Bulletstorm (PS3) (Electronic Arts) geschrieben von Bernd Wolffgramm
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Bei den First-Person-Shootern (FPS) der letzten Jahre und Monate war im Grunde die Story im Spiel fast immer gleich: Der Held ist Teil eines Teams, das loszieht, das Böse zu vernichten. Die Feinde sind dabei wahlweise böse Invasoren jeglicher Herkunft oder unfreundliche Einwohner aus Ländern der Erde, mit denen die USA ein Problem hat oder hatte. Die Helden sind mehr oder weniger Stichwortempfänger, die im Auftrag eines Gruppenführers kleine und große Missionen zu erfüllen hatten, die Personen selbst bleiben dabei ziemlich blass, "Homefront" soll dabei mal ausgenommen werden. Im Vorfeld der Veröffentlichung von "Bulletstorm" hatte Electronic Arts (EA) kommuniziert, dass dies in diesem Spiel anders sein wird. Und es ist durchgesickert, dass der Ego-Shooter von den Entwicklern Epic Games und People Can Fly sehr brutal werden würde, so dass EA in Deutschland größere "Beschneidungen" vorgenommen hat, um von der USK eine Freigabe zu bekommen. Immer, wenn ein Spiel mit "Gewalt um der Gewalt Willen" bekannt wird, regt sich die Gemeinde der fuchtelnden Zeigefinger und präsentiert ein entsetztes Gesicht, bei den anderen regt sich die Hoffnung, dass man endlich wieder nach Herzenslust ballern kann. Scheinbar darf man diese Hoffnung auch in "Bulletstorm" haben. Da war dieser fiese General Immer, wenn Metzeln im Vordergrund eines FPS steht, ist die Geschichte absolut unwichtig. Niemanden hat interessiert, mit welcher Motivation man den Feind in "Duke Nukem 3D" oder in der "Serious Sam"-Reihe bekämpft hat. Aliens? Egal, wenn sie sich dem Spieler in den Weg stellen, werden sie einfach umgelegt, eine Begründung dafür benötigt man nicht ... selbst Schuld, was haben diese Kreaturen denn hier auf der Erde verloren? Nichts, die hätten ja auch auf ihrem Planeten bleiben können! In "Bulletstorm" ist das genauso, könnte man annehmen. Auch hier gibt es einen Helden, der alles plattmacht, was ihm vor die Flinte läuft. Sein Name ist Grayson Hunt, der als Mitglied der Spezialeinheit "Dead Echo" im Auftrag seines Generals durch das Universum reist, um Verbrecher zu eliminieren. Jedenfalls hat er das immer gedacht ...
Und plötzlich stellt sich heraus, dass das Spiel doch eine Story hat: "Dead Echo" hat es mal wieder geschafft, einen Feind vor seinen Schöpfer zu bringen. Das Team durchsucht das Büro des Opfers und stößt auf Hinweise, dass der Mann vielleicht doch kein so schlechter Mensch war und versucht, alle Ungereimtheiten der vergangenen Jahre Revue passieren zu lassen. Dabei kommt es zu dem Schluss, dass ihr Auftraggeber, General Sarrano, sie für Auftragsmorde missbraucht hat, die gar nichts mit dem Wohl ihres Landes zu tun hatten, sondern nur mit den dunklen Geschäften des Befehlshabers. Das Team beschließt zu desertieren und schwört, sich an ihren Ex-Chef zu rächen. So weit ist dies eine Geschichte, wie man sie ähnlich auch in anderen Action-Spielen gesehen hat.
In "Bulletstorm" startet nun aber eine innere Handlung, in der sich der Hauptakteur Grayson Hunt aller seiner Schandtaten bewusst wird und zu seinem Unglück auch noch der Tochter eines seiner letzten Opfer begegnet. Er versucht natürlich, den General aufzustöbern und sich zu rächen. Aber er ergeht sich auch in Reue und gerät in Streit mit seinem Teamkollegen Ishi, der zwischen Pflichtbewusstsein und Rachegelüsten hin- und hergerissen ist. Die beiden Soldaten wissen, dass sie nur zusammen überleben können, aber ihre Motivation, beieinanderzubleiben, ist unterschiedlich. Der Kampf in Ishi zeigt sich äußerlich daran, dass er nach einem Überfall nur dadurch gerettet werden konnte, in dem man ihm einige künstliche Körperteile implantierte, durch die er nun eine sehr gespaltene Maschinenidentität entwickelt. Der Roboter ihn ihm, der für den emotionsfreien und pflichtbewussten Teil seiner Persönlichkeit steht, wird immer stärker und Grayson Hunt sieht, dass sich sein alter Freund immer weiter von ihm entfernt. Er macht sich Vorwürfe, denn die Implantate mussten Ishi eingesetzt werden, nachdem Häscher von General Sarrano das alte Team "Dead Echo" angegriffen hatten und alle bis auf ihn und Ishi umgelegt hatten. Hunt sieht sich als Anführer der Gruppe in der Verantwortung für alle bisher glücklosen Angriffe auf Sarrano, und immer mehr versinkt er in Selbstzweifeln darüber, was er nach seinem Rachefeldzug machen wird.
