NVA - Mission: Vorwärts immer (Morgen Studios) geschrieben von Bernd Wolffgramm
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Im Zeitalter von vertikal und horizontal integrierten Medienkonzernen wird aus einer Idee oder einer Lizenz alles herausgepresst, was nur eben geht. Am Anfang steht häufig ein Buchtitel, daraus wird dann ein Film, zum Film gibt es einen Original-Soundtrack und einen Lizenz-Soundtrack, der hauseigene Fernsehsender produziert ein "The Making of ...", dann erscheint ein Video/eine DVD, dann am Ende ein Director's Cut und dann ist es auch schon Zeit für den zweiten Teil des Buchs usw. usw. Bei vielen US-Medienprodukten ist es jetzt Usus, dass auch noch ein Computerspiel erscheint und dazu wieder ein Soundtrack und ein Making-of ... Und was den US-Companies recht ist, kann den deutschen Medienfirmen nur billig sein. Und deswegen machten sich die Berliner Morgen Studios daran, sich an einem Spin-Off des neuen Leander-Haußmann-Films NVA zu versuchen. Sie arbeiten die gesamte Geschichte der Hauptfigur Hendrik Heidler auf, der im Film zur Nationalen Volksarmee der DDR eingezogen wird und dort seinen Wehrdienst ableisten muss. Die Programmierer nehmen jedes Detail des Soldatenalltags von Heidler auf und erarbeiteten so ein Computerspiel, das dem Filmvorbild und den echten Rekruten der NVA gerecht wird ... nicht! Nun lässt sich darüber streiten, ob denn der Film überhaupt etwas Verwertbares hergibt und ob man denn unbedingt auch noch ein Computerspiel dazu braucht, aber zumindest die Morgen Studios waren dieser Meinung und haben entschieden: Zu diesem Film muss unbedingt ein Game aus der Kategorie Fun-Racer auf den Markt geworfen werden. NVA-Alltag Hendrik Heidler ist Rekrut bei der Nationalen Volksarmee und muss dort seinen Wehrdienst ableisten. Die meiste Zeit verbringt er allerdings nicht im Feld und beim Manöver, sondern ist damit beschäftigt, für irgendjemanden Besorgungen zu machen oder bestimmte Einsammelaktionen durchzuführen. Heidler ist nämlich ein guter Autofahrer und wird deswegen von allen möglichen Vorgesetzten, Freunden, Mitsoldaten und sonstigen Angehörigen der Kaserne dazu missbraucht, für sie herumzufahren. Heidler bekommt dann Aufträge, die das Herz eines echten DDR- Bürgers höher schlagen lassen. Gleich einer der ersten Himmelfahrtskommandos ist es zum Beispiel, für seinen Vorgesetzten eine Kiste Bananen aus dem nahen Konsum-Markt zu holen und in die Kaserne zu bringen. Als Heidler bei dem Geschäft ankommt, ist die einzige verfügbare Kiste Bananen natürlich längst verkauft und der Rekrut überlegt, was nun zu tun sei. Er kommt zu der logischen Schlussfolgerung, dass er einfach den Käufern die Früchte wieder abnehmen muss. Er bedient sich dabei allerdings nicht seiner Überredungskunst, sondern der Bordkanone seines Kübelwagens. Nee, ist auch klar: Raketen sind die besten Argumente. Er fährt also los und brettert durch die Landschaft, bis er einen Wagen, einen Panzer oder ein sonstiges Gefährt sieht und legt dieses in Schutt und Asche und nimmt die Südfrüchte dann an sich. So lässt sich der Tag dann doch noch retten und wenn er rechtzeitig zum Appell in die Kaserne kommt, dann ist auch der Vorgesetzte zufrieden. Diese und ähnliche Aufgaben wären für den Helden nun einfach zu erledigen, wenn da nicht seine Kameraden wären, die neidisch auf Heidlers Beliebtheit und gierig auf seine Fracht sind und die deswegen mit roher Gewalt versuchen, ihn am Erfolg seiner Ausflüge zu hindern. Diese Kameradenschweine schnappen sich den restlichen Fuhrpark und machen Jagd auf ihn. Auch Waffengebrauch ist für sie nicht nur eine Option, sondern Pflicht. So oder ähnlich laufen alle sieben Level mit 40 Missionen ab. Irgendjemand, der Heidler etwas zu sagen hat oder von dem der Soldat einen Gefallen erbittet, gibt