Hired Guns - The Jagged Edge (Peter Games) geschrieben von Sebastian E.R. Hör
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Woran denken Sie, wenn der Begriff "Söldner" fällt? Vielleicht an die italienischen Condottieri der Renaissance? Oder doch eher an Fußballspieler, die gern mal den Verein wechseln? Oder sogar an Firmen wie Blackwater oder DynCorp, die sich im Auftrag der US-Regierung im Irak als Sicherheitsdienstleister verdingen? Möglicherweise denken Sie aber auch mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen an die Zeit zurück, als Sie auf dem PC eine kleine Söldnereinheit kommandierten, die in rundenbasierten Taktikgefechten das kleine Land Meduna von seiner bösen Diktatorin befreite. Neun Jahre sind seit "Jagged Alliance 2" vergangen; mit "Unfinished Business" und "Wildfire" ergänzten zwei Add-ons das wohl immer noch beste Taktik-Rundenstrategiespiel. Der offizielle Nachfolger "Jagged Alliance 3" befindet sich derzeit in der Entwicklung, wird aber wohl nicht vor 2009 erscheinen. Und "Jagged Alliance 3D" hat eine unselige Geschichte rund um Entwicklerwechsel, Lizenzentzug und Releaseverschiebungen hinter sich. Doch all das ist jetzt vergessen: "Hired Guns - The Jagged Edge", das inoffizielle "Jagged Alliance 3D", schaffte es nach langer Entwicklungszeit nun doch in die Händlerregale. Ob es in die Fußstapfen des großen Vorgängers treten kann, erfahren Sie in unserem Test. Vorsicht, zickig! Eins vorweg: Leidgeplagte Nutzer von Windows Vista dürften Schwierigkeiten haben, das Spiel zum Starten zu bewegen. Nur auf einem der beiden Testrechner konnte "Hired Guns" erfolgreich gestartet werden - unter Vista Home Premium, im Kompatibilitätsmodus und mit Administratorrechten. Auf Home Basic verweigerte das Spiel trotz gleicher Vorzeichen hartnäckig den Dienst. Hier sollten die Entwickler unbedingt einen Patch nachschieben! 1999 - 2008: Wie sich die Dinge gleichen! Die Jungs von GFI haben sich große Mühe gegeben "Jagged Alliance 2"-Veteranen glücklich zu machen. Das merkt man an vielen Stellen im Spiel. So dürfen Sie sich, ganz in der Tradition des großen Vorbilds, zu Beginn einen persönlichen Söldner erstellen. Das läuft in zwei Stufen ab: Zunächst beantworten Sie fünfzehn Multiple-Choice-Fragen, um die Charakterzüge Ihres Söldners zu ermitteln, danach verteilen Sie im zweiten Schritt Punkte auf seine Fertigkeiten, wie Schussgenauigkeit, Medizin, Technik und so weiter. Besonderes interessant: Der Zugangscode für die Webseite der Söldnererstellung ist derselbe wie einst in "Jagged Alliance 2": "xep624". Das ist aber noch nicht alles: Der Waffenhändler, der Sie mit der dringend benötigten Munition versorgt, heißt "Dickie Jay" - man muss nicht sonderlich aufmerksam sein, um die Ähnlichkeit mit "Bobby Ray" zu erkennen. Aber der Humor des Spiels speist sich nicht allein aus Anspielungen auf den großen Vorgänger - auch andere Programme werden ein wenig auf die Schippe genommen: Ihr Browser heißt beispielsweise "Sniperilla Waterlynx" - eine schöne Anlehnung an Mozillas Firefox. Außerdem lustig: In Ihrem E-Mail-Programm befindet sich ein Spam-Ordner. Schauen Sie dort gelegentlich hinein, denn es gibt einiges zu schmunzeln - beispielsweise eine Nachricht mit dem Titel "Vergrößern Sie Ihr Ding!", in der es um die Verbesserung von Waffen geht. Doch genug davon - schließlich wollen Sie nicht in Erinnerungen schwelgen, sondern böse Buben bezwingen! Politische Bildung Bevor wir dazu kommen, muss man GFI an dieser Stelle ein dickes Lob für das Handbuch aussprechen: Neben einer präzisen und interessant zu lesenden Schilderung Ihres Auftrags und der politischen Gegebenheiten vor Ort versorgen Sie die Entwickler nämlich nebenbei noch mit einer Art Mini-Einführung der Politik. Darin wird in leicht fasslichen, unkomplizierten Worten erklärt, was eine Diktatur ist, wie eine Demokratie funktioniert und dergleichen mehr. So erwerben Sie quasi nebenbei noch ein bisschen Allgemeinwissen. Einfach super! Chaos, Korruption und Bürgerkrieg Ihr Auftrag ist so einfach wie umfangreich: Befreien Sie das kleine