Fahrenheit

Fahrenheit

(Atari)

geschrieben von Heinz Tönnies

 

Story: Mord im Restaurant

27. Januar. New York. Obwohl das Quecksilber im Thermometer in den letzten Tagen und Wochen beständig gefallen ist - nunmehr auf -10° Fahrenheit -, weshalb sich die Bürger zunehmend nur noch im beheizten Heim aufhalten, hat sich erneut ein kaltblütiges Verbrechen in unserer Stadt ereignet. Heute, früh um Mitternacht, fiel ein Mann in einem Restaurant einem Mord zum Opfer: Während er sich auf der Toilette des 'Doc´s Diner' die Hände wusch, wurde er hinterrücks von einem - wahrscheinlich verrückten - Gast des Lokals niedergestochen. Drei Messerstiche ins Herz führten unweigerlich zum Tod. Der Täter konnte flüchten, aber die Zeugenaussagen und ersten Ermittlungen des hiesigen New Yorker Police Departments geben Hoffnung, dass er bald gefasst wird: Mit Hilfe einer aufmerksamen Zeugin konnte ein erstes Phantombild erstellt werden und die Indizien, die er hinterlassen hat, geben viele Informationen zum Tathergang ab. Das Motiv für diese Tat bleibt jedoch noch unklar, denn der Täter ließ sowohl die Geldbörse des Opfers als auch die eigenen Fingerabdrücke und Blutspuren am Tatort zurück.

Was bewog folglich den Täter zu diesem Verbrechen? Und überhaupt, wer konnte dazu mitten im "Zentrum des Universums", New York, fähig sein? Wenn Sie Aussagen machen können, die dieses Verbrechen betreffen, melden Sie sich bitte bei der nächsten Polizeistelle oder direkt bei den ermittelnden Polizisten des Abschnitts 823 ...

... Sie können, aber Sie werden nicht. Vorerst ... Sie sind Lucas Kane, Leiter der Informatikabteilung der Naser&Jones-Bank in New York. Seit etwa einem Monat leben Sie getrennt von Ihrer bisherigen Lebensgefährtin. Weil Sie die Trennung noch nicht überwunden haben, kehren Sie nur noch zum Schlafen heim. Wenn überhaupt, denn alles, was Sie an Ihre Beziehung erinnert, auch Ihr mittlerweile ehemaliges gemeinsames Zuhause, ruft Schmerz in Ihnen hervor. Deshalb verbringen Sie die Abende nach Geschäftsschluss allein. So auch in der Nacht vom 26. auf den 27. Januar in einem New Yorker Restaurant. Um Mitternacht fanden Sie sich plötzlich blutverschmiert, mit aufgeschnittenen Unterarmen, die seltsame Symbole getragen haben und einem Messer in der Hand im dortigen Waschraum wieder. Zuvor hatten Sie sich in einem Zustand der Trance mit diesem Messer die Unterarme aufgeschnitten und anschließend einen Ihnen bisher wildfremden Mann niedergestochen. Sie sahen, was Sie taten, aber so, als wenn jemand Ihrem Bewusstsein Fesseln angelegt hätte, konnten Ihrem Körper keinen Einhalt gebieten. Erst als der fremde Mann regungslos vor Ihnen gelegen hatte, wachten Sie auf und erlangten Ihr Bewusstsein zurück. Doch nun war es bereits zu spät: Der Mann war tot und gemäß der Sachlage - die Mordwaffe in der Hand, Blut vom Opfer und eigenes sowohl am Tatort als auch am eigenen Körper - sind Sie der Mörder gewesen!

Und als wenn das nicht schon schlimm genug gewesen wäre: An der Theke im Raum nebenan saß ein Polizist, der eine Tasse Kaffee nach der anderen getrunken hat. Es war nur eine Frage der Zeit, wann dieser seinen Hocker verlassen würde, um das Klo für seine Notdurft aufzusuchen. Zwangsläufig würde er die Leiche finden und diese würde Fragen aufwerfen. Wer ist sie? Wie ist sie so geworden, wie sie nun ist? Und wer ist dafür verantwortlich? Doch bevor die Polizei darauf Antworten finden würde, galt es für Sie, Lucas, diesen Schauplatz des Verbrechens so schnell wie möglich zu verlassen.

