World War I - Grabenkrieg in Europa (The Games Company) geschrieben von Sebastian E.R. Hör
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Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts - der Kontinent, die Wiege der westlichen Zivilisation, gleicht einem Pulverfass. Seit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 rüsten alle großen Nationen kontinuierlich auf, um im Falle eines erneuten bewaffneten Konflikts nicht von den Mühlen der Geschichte zerrieben zu werden. England will die "Balance of Power" in Europa gewahrt sehen, Frankreich sich für die schmachvolle Niederlage gegen Deutschland revanchieren, das zaristische Russland von den immer größer werdenden Unruhen im Inneren ablenken, Österreich-Ungarn seinen Vielvölkerstaat zusammenhalten und Deutschland seine Vormachtstellung in Europa festigen. Jedes Land hat seine eigenen Motive, doch die Grundstimmung ist überall dieselbe: Man ist kriegsbereit und wartet nur auf den Funken, der die Lunte des Krieges entzündet. Am 28.Juli 1914 ist es soweit: Ein serbischer Attentäter erschießt Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich und löst damit im Endeffekt den Ersten Weltkrieg aus, dessen beteiligte Parteien sich rasch in zwei Blöcke spalten: die Mittelmächte, unter Führung von Deutschland und Österreich-Ungarn und die Entente, bestehend aus England und Frankreich sowie Russland und kurz vor Kriegsende den Vereinigten Staaten von Amerika. Der Ausgang des Krieges ist bekannt: Deutschland und seine Verbündeten verlieren den Krieg und unterzeichnen ein Waffenstillstandsabkommen mit den Ententemächten. Damit nimmt eine Reihe von Ereignissen ihren Anfang, die fünfzehn Jahre später in der "Machtergreifung" gipfeln soll. "World War I - Grabenkrieg in Europa" lässt Sie die bedeutendsten Schlachten des Ersten Weltkriegs auf Seiten der Entente, Deutschlands und Russlands nachvollziehen; können Sie den Ausgang des Krieges verändern? Grabenkämpfe mit dem Mikromanagement Im Hauptmenü angekommen, haben Sie die Wahl, sich für ein neues Spiel, die Fortsetzung einer bereits begonnenen Partie, einen Blick ins Optionsmenü oder das Verlassen des Programms zu entscheiden. Möchten Sie ein neues Spiel beginnen, haben Sie die Möglichkeit, entweder einen der drei oben genannten Feldzüge zu starten, unter "Verschiedenes" zusätzliche Feldzüge, Kapitel oder Missionen zu spielen oder sich Ihr Spielerprofil anzusehen. Jede der drei Kampagnen wird mit einem etwa einminütigen Introvideo in schwarz-weiß und dem charakteristischen Rattern alter Filmspulen eingeleitet, in dem Sie in aller Kürze über die Vorgeschichte und Ambitionen der jeweiligen Kriegspartei informiert werden. Anschließend bekommen Sie in Textform einige Informationen über die historischen Hintergründe der nächsten anstehenden Aufgabe. Die Erklärungen sind hervorragend formuliert und interessant aufbereitet, sodass es sich lohnt, sie genauestens durchzulesen, obwohl sie für die eigentliche Mission nicht von Belang sind. Wichtiger ist da schon der Lagebericht auf der nächsten Seite - hier wird genauer beschrieben, worin das Ziel der Mission besteht. Mit einem Klick kommen sie zur Zusammenfassung, die Ihnen sowohl eine Minimap als auch noch einmal den Lagebericht und eine präzise Formulierung der Missionsziele liefert. Haben Sie sich genauestens informiert, was von Ihnen erwartet wird, können Sie die Mission starten - und dank angenehm kurzer Ladezeiten auch fast sofort loslegen. Aufwendig inszenierte Zwischensequenzen und atemberaubende Kamerafahrten über die Karte sowie eine dramatische Darstellung der Ereignisse, wie man sie von anderen Genrevertretern gewohnt ist, sollten Sie allerdings nicht erwarten, denn "World War I - Grabenkrieg in Europa" erhebt nicht den Anspruch, "Command & Conquer: Generäle" die Show zu stehlen sondern möglichst nüchtern, authentisch und historisch korrekt die Schlachten des Ersten Weltkriegs nachzustellen. Leider bedeutet das auch, dass viele Hobbystrategen mit den Befehlen und den Eigenschaften der Einheiten zu Beginn überfordert sein werden, denn anders als bei der Konkurrenz gibt es in "World War I" kein Tutorial. Sie werden auch nicht nach und nach an die verschiedenen Einheitentypen gewöhnt und erlangen schrittweise Zugang zu immer mächtigeren Waffen, sondern dürfen (beziehungsweise müssen) gleich mit allem, was es damals so an Kriegsgerät gab, zurechtkommen. Das ist teilweise gar nicht so einfach, denn die Befehle für Infanterie, Kavallerie, Artillerie und sonstiges motorisiertes Gerät unterscheiden sich genau wie ihre Einsatzmöglichkeiten erheblich - was zwar sehr realistisch ist, aber zu Beginn auch verwirrend. Eine Übersicht über die verschiedenen Stärken