Goin' Downtown (The Games Company) geschrieben von Sebastian E.R. Hörr
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Totgesagte leben länger. Das gilt auch und insbesondere für das Adventure-Genre, das in den letzten zwei Jahren durch Titel wie "Ankh", "Runaway" oder "So Blonde" eine beispiellose Renaissance erlebte. Mit "Goin' Downtown" erscheint ein weiterer ambitionierter Titel, der Sie in das New York des Jahres 2072 entführt - und die Entwickler ließen es sich nicht nehmen, ihr Spiel in Berlin und Hamburg höchstpersönlich zu präsentieren. Mittlerweile steht "Goin' Downtown" in den Regalen und wir haben für Sie getestet, ob es den Vorschusslorbeeren gerecht wird. Ein gebrochener Mann, eine gefallene Stadt Jake McCorly hat verloren, was ihm am meisten bedeutete: Seine Frau wurde während eines Polizeieinsatzes von seinen Kollegen erschossen. Seitdem war er nicht mehr derselbe. Er begann zu trinken, gewöhnte es sich zugunsten von Medikamenten wieder ab, und seit die Polizei New Yorks erfolgsabhängig bezahlt wird, verfügt er nicht mehr über ein regelmäßiges Einkommen. Meistens sitzt er zu Hause in seiner winzigen Wohneinheit und bemitleidet sich selbst. Eines Tages reißt ihn eine Explosion unvermittelt aus seiner Lethargie. Jake trottet auf die Straße, kann aber weder erkennen, wo sie stattfand, noch, was sie ausgelöst hat. Stattdessen sieht er auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine junge Frau zusammenbrechen. Er eilt hinüber, hilft ihr auf die Beine und bietet der verwirrten Dame an, bei ihm zu bleiben, bis sie sich erholt hat. Sie nimmt dankend an, Jake bringt sie in seine Wohnung, bietet ihr ein Glas Wasser und sein Bett an, dann lässt er sie eine Weile schlafen. Er selbst nickt auch ein - und wird einige Zeit später von Polizeisirenen geweckt. Die junge Frau ist verschwunden. Aber sie ist nicht weit gekommen, denn ihr zerschmetterter Körper liegt ein paar Stockwerke tiefer auf dem Gehsteig vor seinem Fenster. Alles deutet auf Selbstmord hin - aber warum? Jake macht sich auf die Suche nach Antworten. Brave New World Seine Suche beginnt direkt am Ort des Geschehens. Jakes Kollegin, Isabel, setzt ihn über die wenigen bekannten Tatsachen in Kenntnis - und schließt den Fall. Die gute Rose war nämlich Prostituierte und zahlte keine Steuern. Und wer keine Steuern zahlt, dessen Schicksal wird im New York des späten 21.Jahrhunderts einfach unter den Teppich gekehrt. Jake muss also auf eigene Faust ermitteln. Zunächst wendet er sich daher dem Sanitäter zu, der am Unfallort war. Mit einem Linksklick kommen die beiden ins Gespräch, und wie aus anderen Adventures bekannt, kann man aus einer Liste mit mehreren Dialogoptionen auswählen. In eine Sackgasse kann man sich dabei nicht verlaufen, denn selbst nach einem Gesprächsabbruch durch das erboste Gegenüber kann man ihn oder sie immer noch ansprechen und die noch nicht gestellten Fragen durchgehen. Genreüblich steuert man Jake per Linksklick durch die Schauplätze, die übrigens allesamt erschreckend klein ausfallen: Größer als drei Bildschirmbreiten ist keiner davon, manche sind sogar kleiner als zwei. Leider ist Jake nicht der Schnellste, sondern bevorzugt einen gemächlichen Trab. Aber bei den kleinen Schauplätzen fällt das nicht weiter ins Gewicht, zumal man durch einen doppelten Linksklick die lästige Lauferei abkürzen und sich direkt zum Zielort begeben kann. Sobald er sich an einen anderen Ort begeben muss, steigt Jake auf seinen Polizeichopper und kesselt los. Dazu schaltet das Spiel in die Vogelperspektive und Sie sehen den tapferen Polizisten durch die Straßen brausen - natürlich stets unter Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Möchten Sie sich diese Animation ersparen, können Sie per Linksklick direkt