Gameplay

"Nur wie?", hat sich Lucas die Frage gestellt. Sollte er in Panik und mit Blut überströmt die Tür der Toilette ins Lokal einrennen, die Bedienung umstoßen und somit die Aufmerksamkeit derselbigen, die der übrigen Gäste und des Polizisten auf sich lenken, um anschließend durch den Hinterausgang zu fliehen? Oder erst noch die Leiche provisorisch in eine der Toilettenkabinen schleppen, das Messer verstecken, sich selbst und den Tatort von den Spuren des Mordes zumindest oberflächlich befreien, um anschließend in aller Seelenruhe die Rechnung für das bestellte Essen zu bezahlen und erst dann das Lokal durch die Eingangstür zu verlassen? Beides ist möglich, aber auch andere Varianten. Wie auch immer Sie sich entscheiden, jede Ihrer Aktionen hat Einfluss sowohl auf Ihre Umwelt, wie auf die übrigen Insassen des Lokals und die Ermittlungen der Polizei, als auch auf Ihre Gemütsverfassung: Wählen Sie Variante Eins, um den Tatort zu verlassen, nehmen Sie billigend in Kauf, dass Ihre Gefühlslage den Status "depressiv" annimmt; diese wird mittels einer blauen Anzeige der Skala 'völlig fertig' über 'angespannt' und 'gestresst' bis 'neutral' bei jeder Gemütsänderung eingeblendet. Wenn diese Anzeige "völlig fertig" anzeigt, gibt der Charakter auf oder stirbt sogar, sodass der seelische Zustand regelmäßig begutachtet werden sollte. Ein weiteres Resultat der Variante Eins ist, dass die Bedienung mit einem gellenden Schrei auf Lucas’ blutüberströmtes Gesicht reagiert und somit die Aufmerksamkeit des Polizisten auf Sie lenkt. Und schließlich hinterlassen Sie den Ermittlern viele Indizien, welche die Aufklärung dieses Falles für die Polizei gewiss erleichtern.

Wollen Sie dies aber gerade verhindern, damit Lucas mehr Zeit gewinnt, ehe sich möglicherweise Ihre Wege zur Lösung dieses Verbrechens mit denen der ermittelnden Polizisten kreuzen, schleppt Lucas die Leiche in eine Toilettenkabine, indem Sie die Schultertasten Ihres Gamepads bzw. die A- und D-Taste ihrer Tastatur analog zu den Schritten des Protagonisten drücken. Sollte aber bald jemand den Waschraum betreten, fiele sein Blick sofort auf die Blutlache, die sich mitten auf dem Boden ausgebreitet hat. Diese also auch beseitigen: Wischmob greifen, der links an der Wand lehnt und analog zu den Wischbewegungen Lucas’ die Maus bei gedrückter linker Maustaste nach oben und unten ziehen. Und was ist mit dem Messer, das vor dem Pissoir liegt? Greifen und hier ebenso hoffen, dass es, sobald es aus Augen, auch aus dem Sinn jener Personen verschwunden ist, die es möglicherweise suchen würden. Jetzt sind zwar die Spuren am Tatort, zumindest auf den ersten Blick hin, verschwunden, aber was ist mit Ihnen selbst, Lucas? Blut an Händen und Unterarmen und in Ihrem Gesicht noch immer der Schrecken über die Tat - so können Sie gewiss nicht die Toilette verlassen, ohne Furcht zu verbreiten! Auf zum Waschbecken, Händewaschen und noch ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, bevor Sie endlich den Waschraum verlassen dürfen! Mittlerweile hat sich auf diese Weise Lucas’ Gemütsverfassung wieder im neutralen Zustand eingependelt, sodass nachfolgende Ereignisse - so schlimm sie auch sein mögen - Ihrem Gewissen nicht so viel anhaben werden, wie als wenn Sie kopflos aus der Toilette gestürmt wären. Im Speiseraum bezahlen Sie nun Ihr Mahl, wie es sich für einen dankbaren Gast eines Speiselokals gehört und dürfen 'Doc´s Diner' verlassen. Sollten Sie diese Selbstverständlichkeit vergessen, wird die Bedienung Sie noch daran erinnern.