afrikanische Land Diamantküste von seinem skrupellosen Diktator. Ihr Auftraggeber ist der im Exil lebende Bruder des Machthabers, der sich von Zeit zu Zeit per E-Mail bei Ihnen meldet, je nachdem, wie weit Sie im Spiel fortgeschritten sind. Die familiären Bande mussten schon in "Jagged Alliance 2" als Konflikthintergrund herhalten - damals war Ihr Auftraggeber der Ehemann der Diktatorin Deidranna. Um das kleine Land zu befreien, stehen Ihnen mehrere Möglichkeiten offen: Sie können sich zunächst unbehelligt überall bewegen, sofern Sie der Armee gelegentliche finanzielle Zuwendungen zukommen lassen. Greifen Sie die Regierungstruppen hingegen bei der ersten Begegnung sofort an, müssen Sie sich in jedem Sektor, den Sie betreten, zum Gefecht stellen. Die anderen Gruppierungen, auf die Sie im Verlauf des Spiels treffen, sind Banditen, Eingeborene, Rebellen sowie eine UN-Mission, die ein Krankenhaus unterhält. Alle Fraktionen haben Aufträge für Sie und reagieren unterschiedlich auf Ihr Vorgehen. Die Banditen werden, sollten Sie sich dazu entschließen, Sie zu bekämpfen, fortgesetzt die von Ihnen kontrollierten Gebiete attackieren, was bedeutet, dass Sie es unter Umständen mit mehr als nur einer Partei zu tun bekommen, der Sie sich erwehren müssen. Selbstverständlich können Sie Ihre Sektoren entsprechend sichern - entweder mit eigenen Söldnern, bezahlten professionellen Schutztruppen oder einer Miliz. Derartige Möglichkeiten variieren ebenfalls von Gebiet zu Gebiet. Sehr gelungen und innovativ ist übrigens, dass Sie in jedem von Ihnen kontrollierten Areal unterschiedliche infrastrukturelle Verbesserungen errichten können. So können Sie zum Beispiel am Standort der Mine einen weiteren Stollen graben, der fortan Ihre Tageseinnahmen erhöht. Wie auch die Ausbildung von Schutztruppen kosten solche Erweiterungen natürlich Geld - und da Ihre Söldner pünktlich um Mitternacht ihren Lohn erhalten möchten, sollten Sie sich zuvor vergewissern, dass Sie auch genügend auf der hohen Kante haben. Insgesamt dürfen Sie 23 Schauplätze besuchen, von einfachen Straßensperren über einen riesigen Damm bis hin zu einem Flughafen und einem Bahnhof ist alles dabei, was für eine authentische Infrastruktur eines Landes wichtig ist. Sie bereisen das Land in einem Jeep, der maximal sechs Söldner auf einmal transportieren kann und glücklicherweise nicht mit Treibstoff versorgt werden muss. Auf ins Gefecht Wenn Sie ein Gebiet betreten, müssen Sie zunächst Ihre Söldner entlang einer schmalen grünen Zone am Kartenrand stationieren. Auf welcher Seite der Karte das möglich ist, hängt von Ihrer Eintrittsrichtung ab - kommen Sie von Süden, starten sie am unteren Rand der Karte, kommen Sie von Westen, dann beginnen Sie von links. Haben Sie Ihre Truppen zu Ihrer Zufriedenheit platziert, kann der Tanz beginnen. Je nachdem, ob die Partei, die den Sektor kontrolliert, Ihnen bereits feindlich gesinnt ist oder nicht, läuft es anders ab: Haben Sie sich mit der anderen Fraktion noch keine Kampfhandlungen geliefert, können Sie mit deren Angehörigen sprechen, anstatt nur durch Kugeln zu kommunizieren. Sollten Sie allerdings bereits gegen die andere Partei gekämpft haben, wechselt das Spiel bei Sichtkontakt automatisch in den Rundenmodus. "Jagged Alliance"-Veteranen werden sich sofort wie zuhause fühlen, denn am Prinzip hat sich nichts geändert: Jeder Söldner hat, abhängig von dem Gewicht, das er mit sich herumschleppt, und seinem Beweglichkeitswert, eine gewisse Anzahl an Aktionspunkten, die er für Bewegungen oder Angriffe ausgeben kann. Sind alle Punkte aufgebraucht oder haben Sie alle Aktionen, die sie durchführen wollten, ausgeführt, beenden Sie die Runde und der Gegner ist an der Reihe. So weit nichts Weltbewegendes. Die Würze in "Hired Guns" kommt durch die 3D-Umgebung ins Spiel: Durch das - übrigens hervorragend gestaltete - Terrain ergeben sich Höhenunterschiede, die im Kampf mitunter entscheidend sind. Schafft es einer Ihrer Söldner beispielsweise, einen der Wachtürme zu erklimmen und hat er überdies eine Waffe mit relativ hoher Reichweite bei sich, können