; gleichzeitig muss man den Gegner daran hindern, das Gleiche zu tun.

"Blitzkrieg": Jeder Stamm beginnt mit einer Heimatbasis und einer darin befindlichen Flagge. Ziel ist die Eroberung der feindlichen Heimflaggen, allerdings müssen dazu vorher kleinere Checkpoints eingenommen werden, um eine direkte Verbindung zwischen beiden Basen zu schaffen. Wird die eigene Heimflagge erobert, verliert man.

"Raketenrevolte": Jeder Stamm besitzt eine "Rakete des Verhängnisses", die es aufzutanken und erfolgreich zu starten gilt. Hierfür müssen zuerst Treibstoff-Pumpen erobert und dann das Geschoss bemannt werden. Zudem muss verhindert werden, dass die sehr empfindliche Rakete vor Ablauf des Countdowns vernichtet wird. Gelingt dies nicht, muss man von vorne beginnen. Der Spieler, der zuerst die Rakete in die Luft bringt, gewinnt.

"Sturmangriff": Ein Spieler ist im Besitz einer Massenvernichtungswaffe und muss sie bis zum Ablauf des Countdowns verteidigen, während alle anderen versuchen, sie zu vernichten. Der Verteidiger verfügt von Anfang an über gut ausgebaute Verteidigungsanlagen samt Geschütztürmen, erhält dafür aber wenig Nachschub in Form neuer Multiwinianer. Die Angreifer hingegen erhalten häufiger und mehr Verstärkung, so dass es im Grunde nur eine Frage der Zeit ist, bis die feindliche Festung fällt. Ist eine Runde beendet, werden die Seiten gewechselt und das Ganze wiederholt sich. Sieger ist, wer die Festung am längsten halten konnte.

Pro Spielmodus stehen neun Karten zur Auswahl. Allerdings handelt es sich nicht um 54 einzigartige Schlachtfelder, manche werden in kleinen Abwandlungen in verschiedenen Varianten mehrfach eingesetzt. Dabei reichen die Szenarien von großen Ebenen über Inselketten bis hin zu regelrechten, von Bergen und Tälern erzeugten, Irrgärten. Je nach Map können zwei bis vier Spieler teilnehmen und prüfen, wer der "flachste" von ihnen ist. Manche Spielmodi, etwa "Hügelkönig" oder "Vorherrschaft", erlauben auch teambasierte Schlachten, zum Beispiel zwei gegen zwei. Nicht belegte Startplätze werden vom Computer aufgefüllt. Die vielfältigen Landschaften und die unterschiedlichen Spielregeln sorgen anfangs für einige Abwechslung in spielerischer und taktischer Hinsicht, trotzdem stellt sich auf Dauer ein gewisser Abnutzungseffekt ein. Hier kann eventuell die fleißige Fangemeinde mit selbst kreierten Maps oder gar Modi für Abhilfe sorgen. Immerhin sorgt der meist aktivierte Timer dafür, dass alle Spieler unter Druck stehen, wodurch eine Partie nie einschläft und es stets lebhaft zugeht.

Glücksspiel und Rache

Eine wichtige Rolle in den Gefechten spielen Power-Ups, die in Form von Kisten auf die Karte segeln und sowohl positive als auch negative Folgen haben können. Hier ein paar Beispiele:

"Luftschlag": Der Spieler kann ein Bombardement feindlicher Positionen anordnen.

"Gefechtstürme": Mächtige Verteidigungsanlagen, die frei platzierbar sind und enorme Vorteile beim Halten wichtiger Stellungen bringen. Zusätzlich kann der Spieler sie, falls gewünscht, selbst steuern und abfeuern, allerdings ist die Kamerasteuerung ziemlich ungenau.

"Seuche": Eine Krankheit infiziert die Multiwinianer des einsammelnden Spielers und tötet sie nach kurzer Zeit. Fieserweise breitet sie sich von Strichmännchen zu Strichmännchen aus, weswegen Kranke (erkennbar am gelben Glühen) sofort isoliert werden müssen.

"Eier": Sie können auf der Karte platziert werden. Aus ihnen schlüpfen nach kurzer Zeit verschiedene, aus "Darwinia" bekannte Virenmonster, die Multiwinianer angreifen.

Ein rechtzeitig aufgesammeltes und eingesetztes PowerUp kann den Ausgang des Spiels entscheidend beeinflussen, weswegen erbitterte Kämpfe um sie geführt werden. Zurückliegende Spieler bekommen im Übrigen wesentlich häufiger Kisten mit besseren Inhalten als in Führung liegende Kontrahenten, ähnlich wie in "Mario Kart Wii".

Scheidet ein Spieler vorzeitig aus dem aktiven Spiel aus, etwa weil er keine Brutstätten mehr kontrolliert, muss das noch lange nicht das Ende bedeuten. Bei aktiviertem "Vergeltungsmodus" kann er immer noch Einfluss nehmen, denn auch als Zuschauer erhält er regelmäßig Power-Ups, mit denen er die überlebenden Spieler piesacken oder sogar sich bei seinem Peiniger rächen kann.

Vor Spielstart können diverse Parameter noch verändert werden. Beispielsweise können das Zeitlimit verändert oder ganz abgeschaltet, starke Power-Ups deaktiviert, das oben beschriebene Kistenverhalten beeinflusst oder das Punktewertungssystem verändert werden.