In dieser bisherigen Darstellung wirkt es so, als dass das Vertuschen des Mordes für Lucas - gemessen an dem Mord, der Lucas’ Gewissen in Unordnung gebracht hat - ziemlich ruhig verlaufe: Leiche schleppen, Blut wegwischen und Messer verstecken - und dazu noch die Maus und Tastatur bzw. das Gamepad synchron zu den jeweiligen Bewegungsabläufen hin- und herbewegen; kurzum Gymnastik für die Finger. Dem ist aber nicht so. Wie bereits im Kapitel 'Story' bei der Beschreibung der Szene erwähnt, sitzt ein Polizist an der Theke im Speiseraum und trinkt Kaffee. Zwangsläufig wird der Mann, gemäß seines Stoffwechsels, das Klo aufsuchen. Deshalb blendet das Spiel nach wenigen Minuten, die Sie Zeit gehabt haben, mit Lucas die Spuren des Mordes zu verwischen, in der rechten Hälfte des Bildschirms den Gang des Polizisten zum Klo ein. Das bedeutet für die Umwelt in Fahrenheit, dass diese ihren eigenen Tagesablauf hat, den deren jeweilige Charaktere konsequent absolvieren und für Lucas bzw. Sie folglich, dass Sie in den wenigen Minuten, die Ihnen zur Verfügung gestanden haben, unter Zeitdruck das Nötigste getan haben müssen. Fahrenheit wartet nicht darauf, dass Sie sich wie in vielen Adventures zuvor über viele Minuten Gedanken darüber gemacht haben, wie Sie im nächsten Moment entscheiden möchten, weil das Spiel nur auf geskriptete Ereignisse hin reagiert hatte, sondern nun haben Sie im Ernstfall nur noch wenige Sekunden oder gar Bruchteile Zeit, Ihre Prioritäten zu setzen.

Dies wird besonders im nachfolgenden Kapitel, nach Lucas’ Flucht aus 'Doc´s Diner', erstmals bemerkbar: Nun übernehmen Sie die Rollen der ermittelnden Polizisten in diesem Mordfall: Carla Valenti und Tyler Miles des NYPD. Mit ihnen verfolgen Sie einen Handlungsstrang, der parallel und kurz nach dem von Lucas verläuft. Mit diesen beiden schlüpfen Sie in die Haut der Jäger, die den Mörder aus dem Doc´s Diner verfolgen; gemein haben sie dennoch mit Lucas, dass sowohl Gejagter als auch Jäger das Rätsel um den Mord aufklären möchten. Zu Beginn führen Sie durch Carla und/oder Tyler mit dem Polizisten aus dem vorigen Kapitel, der trotz Lucas’ Bemühungen, die Leiche zu verstecken, selbige gefunden hat, ein Gespräch. Er wird Ihnen berichten, wer der Tote ist, was er hinsichtlich des für ihn bis dato unbekannten Verdächtigen gesehen hat und einiges mehr. Dieses "einiges mehr" variiert inhaltlich danach, wie sich der verdächtige Mörder im vorigen Kapitel verhalten hat und welche Reaktionen er bei dem Polizisten und den übrigen Insassen des Lokals trotzdem oder gerade deswegen erwirkt hat.