Sie sich gemütlich zurücklehnen und die Gegner einen nach dem anderen erledigen. Umgekehrt ist es dafür natürlich umso schwieriger, den Feind aus gut vorbereiteten Stellungen zu vertreiben - am Ende des Kampfes dürften Sie einige Verwundete zu versorgen haben. Glücklicherweise geht der Heilungsprozess Ihrer Söldner jedoch weitaus schneller voran als noch in "Jagged Alliance", sodass Sie nicht mehr einen vollen Tag dafür aufwenden müssen, Ihr lädiertes Team wieder aufzupäppeln. Leider hat die 3D-Landschaft jedoch auch ihre Schattenseiten: Wegen der Kameraperspektive, die sich nicht ganz auf Bodenniveau senken lässt, können Sie kleinere Bodenwellen, die Ihre Söldner am Zielen hindern, nicht erkennen. So verschwenden Sie gelegentlich wertvolle Aktionspunkte. Außerdem sind die Hindernisse teilweise lächerlich gering: Es ist kaum vorstellbar, dass ein leichter Sandhügel, der etwa fünf Zentimeter hoch ist, den Schützen daran hindert, sein Ziel zu sehen. Bedauerlicherweise ist das nicht das einzige Manko im Kampfsystem von "Hired Guns": Es ist bisweilen nicht nachvollziehbar, welchen Schaden die Treffer anrichten. So kann es vorkommen, dass ein Kopfschuss weniger Gesundheitspunkte kostet als ein Treffer im Torsobereich. Außerdem richten Schüsse Ihrer Söldner mit Standardmunition aus erhöhter Position unrealistisch wenig Schaden an, während die Ihrer Gegner, die aus einer niedrigeren Stellung schießen, mehr Trefferpunkte kosten. Ärgerlich ist zudem - auch wenn das mit dem Kampfsystem nur bedingt etwas zu tun hat - die Tatsache, dass es keinen einzigen Söldner gibt, der in den Bereichen "Sprengstoff", "Medizin" oder "Technik" hohe Werte aufweist. Das wirkt, als hätten die Entwickler diesen Punkt schlicht vergessen. Das beworbene Feature, den Großteil der Umgebung zerstören zu können, ist übrigens nur bedingt nützlich: Wenn Sie nicht gerade auf Fässer schießen, die explosive Flüssigkeiten enthalten, benötigen Sie entsprechende Ausrüstung (Granaten und Ähnliches), um beispielsweise Gebäudewände einreißen zu können. Abgesehen davon gab es dieses Feature bereits in etwas geringerem Umfang bei "Jagged Alliance 2". Womit wir bereits beim nächsten Kritikpunkt wären: Die Söldner von "Hired Guns" können ihren berühmten Kollegen nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen; ganz selten einmal kommt einem von ihnen ein Spruch über die Lippen, sie bewerten auch nicht die Arbeit ihrer Kameraden oder äußern sich nach einem eroberten Sektor zur Gesamtsituation - nichts! Shadow, Lynx, Scope und wie sie alle hießen, wuchsen dem Spieler durch ihre Hintergrundgeschichten und ihre Sprüche ans Herz. Ihre Nachfolger bleiben hingegen blass und ohne emotionalen Bezug. Oh, übrigens: Die "Quickload"-Funktion hat ihren Namen nicht verdient - der Spielstand lädt genauso langsam wie ein normaler. Schöne Aussichten Grafisch hingegen gibt es bei "Hired Guns" nichts zu bemängeln: Die Explosionen sehen gut aus und die einzelnen Gebiete wurden mit sehr viel Liebe zum Detail umgesetzt. Der Bahnhof sieht aus, wie man sich einen Bahnhof eben vorstellt, militärische Lager strotzen nur so vor MG-Nestern und im Minensektor stehen Bagger in der Gegend herum. Abwechslungsreich sind die Gebiete ebenfalls, auch in dieser Hinsicht gibt es absolut keinen Grund zur Klage. Die Söldner sind schön animiert, wenngleich die Bewegungsabläufe ein wenig hölzern und unrealistisch wirken. Dennoch hinterlässt die Grafik ein positives Gesamtbild. Kriegsdonner Die Soundeffekte wissen ebenfalls zu gefallen: Die Waffen klingen realistisch, das Gleiche gilt für die Einschlaggeräusche, die sich je nach Objekt unterscheiden. Die Hintergrundmelodie passt zum Geschehen, ist aber abwechslungsarm und wird nach einer Weile so aufdringlich, dass man sie irgendwann deaktiviert. Anschließend fühlt man sich nicht nur weniger genervt, sondern bekommt auch mehr vom Schlachtgeschehen mit. Die Sprachausgabe der Söldner ist ordentlich, wenn auch nicht besonders herausragend; Ihre Jungs und Mädels geizen mit Kommentaren.
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