Half-Life 2: Episode One (Electronic Arts) geschrieben von Jan-Tobias "Erdendonner" Kitzel
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Half-Life 2 ... allein der Name reicht, um vielen Shooter-Liebhabern einen wohligen Schauer über den Rücken zu jagen. War und ist der Ende 2004 erschienene Shooter doch einer der besten Vertreter seines Genres, verkaufte sich wie geschnitten Brot und ließ die Spielezeitschriften reihenweise Traumnoten vergeben. Nun hat Valve nachgelegt und mit "Half-Life 2: Episode One" (HL2EP1) ein Stand-Alone-Addon herausgegeben. Wir haben uns für euch also wieder in Gordon Freemans Schutzanzug geschmissen und City 17 unsicher gemacht. Gameplay oder "Gravity Gun rules!" Vor alle Spielgenüsse haben die PC-Götter bei unserem Hobby die Installation gesetzt. Und "Half-Life 2: Episode One" setzt die schlechten Angewohnheiten des Basisspiels ("Half-Life 2") konsequent fort: Weiterhin kommt nur in den Spielgenuss, wer die Valve-eigene Spieleplattform "Steam" gleich mitinstalliert (falls nicht schon auf dem PC vorhanden) und sich dort anmeldet. Ohne Steam läuft HL2EP1 schlicht nicht. Und auch das Thema Handbuch ist wieder einmal ein unerquickliches: Nur ein doppelseitig bedruckter Waschzettel mit Installationshinweisen und den wichtigsten Steuerbefehlen liegt dem Spiel bei und weder auf der DVD (wenn man überhaupt die Ladenversion erworben und nicht direkt über Steam per Kreditkarte zugeschlagen hat) noch über Steam ist ein ausführliches Handbuch erhältlich. Schwach. Aber um das Fußball-Sprichwort abzuwandeln: Wichtig ist im Spiel! Und hier zeigt "Half-Life 2: Episode One", dass es nicht nur die alten Stärken von "Half-Life 2" in die Schlacht führen kann, sondern sogar einige, wenn auch eher subtile, Neuerungen mit sich bringt. Aber der Reihe nach. Ihr schlüpft in HL2EP1 erneut in Gordon Freemans Schutzanzug, habt eure gut aussehende Begleiterin Alyx an der Seite und zeigt den fiesen Combine, was man mit einer Gravity Gun alles an Gemeinheiten anstellen kann. Inhaltlich setzt HL2EP1 dort an, wo "Half-Life 2" endet: bei der Flucht aus der kurz vor der Zerstörung stehenden Zitadelle und raus aus der Totalüberwachungsstadt City 17. HL2EP1 wartet mit fünf Kapiteln auf, die jeweils ihre eigenen Schwerpunkte setzen. Während ihr im ersten Kapitel nur die Gravity Gun zur Verfügung habt und einige Kopfnüsse zu knacken sind, spielt sich beispielsweise das fünfte Kapitel deutlich kampflastiger. So sorgt Valve dafür, dass euch in den circa sechs Stunden Spielzeit nie langweilig wird und reichlich Abwechslung gegeben ist. Wie angesprochen sind die Neuerungen von HL2EP1 gegenüber "Half-Life 2" eher subtil: zum einen wurde die Grafik etwas aufpoliert (dazu später mehr), zum anderen wurden ein paar spielerische Neuerungen eingeführt. So seid ihr im ersten Kapitel mit einer aufgemotzten Gravity Gun unterwegs, die für eine gewisse Zeit nicht nur wie üblich Objekte anziehen und abstoßen, sondern diese Fähigkeit auch auf Lebewesen anwenden kann. Dutzende von mir an Wände und Decken geschmetterte Combine wissen davon ein Lied zu singen. Aber auch eure Begleiterin Alyx hat in "Half-Life 2: Episode One" eine aktivere Rolle erhalten als im Hauptspiel. Sie begleitet euch während des gesamten Spiels, kämpft mit euch (ohne euch die ganze Arbeit abzunehmen), gibt, wenn ihr mal feststeckt, Lösungshinweise und hat stets einen Spruch auf den Lippen. Aber sie zeigt auch Verletzlichkeit, wenn sie beispielsweise an mancher Stelle ängstlich reagiert (angesichts der Umgebung von City 17 auch kein Wunder) und so den Beschützerinstinkt in euch weckt. Ein geschickter Trick, um den Spieler emotional tiefer in das Geschehen hineinzuziehen. Und es funktioniert. Und eine weitere Gameplay-Neuerung weiß zu überzeugen: Die Ladezeiten zwischen zwei Kapitelszenen wurden (zum Teil deutlich) gesenkt, so dass die Unterbrechungen spürbar kürzer ausfallen. Wer nach sechs Stunden Spielzeit bereits meint, alles gesehen zu haben, hat die Rechnung ohne den Valve-Wirt gemacht: Er hat HL2EP1 eine Kommentar-Funktion spendiert. Aktiviert ihr diese, könnt ihr euch an vielen Stellen im Spiel Kommentare der Entwickler anhören, die euch erzählen, warum sie diese oder jene Szene eben so erstellt haben. Eine gute Idee, die für Motivation selbst nach dem Spielende sorgt. "Half-Life 2: Episode One" stellt eine gelungene Mischung aus Kampfszenen, kleinen Rätseleinlagen