Wie in einem gewöhnlichen Dialog folgt auf eine Frage bzw. Antwort unmittelbar die Reaktion des Gesprächspartners. Und so auch in Fahrenheit: Sobald die Protagonisten mit anderen Charakteren interagieren oder, wie in diesem konkreten Fall, sich unterhalten, eröffnen sich am oberen Bildschirmrand zwei bis vier Dialogoptionen, die Sie gemäß dem jeweiligen Symbol ansprechen können. Die Symbole tragen ein einfaches Schlüsselwort, das Ihnen geringfügig Informationen preisgibt, worüber diese Gesprächsauswahl handeln wird. Manchmal ist die Beschreibung in Form dieses einen Wortes unzureichend, weshalb sie manchmal zu Missverständnissen bei Ihnen führen kann. In der Regel genügt das Schlagwort aber. Das Symbol aktivieren Sie, indem Sie die Maus bei gedrückter linker Taste in eine bestimmte Richtung ziehen. Dabei zeigt Ihnen ein Balken, der innerhalb von wenigen Sekunden schrumpft, eine Zeitspanne an, innerhalb der Sie Ihre Entscheidung getroffen haben müssen. Bei mehr als zwei Optionen und der geringen Zeit kann es manchmal vorkommen, dass Sie entgegen Ihrer ursprünglichen Absicht ein Gesprächsthema eröffnen, das Sie möglicherweise gar nicht aktivieren wollten, weil Sie aus Versehen die Maus in die entgegengesetzte Richtung gezogen haben. Das verdeutlicht aber wiederum, dass Fahrenheit nicht wartet und trotzdem oder gerade deshalb sehr dynamisch und variabel, besonders in diesen Dialogen, verläuft. Je nachdem, welche Themenfelder Sie ansprechen, eröffnen sich neue Gesprächspfade, die Ihnen einen neuen und anderen Blick auf den Mord und dessen Ermittlung geben. Hier müssen Sie stets Ihre Prioritäten setzen, was Ihnen wichtiger erscheint. Wenn Sie beispielsweise lieber über Persönliches mit Ihrem Gesprächspartner sprechen möchten, dann wählen Sie diese Option aus. Dann besteht jedoch die Gefahr, dass Informationen, die den Mord betreffen, kürzer kommen. Beides hat Auswirkungen auf Ihre Ermittlungsarbeit - ob auf die von Lucas Kane oder die der Polizei. Die Art und Weise, wie Sie mit Ihrer Umwelt interagieren, ob freundlich oder aggressiv und wann Sie reagieren, ob rechtzeitig oder nicht, merkt sich Fahrenheit und führt zu jeweils unterschiedlichen Konsequenzen im weiteren Verlauf der Geschichten.

Richtig, Geschichten, nicht Geschichte, denn je nachdem, wie Sie spielen sowie re- und agieren, variiert das Spielerlebnis. Gemäß der Auswahl zwischen verschiedenen Optionen sowie gemäß des Erfolgs in einigen Actionsequenzen gewährt Ihnen Fahrenheit einen jeweils anderen Einblick in die Welt rund um Lucas, Carla und Tyler sowie diesen seltsamen Mord - denn Fahrenheit vergisst bekanntlich nicht. Dieser jeweils unterschiedliche Einblick bedeutet jedoch nicht, dass er durch vollkommene Handlungsfreiheit errungen wird, sondern vielmehr stellt es sich so dar, dass Sie innerhalb der Kapitel oft aus einer bestimmten Auswahl Ihre Entscheidungen treffen können, nämlich je nachdem, wie Sie glauben, dass es dem jeweiligen Charakter zum Vorteil gereicht. Ihre Entscheidungen haben dann Auswirkungen auf die nachfolgenden Ereignisse; die grobe Rahmenhandlung - die nicht nur diesen Mord, sondern auch eine große Verschwörung und das Schicksal dieser Welt beinhaltet - bleibt jedoch statisch. Im Fachjargon nennt sich diese Form des Erzählens 'Bending Stories'.

