Time Of Defiance (MDO Entertainment) Geschrieben von Johannes Posch
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Revolution? Man kennt das ja: Erfolgreiche Spielserien werden immer länger ausgeschlachtet und in die Ewigkeit fortgesetzt. So kann man getrost von einem besonderen Ereignis sprechen, wenn mal ein neues Genre das Licht der Welt erblickt. Denn "Time of Defiance" von "Nicely Crafted Entertainment" ist wahrscheinlich das erste MMORTS-Game (Massively Multiplayer Online Real Time Strategy) der Computerspielgeschichte. Eine neue Idee, die ebenso neuartige Spielerlebnisse eröffnen kann. Von der Siedlung zum Imperium! Die Geschichte um "Time of Defiance" ist einerseits schnell erklärt und andererseits könnte man darüber ganze Romane schreiben. Denn der Spieler wird nach Nespanona versetzt, einer Welt, in der ehemals nur ein Planet allein im Nichts stand. Allerdings kollabierte er und zerbrach in hunderte kleine Bruchstücke, die nun durch einen Gravitationsgenerator zusammengehalten werden. So schweben diese Planetenfragmente wie Inseln in dem System auf ihrem festen Platz im All und warten darauf, von geneigten Spielern, die als Anführer einer Sippe (der "Cog") agieren, erneut kolonisiert zu werden. Dafür haben die Spieler 7 bis 21 Tage Zeit, so lange dauert nämlich eine Runde in "Time of Defiance". Durch jeden kolonisierten Miniplaneten, jede gebaute Einheit und jeden neu erkundeten Sektor, den man für sich beansprucht, bekommt man Punkte, die zusammengezählt werden und als Grundlage für das Ranking des Spieles dienen. Nach Ablauf der Zeit wird alles wieder auf null gesetzt und die Jagd auf die Bruchstücke beginnt von Neuem. Wie man dabei vorgeht, bleibt voll und ganz dem Spieler überlassen. Das gilt auch für die Art und Weise, wie man auf Mitspieler reagiert, denen man im Laufe des Spieles begegnet. So ist es gut möglich, dass man eine ganze Spielrunde lang kein einziges Mal Krieg mit einem anderen Spieler führt und dennoch eine Topplatzierung erreicht. Man kann aber ebenso versuchen, die größte Armee aufzustellen, die Nespanona jemals gesehen hat und sich erbarmungslos durch die Reihen der Gegner kämpfen. Somit hat jeder die Möglichkeit, alle zwei bis drei Wochen in einem und demselben Spiel eine völlig neue Geschichte zu erleben! Lang lebe die Innovation! Der Feldherr, der Infrastrukturmanager spielte. Das Spielgeschehen in "Time of Defiance" gestaltet sich zum einen sehr fesselnd, wirkt aber stellenweise auch ziemlich langatmig. In jedem Fall vermag es den Spieler immer wieder vor den PC zu locken, einfach durch die Tatsache, dass es 24 Stunden am Tag weiterläuft und man sich nie sicher sein kann, dass das eigene Imperium nicht gerade angegriffen oder gar vernichtet wird. Genau das ist auch eine, wenn nicht die größte, Stärke des Spieles. Allerdings geht einer der größten Kritikpunkte Hand in Hand mit dieser Stärke: das Spieltempo. So kann es gut und gerne eine Stunde dauern, bis ein Schiff zwei Sektoren durchquert hat. Nach zwei Wochen Spielzeit ist es aber für erfahrene Spieler gut möglich, schon 20 oder mehr Sektoren innezuhaben. Das niedrig festgesetzte Tempo hat aber den guten Grund, dass das Spiel somit einfach fairer abläuft. Denn hier können Gegenspieler eben nicht wie in anderen RTS-Titeln schnell auf Angriffe reagieren, da sie vielleicht gerade nicht online sind. Wie schnell man bemerkt, dass man eventuell angegriffen wird, hängt übrigens davon ab, wie man seine Aufklärung organisiert hat. Da man nur in Sektoren, in denen sich eine eigene Einheit befindet sieht, was vor sich geht, kann das stark variieren. Um sich also auf alle Eventualitäten vorbereiten