und atmosphärisch dichten Levels dar und spielt sich erneut locker in die Top 5 des Shooter-Genres. Und auch die Gegner wissen erneut zu überzeugen, agieren sie doch vergleichsweise clever, sind abwechslungsreich gestaltet und verlangen unterschiedliche Herangehensweisen. Einzig die Platzierung so manches Kontrahenten sorgt für unfreiwillige Schmunzler: Viele Gegner - insbesondere die neuen Zombie-Combine (Headcrab plus Combine-Soldat) - scheinen nichts anderes zu tun zu haben, als tagelang auf den einen vorbeihetzenden Spielercharakter zu warten. Dass ihre Stadt gerade dem Untergang geweiht wurde, scheint sie nicht wirklich zu interessieren, sie warten dennoch auf Gordon Freeman und Alyx. Das wurde in anderen Shootern besser gelöst, so nahm man beispielsweise den Wachen bei Far Cry wirklich ab, dass sie auf Patrouille waren. Aber diese kleine Kritik ist schon Nörgeln auf hohem Niveau, macht "Half-Life 2: Episode One" doch sonst im Gameplay-Bereich alles richtig und sorgt für abwechslungsreiche Stunden. Grafik oder "Danke, danke, danke!" "Half-Life 2" war seinerzeit das grafische Nonplusultra im Shooter-Genre. Durch einige Detailverbesserungen, beispielsweise eine lebensechtere Mimik der Charaktere, die Einführung einer neuen Lichttechnik (HDRR) und einige Polierarbeit kann auch "Half-Life 2: Episode One" behaupten, mit zum Besten zu gehören, was den Shooter-Fan grafisch erwartet. Unangefochten ist die Position von HL2EP1 im Gegensatz zur damaligen Lage zwar nicht mehr (F.E.A.R. und Kollegen lassen grüßen), aber zu den Grafik-Top 5 darf sich auch "Half-Life 2: Episode One" ohne Zweifel zählen. Wenn Lichtstrahlen physikalisch korrekt durch Löcher in der Wand fluten, die Gegneranimationen aufgeklappte Münder hinterlassen (beim Spieler, nicht beim toten Spielercharakter) und man dem PC-Gott für leistungsfähige Hardware dankt, dann spielt man gerade "Half-Life 2: Episode One". Sound oder "Faszinierend!" Auch im Bereich Sound führt "Half-Life 2: Episode One" die Stärken von "Half-Life 2" gekonnt fort. Der akustische Hintergrund, also beispielsweise Waffengeräusche, Gegnersounds und Umgebungslärm, istatmosphärisch klasse gemacht und hört sich einfach gut an. Aber auch die Musik weiß zu überzeugen: Nur dann eingespielt, wenn es die Szenerie gerade benötigt, zieht sie sofort in ihren Bann und unterstreicht die aktuelle Spielsituation absolut passend. So muss Spielmusik sein! Sie nervt zu keinem Zeitpunkt, unterstützt die Atmosphäre, spielt sich aber nicht so sehr in den Vordergrund, dass die eigentliche Spielaction dadurch verblasst. Einfach nur gut! "Half-Life 2: Episode One" stellt laut Valve "die erste neue Episode für Half-Life 2" dar und weitere sollen folgen. Danke, danke, danke! Denn "Half-Life 2: Episode One" überzeugt auf der ganzen Linie: Spannendes und abwechslungsreiches Gameplay mit geschickten, wenn auch subtilen Neuerungen gegenüber dem Vorgänger, eine leicht verbesserte Grafik und ein Sound zum Dahinschmelzen. Einzig die Handbuch-Waschzettel-Politik, die Steam-Pflicht und der für sechs Stunden Spielzeit doch schon grenzwertige Preis (19,95 Euro) geben leichte Abzüge in der B-Note. Aber wer "Half-Life 2: Episode One" spielt, hat all das in Sekundenbruchteilen vergessen, zieht das Spiel doch sofort wieder in seinen Bann und zeigt auf ganzer Linie seine Klasse. Eine Anmerkung sei noch erlaubt: "Half-Life 2: Episode One" ist ein Stand-Alone-Addon, der Besitz von "Half-Life 2" ist also eigentlich nicht vonnöten. Empfehlenswert ist es für Neulinge dennoch nicht, erst mit HL2EP1 in die Geschichte von Half-Life 2 einzusteigen - zu zahlreich sind die Bezüge auf das bereits Geschehene. Wer "Half-Life 2" also noch nicht gespielt hat: Kauft euch am besten sowohl das mittlerweile günstig erhältliche "Half-Life 2" als auch HL2EP1, ihr werdet es nicht bereuen. Man kann Valve nur zu der Entscheidung gratulieren, das Spielsystem von "Half-Life 2" nicht mit "revolutionären Neuerungen" in Frage gestellt, sondern vielmehr durch kleinere Änderungen die Stärken gekonnt weiterentwickelt zu haben und dem Spieler genau das zu geben, wonach er beim Ende von "Half-Life 2" verlangt hat: mehr davon! Mit einem Wort: Bitte Valve, mehr davon! Ich freue mich schon sehr auf die weiteren Episoden und spreche für "Half-Life 2: Episode One" eine klare Kaufempfehlung aus. (09.06.2006)
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