Sie können einzelne Handlungsstränge dehnen, indem Sie sich Ihren eigenen Weg suchen, worauf die Geschichte reagieren wird. An einigen Stellen kommen die verschiedenen Pfade wieder zusammen. Dort können Sie nicht mehr auswählen, sondern müssen dem Weg, den die Entwickler vorgeschrieben haben, folgen. Dies trifft bei den meisten Actionsequenzen zu, die pflichtgemäß zu bewältigen sind, wie eine Partie Basketball und einzelne Fluchtszenen sowie Kämpfe, die denen zwischen Neo und den Agenten aus Matrix gleichen; die Wahl haben Sie nur bei wenigen, wie beispielsweise bei der Rettung eines Kindes vor dem Ertrinken.

Für die benannten Actionsequenzen erscheinen zwei Kreise, die jeweils in farbenfrohe Viertel unterteilt sind. Entsprechend wie die Viertel aufblinken, müssen die dazugehörigen Tasten unmittelbar darauf gedrückt werden, um die Aktion auszuführen, wie beispielsweise das Werfen eines Korbes beim Basketball. Mit zunehmender Spieldauer verkürzt sich die Zeitspanne zwischen den aufblinkenden Vierteln, sodass diese Geschicklichkeitsübungen eines Reaktionsvermögens wie in Actionspielen bedürfen. Doch auch Anhänger von Strategie- und Adventurespielen, die sich weniger auf kurzfristige Reflexe spezialisiert haben, sollten diese Sequenzen mit einiger Geduld lösen können. Anfangs wechselt das Spiel nämlich noch zu abrupt von der gewöhnlichen Steuerung über die Richtungstasten, mittels derer die Spielfigur durch die Spielumgebung manövriert wird, zu jener, die in den Actionsequenzen verwendet wird. Das gestaltet sich manchmal insofern problematisch, als dass das Umgreifen dazu führt, dass diese Sequenz scheitert. Das macht aber nichts, denn die Speicherpunkte sind so gewählt, dass der Neustart der Szene kurz vor dem virtuellen Ableben der Charaktere beginnt. Eine dritte Variante der Actionsequenzen stellen solche dar, in denen die Atmung des jeweiligen Charakters kontrolliert wird, indem wie beim Schleppen der Leiche in die Klokabine die A- und D-Taste bzw. die Schultertasten des Gamepads nacheinander gedrückt werden. Beim Atmen geht es aber nicht darum, schnell und viel zu drücken, sondern zu verhindern, dass der jeweilige Charakter erstickt oder hyperventiliert. Dazu muss durch gleich- und regelmäßiges Drücken eine Nadel inmitten einer Skala gehalten werden ohne dass diese zu weit nach links und rechts ausschlägt.

Abträglich ist den Geschicklichkeitseinlagen leider, dass Sie als Spieler oftmals von der tatsächlichen Action der Protagonisten auf dem Bildschirm kaum etwas sehen, weil Sie sich so sehr darauf konzentrieren müssen, die Buttons auf Ihrer Tastatur bzw. Ihrem Gamepad rechtzeitig zu treffen. Zum Glück können Sie einzelne Szenen über ein Bonusmenü ohne den Druck, den Sie im Spiel selbst empfunden haben, wiederholen; einerseits, indem Sie die Szene selbst nachspielen oder andererseits, indem Sie sich diese Szenen anschauen, um endlich Ihre Konzentration nur noch auf das Dargestellte richten zu können.