zum Zielort springen. Wie schön, dass nahezu alle Adventures dieselbe Steuerungskonfiguration verwenden, denn auch Gegenstände können per Linksklick ins Inventar befördert werden, das sich übrigens am unteren Bildschirmrand befindet. Standardmäßig ist es ausgeblendet; wenn Sie die Maus darüber bewegen, klappt es auf und zeigt Ihnen alle Gegenstände sowie den Kompass, mit dessen Hilfe Sie zu einem anderen Schauplatz navigieren können, aber auch Ihr Tagebuch, in dem alle aktuell zu erledigenden Aufgaben vermerkt werden. Zudem können Sie hier noch zwischen Tag- und Nachtmodus wechseln - das ist deswegen sehr wichtig, weil manche Personen nur tagsüber beziehungsweise nachts anzutreffen sind. Intelligente Umsetzung dieses Features! Damit auch Anfänger im Genre nicht überfordert werden, haben die Entwickler übrigens zweierlei Hilfen eingebaut: Mit Druck auf "G" werden Ihnen alle betracht- oder aufnehmbaren Gegenstände angezeigt, im Tagebuch haben Sie bis zu drei Kreise, die bei einem Linksklick Hinweise darauf geben, wie man die momentane Aufgabe lösen kann. Meistens werden Ihnen die drei Hinweise mehr als genügen, selbst Anfänger dürften dann keine Schwierigkeiten mehr haben. Nur an wenigen Stellen muss man trotz der Tipps ein bisschen knobeln. Aber das ist ja schließlich auch der Sinn eines guten Adventures. Ach ja: Humor sollten Sie in "Goin' Downtown" nicht erwarten. An einer Stelle haben Sie die Möglichkeit, zu Ihrem Gesprächspartner "Ich weiß, was Sie letzten Sommer getan haben" zu sagen, aber das war es auch schon fast. Gelegentlich kommt es zu Prügeleien, bei denen der Sieger in traditioneller "Monkey Island"-Manier durch gekonnt ausgetauschte Beleidigungen bestimmt wird. Abgesehen davon hat das Spiel auch nicht den Anspruch, lustig zu wirken, schließlich zeichnet "Goin' Downtown" ein düsteres Zukunftsszenario, in dem Morde an der Tagesordnung und Nächstenliebe ein Begriff aus längst vergangener Zeit ist. Die Schönheit der Düsternis Eines steht fest: Das Spiel wird seinem Anspruch gerecht - die Hintergründe passen hervorragend in die finstere Zukunftsvision, die Ihnen die Entwickler präsentieren. Straßenlaternen erhellen die nächtliche Dunkelheit, Autos ziehen unter der Brücke gegenüber Ihrem Appartement vorüber und andere Charaktere laufen durch die Gegend, wenn Sie nicht gerade mit ihnen reden. Die Welt wirkt insgesamt sehr lebendig. Die Animationen der Charaktere beim Laufen sind passabel, wenn man nicht gerade Shooter-Maßstäbe anlegt, nur beim Austausch von Objekten greifen sie gerne mal ins Leere oder nach etwas Unsichtbarem. Gespräche laufen bis auf wenige Ausnahmen lippensynchron ab; im Bereich Grafik gibt es also nichts zu bemängeln. Obwohl: Unmittelbar nach dem Wechseln des Schauplatzes oder beim Aufruf der Karte kommt das Spiel gerne mal ins Stocken. Und das teilweise über zehn Sekunden! Das trübt den Spielspaß ein wenig und sorgt für ungeduldiges Fingertrappeln auf dem Schreibtisch. Stadtgeflüster Absolut kein Grund zur Klage! Die Stimmen der Charaktere passen zu ihrem Äußeren und den Handlungen: Jake klingt verbittert, resigniert und rau; Rose verwirrt und verunsichert. Die Geräusche sind ebenfalls gelungen, man hört im Labor oder auf dem Polizeirevier gelegentlich das Piepsen eines Computers, in den Straßen Motorengeräusche und bei einem Feuer das Knistern der Flammen. Richtig dickes Lob aber verdient die Hintergrundmusik: Wenn der Soundtrack von "Goin' Downtown" als CD veröffentlicht würde, müsste man dafür eine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen - er passt perfekt zur Situation, rockige und eher meditative Klänge wechseln sich ab. Er fällt nie störend auf und unterstützt die düstere Atmosphäre perfekt.
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