Auf einem fremden Planeten treffen Hunt und Ishi die Amazone Trishka, die ebenfalls die einzige Überlebende eines anderen Kill-Teams ist, und mit ihr zusammen machen sie sich auf die Suche nach General Sarrano. In vielen Gesprächen stellt sich heraus, dass Trishka die Tochter des Mannes ist, bei dessen Ermordung dem "Dead Echo"-Team die Erleuchtung gekommen ist. So ist Trishka für Grayson selbst die personifizierte Schuld. Auf ihrer gemeinsamen Rachetour metzeln sie nun gemeinsam die mutierte Hinterlassenschaft des Generals und versuchen sich, inmitten von Hundertschaften Dahingeschiedener, ihrer Gefühle gewahr zu werden. Die äußere Handlung, der Rachefeldzug, ist Standard für einen Ego-Shooter, die innere Story, die Wandlung von Grayson und Ishi, ist ziemlich neu. Es ist interessant zu verfolgen, wie trotz des Gemetzels die Gefühle nicht auf der Strecke bleiben. Da war die Peitsche "Bulletstorm" ist ein Ego-Shooter und in den wesentlichen Eigenschaften allen anderen FPS ähnlich: Es gibt ist einen Helden, der mit einem mehr oder weniger großen Arsenal loszieht, um seinem Ansinnen mit Waffengewalt Nachdruck zu verleihen. In diesem Spiel ist es nun so, dass die Gegner mutierte Strafgefangene sind, die leider etwas zu lange einer giftigen Umwelt ausgesetzt waren. Sie haben ihr humanes Aussehen behalten, sich aber in irre Wilde verwandelt, die nun in Tausendschaften auf die Mitglieder des Ex-"Dead Echo"-Teams einstürmen. Um sich ihrer zu erwehren, kann der Held auf Waffen zurückgreifen, die auch schon aus anderen Ego-Shootern bekannt sind: Pistole, Sturmgewehr und Scharfschützengewehr gehören ebenso dazu wie ein Granatenwerfer oder der eher exotische Drill-Werfer, der Feinde mit Stahlgeschossen in die Wand nagelt.
Seine wirklich gefährlichste Waffe ist eine Energiepeitsche, mit der er wie mit einem Tentakelarm umgehen kann. Er kann Feinde an sich heranziehen, auch wenn diese weit weg stehen oder hinter einer Deckung kauern. Damit verfügt er über eine Überwaffe, die allen Feinden dramatisch großen Schaden zufügen kann. Dabei sind die Treffer mit der Peitsche selbst nicht tödlich, aber sie werden nahe an den Helden herangezogen, wo sie für einige Sekunden regungslos verharren, um dann ohne Gegenwehr von Hunt vernichtet werden können. Für jeden künstlich herbeigeführten Todesfall bekommt der Held Punkte gutgeschrieben, die ab und zu im Spiel gegen Waffen-Upgrades und Munition eingetauscht werden können. Der Kick jeder Waffe ist es, für sie die Option "Aufladung" freizuschalten, mit der sich jede Knarre in eine Superwumme verwandelt, die an der Trefferfläche einen mächtigen Knall produziert. Die dazu benötigten Aufladungen müssen nachgekauft werden, sie sind also nicht in endloser Menge vorhanden. Auch die Peitsche kann aufgeladen werden, sie verursacht einen großen Flächenschaden, der alles sprengt, was "nicht bei drei auf den Bäumen ist". So ist die aufgeladene Peitsche bei den größeren Gegnern die einzige Möglichkeit, ihrer habhaft zu werden. Da war die Gewalt Damit ist aber die ganze Geschichte der Peitsche noch nicht erzählt und das zweite wichtige Kapitel - neben der Story - von "Bulletstorm" wird eröffnet: Das Spiel ist ungeheuer blutig, Gewalt spielt eine Hauptrolle. Ziel ist es, die Feinde für alle möglichen Todesarten vorzubereiten und diese dann fachgerecht auszuführen. Das Spiel sieht Dutzende von Todesszenarien vor, die alle abgearbeitet werden müssen. Für jede im Spiel vorhandene Waffe gibt es technische Anweisungen, wie man