zu können, müsste man wirklich von 0 bis 24 Uhr online sein. Das ist zwar eine große Motivation, so oft wie möglich in das Spiel einzutauchen, aber in der Praxis nahezu unmöglich. Es wurde allerdings angekündigt, dass es auch Spielrunden geben wird, die nur drei bis sieben Tage dauern werden. Bei diesen ist dann auch das Spieltempo dementsprechend höher. Um in diesen Runden erfolgreich zu sein, wird dem Spieler also noch mehr Einsatz und Taktik abverlangt. "Time of Defiance" eröffnet dem Spieler einen unglaublichen Tiefgang und gigantische Handlungsfreiheit. Diese Komplexität wird allerdings mit einer ebenso komplexen Steuerung erkauft. Jede Aktion muss für die einzelnen Gebäude und Schiffe in eigenen Menüs ausgewählt und genau definiert werden. So fühlt man sich, wenn man zum ersten Mal in das Spiel einsteigt, förmlich erschlagen von den ganzen Menüs und weiß nicht, wo man anfangen soll. Also sollte man sich, bevor man ins Spiel startet, unbedingt die diversen Tutorial-Texte im Spiel und auf der Internetseite durchlesen. Denn ein durch Videos oder Cutscenes gestütztes Tutorial, das einen langsam in das Spiel einführt, gibt es nicht. Vor allem auf der Homepage finden sich viele wichtige Tipps. Diese sind in pdf-Files verpackt und führen den Spieler in kleinen Schritten in das Spiel ein. Sehr hilfreich für unerfahrene Spieler ist auch eine kleine Schritt-für-Schritt-Anleitung, in der beschrieben wird, wie man das Spiel am besten beginnt. Wenn man dieser Anleitung folgt, erklären sich manche Dinge von ganz allein und der Einstieg wird ungemein erleichtert. Dem Spieler stehen für seine Aktionen und Planungen zwei Ansichten zur Verfügung: nämlich die "Detailansicht" und die "Imperiumsansicht". Dabei stellt die "Detailansicht" die für Strategiespiele klassische, dreh- und zoombare Vogelperspektive dar, in der man seine Einheiten, Inseln und Gebäude in ihrer vollen Pracht bewundern kann. Abgesehen von der komplexeren Steuerung läuft hier auch alles so ab, wie man es aus anderen Titeln des Strategie-Genres gewohnt ist. Baufahrzeuge bauen Gebäude, die wiederum andere Gebäude beziehungsweise Einheiten herstellen können. Auch gilt es in "Time of Defiance", verschiedene Rohstoffe abzubauen, die dann mit Transportern, auf die einzelnen Außenposten verteilt werden können. Das geschieht durch vom Spieler festlegbaren Handelsrouten, der die Schiffe dann folgen. Die "Imperiumsansicht" dagegen ist grob umschrieben eine Übersichtskarte, auf der man das gesamte Spielfeld überblicken und sich somit ein genaues Bild davon machen kann, wie es um die Größe des eigenen Imperiums steht und wo sich die eigenen Einheiten gerade befinden. Schade ist allerdings, dass man den Einheiten in dieser Ansicht keine Befehle geben kann, sondern immer erst wieder in die Detailansicht wechseln muss. Da man aber nie unter Zeitdruck steht, wird diese Schwäche kaum zu einem Nachteil für den Spieler. Wenn dann einmal alle Befehle erteilt sind und die Einheiten fleißig ihren Aufgaben nachgehen, lohnt sich für den Spieler der Blick zum "Achten Haus". Das "Achte Haus" ist eine Art Institution außerhalb des Kampfes um Inseln und Ressourcen, das jedem Spieler die Möglichkeit gibt zu handeln, einzukaufen oder in den verschiedenen Chatrooms von anderen Spielern Rat einzuholen, mit ihnen über Zusammenschlüsse zu verhandeln oder einfach über Gott und die Welt zu reden. Die Community, die man dort und auf den Internetseiten jetzt schon antrifft, ist durchweg freundlich und hilft einem auch gern einmal aus der Patsche, wenn man nicht mehr weiter weiß. Überhaupt ist es wichtig, mit anderen Spielern zu kommunizieren. Denn spätestens