Darstellung und das, was Fahrenheit so besonders macht

Gemessen an aktuellen Grafiktechnologien wirkt die aus Fahrenheit mindestens drei bis vier Jahre alt, weil die Charaktere teilweise verhältnismäßig polygonarm gestaltet sind, sodass sie zum Teil noch sehr kantig und eckig wirken. Das ist besonders an den Autos zu erkennen, die ohne Details auskommen. Andererseits weiß Fahrenheit durch seine wirklichkeitsgetreuen Gesichtsanimationen und Bewegungen, besonders durch das hervorragend integrierte Motion Capturing, zu bestechen. In dieser Hinsicht ähnelt es Max Payne, das Autos auch sehr schlicht dargestellt hatte, aber in der Darstellung der Charaktere und in puncto packender Atmosphäre Spuren bei jedem Anhänger spannender Thriller hinterlassen hat. Die Fluchtszenen und Kämpfe im Matrix-Stil machen das realitätsgetreue Motion Capturing deutlich, die Kinoniveau annehmen. Kino ... Film, ja, das sind Schlagworte, die Fahrenheit recht gut charakterisieren: Wie ein Film, in den Sie eingreifen können, präsentiert es sich. Oberflächlich betrachtet greift dieser Eindruck bereits im Pausemenü: Die Fortsetzen- und Beenden-Buttons entsprechen den Play- und Stop-Buttons auf dem Videorekorder. Vor dem eigentlichen Spiel im Tutorial macht sich diese Impression bemerkbar, indem Sie sich mittels eines Dummies, der gewöhnlich bei ADAC-Crashtests verwendet wird, mit der Steuerung hinter den Kulissen eines Drehortes vertraut machen. Eine blaue Wand steht dort, Scheinwerfer in den Ecken und der Projektleiter und Erfinder Fahrenheits, David Cage, neugestaltet als eine virtuelle Figur, klärt Sie über die Grundkenntnisse auf. Zudem können Sie sich in einem Bonus-Menü, wie es auf Film-DVDs angeboten wird, Filme zum 'Making Of' und Konzeptzeichnungen anschauen sowie das musikalische Maintheme und weitere Songs, die im Spiel erschallen, in Ruhe anhören. Aktiviert werden diese und weitere Boni, indem Sie in den einzelnen Spielkapiteln Bonuskarten aufsammeln, die dort verstreut sind.

Im Spiel selbst keimt das Kinohafte durch den Soundtrack von Angelo Badalamenti, die passenden Soundeffekte sowie Musikstücke, die die Atmosphäre der jeweiligen Situation treffend widerhallen lassen und eine zumeist sehr gute deutsche Synchronisation, auf. Letztere ist zwar unter den deutschsprachigen Spielern heftigst umstritten, mir persönlich hat sie aber sehr gefallen. Die Protagonisten haben professionelle Sprecher erhalten - Carla Valenti die Tagesschausprecherin Ellen Arnold (so klingt sie zumindest auf mich, denn leider ist eine Auflistung der Synchronsprecher nicht im Spiel anbei), die sollte eigentlich eine gute Referenz sein - ebenso ist es bei den anderen Hauptcharakteren. Einzig bei zwei Nebendarstellern, dem Polizisten im Restaurant und der dortigen Bedienung ist die Auswahl nicht gleichwertig gut gewesen. Da hätte die Tonlage ruhig tiefer sein können. Insgesamt ist die Lokalisierung aber, zumindest meiner bescheidenen Meinung nach, sehr gelungen. Sollte jemandem diese deutsche Synchronisation dennoch nicht gefallen: In den Optionen des Spiels kann wahlweise auf die englische, französische oder italienische umgeschaltet werden. Um dann auch von der wendungsreichen Handlung nichts zu verpassen, kann die Sprache der Untertitel und Menüs angepasst werden, die ebenfalls in den vier Varianten der Sprachausgabe vorhanden ist.