ihm einen Auftrag. Diese Aufträge lassen sich in zwei Kategorien aufteilen: "Fahre irgendwo hin" und "Sammle irgendetwas ein", wobei Letzteres bedeutet: "Bombe alle aus, die diesen Gegenstand besitzen." Die Level spielen jeweils an einem Wochentag, d. h., das Spiel umfasst eine ganze Woche. Heidler lebt sich in dieser ersten Woche seines Soldatendaseins ein, lernt Leute kennen und verliebt sich. NVA-Gameplay "NVA - Mission: Vorwärts immer" soll ein Fun-Racer sein, also ein Rennspiel, bei dem der Spaß und nicht das Fahren im Vordergrund steht. Und so ist es dann auch. Das Fahren selbst allerdings ist eine einzige Katastrophe, denn es ist überhaupt nicht möglich, den Wagen auf der Straße oder dem Feldweg zu halten, das Gefährt schlittert über die Piste, als ob es unter der Kiste ständig Glatteis herrscht. Nur mit langem Üben ist es überhaupt möglich, zumindest die grobe Richtung der Straßen einigermaßen einzuhalten. Nichts desto trotz knallt man dauernd gegen Bäume, Straßenschilder und Zäune. Von Fahrphysik gibt es im wahrsten Sinne des Wortes keine Spur. Der Wagen schwebt unkontrollierbar über die Spielfläche. Das Ergebnis ist, dass der Spieler gar keine Chance hat, gezielt seinen Verfolgern zu entkommen oder anderen Autos, die zum Beispiel mit einer Kiste Bananen beladen sind, hinterherzujagen. Alles, was man tun kann, ist zu warten, in der Hoffnung, dass das Zielfahrzeug noch einmal an der Stelle vorbeikommt und dann knallt man ihm eine Rakete vor den Latz. Letztlich sind aber alle Missionen vom Zeitrahmen her so bemessen, dass eben genau diese Strategie ziehen kann. Wenn man kapiert hat, auf welcher Route sich die anderen Fahrzeuge befinden, dann wartet man an diesen Stellen und greift dann an. Interessant ist, dass auch die von der CPU gesteuerten Vehikel Probleme haben, auf der Piste zu bleiben. Sind sie erst einmal vom Weg abgekommen, dann haben sie wie der Spieler Mühe, sich wieder auszurichten. Zur Orientierung gibt es unten auf dem Bildschirm einen winzigen Kartenausschnitt, der dem Spieler zumindest die Position der Autos in der unmittelbaren Umgebung anzeigt und mit einem Pfeil symbolisiert, wo sich das Missionsziel befindet. Da aber alle Missionen auf der gleichen Karte stattfinden und sich alles um die Kaserne herum abspielt, kennt man sich bald aus. NVA-Fahrzeuge Heidler beginnt seine Autofahrerkarriere in einem Kübelwagen. Der ist zwar nicht besonders gepanzert, dafür ist er aber wendig. Das ist auch ziemlich wichtig, denn schließlich gilt es, die fest auf dem Auto montierte Kanone so auf die anderen Klapperkarren der Feinde auszurichten, dass die abgefeuerte Rakete ihr Ziel auch trifft. Da die anderen Fahrzeuge nicht ruhig herumstehen und auf den Beschuss warten, kann man sich vorstellen, dass man viel mit dem Kübelwagen rangieren muss, um einen sauberen Schuss hinzubekommen. Neben den Zielautos fahren auf den Straßen noch weitere Gefährte herum, die der Spieler in die Luft sprengen kann. Jedes dieser Schrottautos hinterlässt entweder ein Powerup, dass der Spieler weiterverwenden kann, zum Beispiel Raketen oder Reparatur-Kits oder aber einen roten Stern. Diese werden einem Konto gutgeschrieben und ab einer bestimmten Anzahl an aufgesammelten Sternen kann der Spieler auf ein anderes Fahrzeug umsteigen. Zu Beginn jeder Mission kann Heidler entscheiden, welches Fahrzeug er benutzen will, so es denn für ihn bereits freigeschaltet/-gespielt wurde. Die möglichen Fahrzeuge sind neben dem Kübelwagen ein Mannschaftswagen namens Barkas, ein Traktor, ein Lastwagen Marke Robur und ein Panzer, der von zehn russischen Fabrikarbeiterinnen aus einen Stahlblock herausgefeilt worden ist. Die Vehikel unterscheiden sich im Wesentlichen in den Eigenschaften Geschwindigkeit und Robustheit und wenn es in diesem Spiel überhaupt