nach der ersten Spielwoche wird man in benachbarten Sektoren auf andere Spieler treffen, beziehungsweise es taucht ein feindlicher Aufklärer in einem der eigenen Sektoren auf, wodurch dieser Spieler dann genau sehen kann, wie viele Einheiten man in diesem Sektor hat und wie es um die Verteidigung der darin befindlichen Planeten steht. In diesen Fällen ist man immer gut beraten, zusätzlich zu den im "Achten Haus" angebotenen Chatrooms, über das im Spiel integrierte Chatsystem mit den angetroffenen Spielern direkt Kontakt aufzunehmen; hauptsächlich um herauszufinden, wie der andere Spieler Nachbarn gegenüber gesonnen ist. In jedem Fall steigt in diesen Momenten die Spannung im Spiel und die damit verbundene Motivation in unermessliche Höhen. Denn jeden Moment könnte der Gegner seine Flotte losschicken und sich die eigenen Planeten unter den Nagel reißen. Doch für den Fall, dass man tatsächlich einmal ausgelöscht werden sollte, ist das Spiel nicht zwangsläufig vorbei. Sofern man das will, besteht die Möglichkeit, in das bereits laufende Spiel als Nomade wiedereinzutreten. Leicht ist das dann aber freilich nicht, doch als kleine Erleichterung hat jeder Spieler, der neu in ein Spiel einsteigt, eine gewisse Schutzfrist, in der er nicht angegriffen werden kann. Somit kann er sich in Ruhe damit beschäftigen, wieder eine gemütliche Heimat für seine Sippe zu finden. Bunte Unendlichkeit! Die Grafik des Spieles gibt sich zweckmäßig, ist aber alles in allem stimmig und fügt sich zu einem harmonischen Gesamtbild zusammen. Den Modellen hätten zwar ein paar Polygone mehr nicht geschadet und auch die Texturen sind in höheren Zoomstufen sehr verschwommen, aber dafür ist der Hintergrund gut animiert und die Effekte sind auch schön anzuschauen. Eine Kollisionsabfrage fehlt allerdings komplett und somit fliegen Einheiten schnurstracks durch andere hindurch. Es werden aber regelmäßig Updates in das Spiel eingespielt, welche sich beim Start des Selbigen automatisch installieren, wodurch in diesem Punkt noch Hoffnung auf Besserung besteht. Auch wurden die Anforderungen so moderat gehalten, dass es auf wirklich jedem einigermaßen aktuellem Rechner laufen sollte. Turbosprecher inklusive! Auch der Sound des Spiels erweist sich als unspektakulär, aber zweckmäßig. Nur die eingebaute Sprachausgabe wirkt etwas eigenwillig. Jedes Mal, wenn man ins Spiel einsteigt, eine Einheit fertig gestellt wurde oder ein anderes besonderes Ereignis eingetreten ist, gibt das ein englischer Sprecher in einem Tempo und einer Tonlage bekannt, die es dem Zuhörer wirklich nicht leicht macht, ihn zu verstehen. Die Funktion ist aber abschaltbar, womit das nicht so schwer ins Gewicht fällt. Mir persönlich hat das Spiel recht gut gefallen und ich werde höchstwahrscheinlich noch öfter in die Welt von Nespanona abtauchen. Ich bin generell ein Fan von neuen Ideen und Innovationen und somit hat der Entwickler nach diesem Spiel eine tiefe Kerbe in meinem Brett. Die Grundidee wurde auch alles in allem sehr gut umgesetzt, doch das Spiel leistet sich einige Schwächen, die vermeidbar gewesen wären, wie die nicht vorhandene Kollisionsabfrage oder das fehlende Tutorial. Mir wurde von den Entwicklern aber garantiert, dass vor allem an den Tutorials gerade auf Hochtouren gefeilt wird. Ich persönlich kann "Time of Defiance" somit jedem guten Gewissens ans Herzen legen, der kein Problem damit hat, sich in ein Spiel einzuarbeiten und nach einem Spiel Ausschau hält, bei dem man einmal wirklich Diplomatie und Politik nacherleben und alle Möglichkeiten durchprobieren und spielen kann. (08.04.2005)
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