Visuell werden die Parallelen zum Film dadurch ersichtlich, dass die Grafiker Fahrenheit schnell geschnitten haben, mit in einigen Szenen plötzlichen Wechseln, auch der Perspektive sowie plötzlichen Kameraschwenks. Hinzu kommt häufig das Spiel zwischen Licht und Schatten sowie zu Beginn zwischen Positiv und Negativ einer Fotografie, das gekonnt die düstere und zuweilen gespenstische Atmosphäre stimmungsvoll wiedergibt, zusätzlich zu den mitreißenden Musikstücken. Und natürlich durch die häufige Aufteilung des Bildschirms auf bis zu vier Parzellen (Teilflächen) wie in der Erfolgsserie "24". Mit diesem Stilmittel werden zusätzlich viel Spannung und Nervenkitzel erzeugt, was dem Spiel sehr zuträglich ist; besonders dann, wenn Gejagter und Jäger Fahrenheits auf den verschiedenen Bildschirmteilen zeitgleich auf ihrer Flucht bzw. Verfolgung zu beobachten sind. Hinzu kommen viele kleine Details in der Gestaltung der Innenräume und Lokalitäten, die das Grafikdesign betreffen. Dies sind draußen u. a. ein Basketballplatz, dessen umgebende Mauern mit Graffiti besprüht sind, ein Säufer, der sich durch übermäßigen Alkoholkonsum kaum noch verständlich unterhalten kann oder kleine Kinder, die im Park Schneeballschlachten veranstalten und frei herumtollen. Drinnen sind es u. a. die Nachrichten, die die einzelnen Charaktere bei ihrer Arbeit oder privat in "ihrem" Internet lesen und im Fernsehen sehen können. Diese vermitteln Ihnen weitere Informationen dazu, wie die politische und gesellschaftliche Situation aussieht. Natürlich sind die Nachrichten fiktiv, dennoch weisen sie Parallelen zu unserem hier und heute auf, was die Identifikation mit der Welt Lucas’, Carlas & Co. sehr fördert.

"Identifikation mit den Charakteren", dieser Part wird in Fahrenheit besonders groß geschrieben - und nicht nur im Handbuch mit einer persönlichen Note David Cages an die Spieler. Es sind nicht nur die Nachrichten, die die Welt um Lucas & Co. für den Spieler greifbar machen, sondern auch die vielen Eigenarten der Charaktere, die sie so menschlich werden lassen. Sie sind nicht nur virtuelle Figuren, die aus einer Vielzahl von Prismen bestehen, sie wurden auch mit einer ihnen jeweils eigenen Hintergrundgeschichte versehen, die beim Spielen selbst ein ums andere Mal zum Vorschein kommt und Einfluss auf die Handlung nimmt. Da ist der zerbrechliche Lucas Kane, dessen Freundin ihn vor einem Monat verlassen hat und zu der er sich nach wie vor sehnt, gerade jetzt, als er unerwartet in diesen Mord gestolpert ist, der ihm seinen Verstand zu rauben scheint. Da ist der, noch oberflächlich betrachtet, "coole", tatsächlich sehr freundschaftliche und treue Tyler Miles, der noch vor einem Jahr Gegner der Polizei in der Bronx war, nun jedoch die Fronten gewechselt hat und sich dabei so sehr für die Polizei einsetzt, um die Welt zu verbessern, dass sich die Beziehung zu seiner Freundin zur Schicksalsfrage entpuppt. Und dort ist Carla Valenti, die immer noch nicht den "Richtigen" gefunden hat und sich deshalb zunehmend in ihrer Arbeit verbeißt - teilweise so weit, dass sie ihre Gesundheit für den Erfolg aufs Spiel setzt.

Diese und viele weitere vermeintliche Nebensächlichkeiten sind nicht immer notwendig für die Klärung des Mordes, aber für das besondere Spielerlebnis, das Fahrenheit vermittelt: Sie als Spieler empfinden mit den Protagonisten mit. Sie können sich mit ihnen identifizieren, weil es eben nicht nur seelenlose Körperhüllen sind, sondern Menschen wie Du und Ich. Menschen, die fühlen und ebenso an alltäglichen Dingen und sich selbst zerbrechen, aber sich daran auch wiederaufrichten können.