etwas Strategisches gibt, dann kann sich der Spieler überlegen, ob die Aufgabe eher mit einem schnellen oder einem standfesten Auto angegangen werden soll. Das ändert aber nichts an der Straßentauglichkeit dieser Kisten, alle sind ziemlich schwer zu bändigen. NVA-Grafik Alles, was andere Autorennspiele - auch Fun-Racer - ausmacht, ist in diesem Spiel nicht vorhanden. Es gibt genau eine Perspektive, die Sicht erfolgt von hinten auf das gesteuerte Auto, eine Fahrersicht gibt es zum Beispiel nicht. Dafür kann man auf Knopfdruck sehen, was sich hinter dem Auto abspielt. Sowohl die Grafik der Fahrzeuge als auch die der Landschaften ist recht simpel, das soll aber hier nicht als Nachteil gewertet werden, denn bei einem Fun-Racer kommt es definitiv nicht auf die Umgebung an. Bei den Texturen macht es sich Morgen Studios etwas einfach, die Umgebung der Straße und der Wege ist immer etwas nebelig und verschwommen. Die Autos schweben aber über die Straße, dies ist dann wieder ein dickes Minus. NVA liegt damit auf ähnlich niedrigem Niveau wie Low- Cost-Racer à la Moorhuhn-Kart. NVA-Sound Während des ganzen Spiels ist die gleiche Hintergrundmusik zu hören, die auch schon der Soundtrack des Films vorgibt, immerwährend ist der Song "Bad Moon Rising" von "Creedence Clearwater Revival" zu hören. An diesem Lied ist eigentlich nichts falsch, nur dauernd will man es nicht hören. Wenn man möchte, kann man die Musik allerdings in den Optionen ganz herunterregeln. Dann hört man nur noch die Effekte und die (Selbst-)Gespräche von Heidler und die sind wirklich abwechslungsreich ... nicht! Der Soldat brabbelt über das ganze Spiel hinweg die gleichen dümmlichen Sprüche vor sich hin. So kann er mit so wertvollen Zitaten wie "Man, hab ich einen Knast!" oder "Hier sind aber kaum Kulturschaffende zu sehen!" oder "Nimmt das denn nie ein Ende?" glänzen. Zusätzlich zu Heidlers Gebabbel hört man über den Funk auch noch die Leute reden, in deren Auftrag er gerade unterwegs ist, deren Bemerkungen sind genauso eintönig und überflüssig: "Heidler, rechts ist das Gas!" oder "Beeilen Sie sich, meine Frau wartet schon!" Und das natürlich alles in einem Sprachmix aus Berlinerisch und Sächsisch. Da ist es dann auch nicht mehr von Bedeutung, dass auch die Effekte, also Fahrgeräusche und Explosionen, ziemlich lasch und eintönig sind. NVA-Fazit Wenn man das Spiel in die Hand bekommt und den Packungstext liest, dann kann man schon den Eindruck bekommen, dass das Game interessant und spannend sein könnte, also mein Kompliment an die Verpackungsmacher. Was man dann allerdings nach der Installation erlebt, ist frustrierend. Nicht vorhandene Fahrphysik mit permanentem Herumgeschlittere, langweilige Missionen, die sich voneinander in Nichts unterscheiden und der Versuch mit peinlichem Humor die ganze Sache wie eine Parodie aussehen zu lassen, entlarven das Spiel schnell als Mogelpackung. Immer, wenn ich ein solches Spiel in die Hände bekomme, frage ich mich: Was haben sich die Programmierer dabei wohl gedacht? Die wissen doch, dass das Spiel eine Nullnummer ist, schließlich gehen sie nicht blind durch die Welt. Ich kann vor diesem Spiel nur warnen, es wird weder dem (sowieso schon dünnen) Film gerecht noch wird irgendein Fun-Racer-Feeling aufkommen. Ich glaube, ich habe das noch nie gesagt, jetzt ist es also soweit: Bloß die Finger weg von diesem Game und schon gar nicht 30 dafür auf die Theke legen. Für 10 gibt es Budget- und Shareware-Racer, die sind hundertmal besser. (12.11.2005) Minimum-Systemanforderungen - Windows 98/ME/2000/XP - Pentium 3 mit 1 GHz - 256 MB RAM - Low-End-Directx 9-kompatible 3D-Beschleunigerkarte mit 64 MB - 8x DVD-Laufwerk - DirectSound-kompatible Soundkarte - optional USB-Joystick oder USB-Gamepad
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