und Schwächen der einzelnen Infanterie- oder Kavallerieeinheiten sucht man leider ebenfalls vergebens und so bleibt nur der Praxistest, um herauszufinden, ob nun ein "Deutscher Reiter" effektiver kämpft als ein "Berittener Chasseur" - denn in den sechs Stärkekategorien ("Panzerungseigenschaften", "Seitenpanzerung", "Rückpanzerung", "Obere Panzerung", "Waffeneigenschaften" und "Panzerdurchdringung") gleichen sich die beiden Kavallerieeinheiten wie ein Ei dem anderen. Die Realitätsnähe hat jedoch auch noch andere Nachteile, etwa bei der richtigen Platzierung von Artillerie: So wird eine "Skoda"-Feldhaubitze von einem Versorgungs-LKW gezogen und muss an den richtigen Einsatzort gebracht und dort aufgestellt werden. So weit, so gut. Leider gehorcht die Steuerung nicht immer, sodass eine in die falsche Richtung ausgerichtete Kanone (beziehungsweise ihre Bedienmannschaft) sich partout weigert, ein anderes Ziel aufs Korn zu nehmen. Gleiches gilt für die Wegfindungsroutine, die ebenfalls nicht zufrieden stellend programmiert wurde: Bereits in der ersten Mission der deutschen Kampagne gilt es, mit allen Einheiten eine sehr enge Brücke zu überqueren, auf deren gegenüberliegender Seite französische Truppen lauern. Schickt man zuerst die Infanterie und Kavallerie hinüber, so wird sie recht schnell von gegnerischen Haubitzen zusammengeschossen und man darf von vorn beginnen. Schickt man dagegen die Tanks vor, verkanten sie sich ineinander oder bleiben gerne auch einmal an Hindernissen hängen, was auch nicht unbedingt besser ist. Hat man irgendwann die Brücke erfolgreich überquert und das erste Scharmützel siegreich hinter sich gebracht, erhält man mittels eines Popup-Fensters den nächsten Zwischenauftrag. So kämpft man sich über riesige Karten und hangelt sich von Checkpoint zu Checkpoint, um am Schluss dann beispielsweise den Sturm auf eine Festung zu beginnen - ein erneuter Beweis für den zelebrierten Realismus in "World War I - Grabenkrieg in Europa": Ein glorreicher Ansturm auf das Hauptziel mit einer vorher produzierten, erdrückenden Übermacht ist nicht möglich, zuvor müssen zuallererst wichtige Sekundärziele ausgeschaltet beziehungsweise erfüllt werden, damit der Angriff nicht in einem Desaster endet. Es ist übrigens auch möglich, Luftunterstützung anzufordern, was jedoch nur bei entsprechendem Wetter möglich ist - regnet es, können die Flugzeuge nicht starten und man muss ohne sie auskommen. Ohnehin ist "World War I" für Realitätsfetischisten und Militärs im Ruhestand ein wahres Paradies: Infanteristen heben Schützengräben aus, können feindliche Artillerie bemannen und diverse Formationen einnehmen, Artillerieeinheiten können Hinterhalte legen, Trommelfeuer geben und sich verschanzen, Panzer können sich tarnen und vieles mehr. Rauchschwaden In Sachen Grafik hinkt "World War I - Grabenkrieg in Europa", wie oben schon erwähnt, der Genrekonkurrenz weit hinterher. Während die meisten aktuellen Echtzeitstrategiespiele mit frei dreh- und zoombaren Kamera und schicken Animationen und Effekten glänzen, verlässt sich "World War I" lieber auf historisch-militärische Nüchternheit. Die Landschaft ist, bis auf Flüsse, statisch und wird auch nicht durch fliegende Vögel oder hoppelnde Häschen aufgelockert. Bei den Einheiten fallen die Animationen ebenso karg aus - zwei, drei Animationen beim Gehen und Schießen, das war es auch schon. Entsprechend unspektakulär wirken auch die Explosionen - ein paar Rauchschwaden, ein paar kleine Feuerbällchen, mehr nicht. Auch das Schadensmodell ist nicht sonderlich detailreich: Gefallene Infanteristen hinterlassen eine stets gleich aussehende Blutlache, zerstörte Panzer enden als geschwärzte Wracks und zerschossene Häuser durchlaufen drei Stadien der Beschädigung, bis sie völlig ausgebrannt sind. Wie gesagt: nicht spektakulär, aber zweckmäßig und definitiv passend zum Spiel. Gute deutsche Marschmusik Die Soundkulisse ordnet sich ebenfalls sehr gut in den Hintergrund des Spiels ein. Anfahrende Panzer und Kübelwagen legen Kaskaden von Fehlzündungen hin, während sie sich in Bewegung setzen, Schussgeräusche klingen glaubwürdig und ab und an hört man die Vögel, die man nicht fliegen sieht, wenigstens zwitschern. Die Einheiten kommentieren Befehle mit gelangweilter Stimme; das einzige Manko der an sich recht gelungenen Sprachausgabe. Der Sprecher der Introsequenzen zu den Feldzügen klingt glaubwürdig und auch die Menümusik passt zur Atmosphäre. Allerdings mit einem Nachteil: Im Spiel tritt sie nicht dezent in den Hintergrund, wie es einem Spielesoundtrack ansteht, sondern konkurriert mit Sprachausgabe und Geräuschen um die Vorherrschaft in den Ohren.
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