Strategie trifft Shooter

Was sofort negativ auffällt: die Steuerung ist fest vorgegeben und lässt sich nicht frei konfigurieren. Dafür unterstützt das Spiel immerhin den Xbox-Controller für den PC, ein Erbe der "Xbox Live Arcade"-Wurzeln (schließlich gibt es auch eine Xbox 360-Ausgabe des Spiels). Ansonsten wird per Maus und Tastatur gesteuert. Mittels Maus wird die Sicht in der 3D-Welt verändert, stufenlos raus- oder reingezoomt und Einheiten ausgewählt. Die Tatsache, dass die Kamera, anders als in meisten Strategiespielen, immer dem Mauszeiger folgt, und dieser auch nicht zum Verschieben des Kartenausschnitts dient, irritiert anfangs. Zum Bewegen der Kamera werden nämlich die WASD-Tasten benutzt, wodurch die Gesamtsteuerung an einen Shooter erinnert.

Genauso ungewöhnlich funktioniert das Aus- und Abwählen der einzelnen Multiwinianer: Will man in klassischen Vertretern des Genres mehrere Einheiten markieren, zieht man mit der Maus einen Auswahlkasten; in "Multiwinia" hingegen erscheint bei Linksklick ein Auswahlkreis, der sich vergrößert, je länger die Maustaste gedrückt wird. Zwar verrät ein Icon die Anzahl der soeben markierten Strichmännchen, trotzdem kann man damit nicht sehr genau arbeiten. Zum Abwählen muss die Leertaste betätigt werden. Glücklicherweise gewöhnt man sich an diese ungewöhnliche Kombination aber sehr schnell. Wenigstens Kommandos werden klassisch mit der rechten Maustaste abgesetzt.

Weniger glücklich ist aber folgende Tatsache: Um eine ganze Formation zu befehligen, muss immer der Offizier ausgewählt werden, was kombiniert mit jeweiliger Kamera-Perspektive und Einheitengewusel nicht immer ganz einfach ist. Ebenso nervig: markiert man im Eifer des Gefechts mittels Auswahlkreis aus Versehen auch Teile einer Formation und vergibt einen Befehl, führt dies dazu, dass sich Teile des Trupps vom Rest absetzen und sich die schicke Formation teilweise auflöst.

Optisches Gesamtkunstwerk

Grafisch hat sich gegenüber dem Vorgänger nur sehr wenig verändert, und das muss nicht automatisch etwas Schlechtes bedeuten. Noch immer erinnert die gesamte Landschaft an alte Computersimulationen aus den 70er- und 80er-Jahren, und erzeugt zusammen mit den bunten, kräftigen Farben einen einzigartigen Retro-Look, wie aus den Anfängen der Computerspiele. Pixelige und kantige Modelle, Gelände-Formationen, bei denen man jedes einzelne Polygon zu erkennen glaubt, erzeugen ein wahres Nostalgie-Feuerwerk im Spieler. Animationen werden nur sehr selten und sparsam eingesetzt - die Hauptdarsteller des Spiels, die Multiwinianer, besitzen gar keine und zeigen immer die gleiche starre Haltung - was dem Charme des Spiels aber keinen Abbruch tut. Schicke Lichteffekte und Explosionen runden das Ganze ab. Fairerweise muss man zugeben, dass so "Multiwinia" eher an ein Kunstwerk als an ein tatsächliches Spiel erinnert, und wie das nun mal bei Kunst so ist, handelt es sich um eine absolute Geschmacksfrage. Nicht jedem wird diese Art der Präsentation gefallen.

Akustische Sparflamme

Musik wird nur im Hauptmenü geboten, im eigentlichen Spiel fehlt sie und wird durch das kräftige Wehen eines virtuellen Windes oder sehr dezente atmosphärische Klänge ersetzt. Dafür geht dem Spieler dieses einzige Musikstück besonders in der Multiplayerlobby schon nach einiger Zeit auf die Nerven, da man öfters mal längere Zeit nach einem Spiel suchen muss und sie einfach eine Spur zu auffällig ist, um ignoriert zu werden. Der Rest der Akustik zeichnet sich, wie bereits die Grafik, durch eine Nähe zu den Ursprüngen der Computerspiele aus. Die Laser der Multiwinianer erzeugen ein klassisches "Piu Piu" und Menüpunkte oder Befehle werden mit einfachem Piepsen bestätigt. Gleichzeitig dröhnen Explosionen dafür umso lauter aus den Lautsprechern und Luftschläge klingen wie reale Bombeneinschläge. Trotzdem wäre ein klein wenig mehr Abwechslung für das Ohr wünschenswert gewesen.

"Multiwinia" ist kein gewöhnliches Strategiespiel. Wo andere Titel mit großer Einheitenvielfalt und komplexen Techtrees klotzen, konzentriert es sich auf das Wesentliche. Kombiniert mit dem außergewöhnlichen Look hätte es ein echter Knaller werden können. Leider fehlt die nötige Langzeitmotivation, bedingt durch die geringe Kartenanzahl. Aber für ein kleines Spiel zwischendurch reicht es alle mal, auch wenn der Preis von knapp 30 EUR etwas zu hoch erscheint. Wer auf außergewöhnliche Spiele steht, sollte sich aber auf jeden Fall zumindest die Demo anschauen.

(27.10.2008)

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