In der Werbung eines großen Elektromarktes heißt es, Fahrenheit sei die Revolution des Adventure-Genres. Eine Revolution ist eine "Aufhebung der bisher als gültig anerkannten Gesetze oder der bisher geübten Praxis durch neue Erkenntnisse und Methoden". Nun, Fahrenheit brilliert darin, dass es die Identifikation mit den Charakteren, zumindest die in einem Adventure, auf ein weit höheres Niveau treibt als dies viele andere zuvor taten. Indem es nämlich nicht eine statische Geschichte erzählt, die vollkommen linear verläuft, sondern mehrere, die durch Ihr Reagieren hinsichtlich des realistisch ablaufenden Dialogsystems und Ihr Mitfühlen eingeleitet werden. Geschichten, deren jeweilige Atmosphäre durch kinoreife Kamerafahrten, orchestrale Musikstücke, eine - Geschmäcker sind nun mal verschieden - gelungene deutsche Lokalisation und realistisches Grafikdesign getragen werden. Diese Aspekte sind in Fahrenheit gelungen, jedoch nicht revolutionär. Sie sind hier zwar besser als in vielen anderen Spielen umgesetzt worden, aber auch für die galten dieselben Gesetze, um Anklang bei ihrer Zielgruppe zu finden. Fahrenheit weicht somit "nur" in seinen Methoden von den anderen ab, indem es u. a. die Gefühlslage der zu spielenden Figur in die Lösungsfindung einbindet, auf ein Inventar und klassische Rätsel eines Adventures bis auf einzelne Ausnahmen weitgehend verzichtet und indem es verschiedene Stilelemente aus Film, Actionspiel und Adventure zusammenfügt, um, wie David Cage, der Projektleiter der Entwicklerfirma 'Quantic Dream' schreibt, "sowohl eine Story zu erzählen als auch einen Spielinhalt anbieten zu können".

Dabei bietet Fahrenheit eine wendungsreiche Story mit vielen Überraschungen, die auf verschiedene Weise erfahren werden kann; weshalb das Spiel nach einmaligem Spielen - geübte Spieler werden bereits nach ca. neun Stunden ein Spielende sehen können - ein zweites und drittes Mal gespielt werden sollte, um die vielen Entscheidungsmöglichkeiten auszureizen und mehr über die Welt um Lucas Kane & Co. zu erfahren. Fahrenheit geht dafür zu Beginn und bis zur Mitte des Spiels ein hohes und mitreißendes Tempo, das es schafft, den Spieler in seinen Bann zu ziehen. Leider büßt es dieses Tempo zum Ende hin ein, weil die Geschichte dort versucht, sich Hollywood sowohl im positiven als auch negativen Sinne anzunähern. Ein geringeres Defizit offenbart sich in der Grafik, die zuweilen noch verhältnismäßig viele Ecken und Kanten aufweist.

Vor dem Hintergrund dieses Reviews ziehe ich persönlich die Bezeichnung "Evolution" der "Revolution" vor. Fahrenheit ist nicht perfekt, sowohl in puncto Story und Steuerung, die zum Ende bzw. anfangs gewöhnungsbedürftig wird bzw. ist, als auch hinsichtlich der Grafik. Es stellt keine neuen Gesetze auf, aber es erinnert eindrucksvoll aufgrund der mitreißenden Story und der relativ non-linearen Handlung daran, wie wichtig es ist - dazu möchte ich Herrn Cage erneut zitieren - "die narrativen und interaktiven Elemente nicht zu opfern, um sowohl eine Story erzählen als auch einen Spielinhalt anbieten zu können" und stellt somit einen, vielleicht aber auch mehrere, Schritte in die richtige Richtung dar. Ganz wie die Renaissance, in der fortschrittliches Denken der Antike neugeboren ist und bis heute weiterlebt.

(14.10.2005)

Entwickler: Quantic Dream
Publisher: Atari Europe
Genre: Adventure
Erscheinungstermin: Bereits erhältlich
Homepage: Fahrenheit
Preis: 44,99 €
Altersfreigabe: Freigegeben ab 16 Jahren gemäß §14 JuSchG

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