einen Feind möglichst brutal umlegen kann. Dabei kann man alle Features einer Wumme zunächst direkt einsetzen, der Kopfschuss ist dabei noch die einfachste Methode. Hat man die Aufladungen für einen Witwenmacher freigeschaltet, muss man sie einsetzen, um einen Feind zum Beispiel durch alle möglichen Sprengungen zu begraben. Man kann die Waffen aber auch indirekt einsetzen, in dem man die Umwelt in die Tötungen mit einbezieht: Tödliche Sporen können freigesetzt werden oder man kann die in jedem Ego-Shooter vorhandenen roten Fässer in der Nähe zum Explodieren bringen. Manchmal zählt es aber auch, wo man den Feind mit einer Waffe für die Ewigkeit unterbringt: Mit der Nagelpistole muss man einen Angreifer an die Wand schlagen, ihn in die Decke dübeln oder auf dem Boden festnieten.
Aber auch beim Umlegen spielt die Peitsche eine große Rolle. Viele Punkte gibt es, indem man die Mieslinge aus ihrem Versteck zieht und direkt in ein Nagelbrett an der Wand befördert oder in einen der Kakteen, die erfreulicherweise massenweise im Spiel zu finden sind. Man findet auch schnell heraus, dass die blöden Angreifer mit totalem Gesundheitsverlust auf die Stromstöße reagieren, die die Werbesäulen und -tafeln ausstoßen. Leider ist die Peitsche nicht sehr genau. Sie trifft zwar den Feind immer - so er nicht zu schnell zu Fuß ist - und er kommt dann im Zeitlupentempo auf den Helden zugeflogen. Meist passiert dies aber auf gradem Weg, auf die Flugrichtung und damit auch auf die Ziele, auf die man den Körper schleudern möchte, hat man wenig Einfluss. Dann kann man aber zu einem anderen Mittel der Flugbeförderung greifen: Jeder Feind lässt sich per Tritt zum Ziel befördern, das ist auch sehr munitionsschonend. So entwickelt sich dann mit zunehmender Erfahrung eine permanente Flugshow, in der man versucht, die Feinde zum Ziel zu befördern und viele Punkte zu bekommen. Das Mittel zur Zielerreichung ist ein endloses Gemetzel, das Punktesystem macht geschicktes Töten wichtig, da man ohne Kunsttöten nicht genügend Credits erzielen kann und somit keine Upgrades oder Munition freischalten kann. Dass es noch brutaler geht, kann man sich vorstellen, denn die deutsche Version wurde weitestgehend von Blut- und Splattereffekten befreit, leider wurden auch ganze Cutscenes entfernt. Da war die Landschaft Bei "Bulletstorm" haben sich die Designer mit der Grafik sehr viel Mühe gegeben, vor allem wurde Wert auf Abwechselung in den Levels gelegt: Felslandschaften, ein zerstörtes Feriendorf, die Überreste einer riesigen Metropole oder die Enge der Korridore eines Raumschiffs, alles wurde mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Die Umgebung bietet genügend Hilfe an, um die geforderten Kill-Skills zu entwickeln, seien es Rotorblätter eines Hubschraubers zum Enthaupten, tiefe Abgründe für die Kicks über das Geländer oder Kaktus-Wüsten für die Dornen-Methode. Allerdings hat man kaum genügend Zeit, sich beim Betreten eines neuen Areals in aller Ruhe umzusehen, da meistens sehr viele Ureinwohner auf den Helden und seine Sidekicks warten und diese erst einmal abgearbeitet werden müssen. So entdeckt man die meisten Feinheiten erst im Kampf, man muss schnell entscheiden, welche Hilfsmittel in den Blutrausch mit eingearbeitet werden können.
Neben den Umweltgrafiken ist es immer interessant zu sehen, wie viele verschiedene Feinde und Mitstreiter es in das Spiel geschafft haben. Wie in Ego-Shootern üblich, nehmen die Fähigkeiten und Nehmerqualitäten der Feinde im Laufe des Spiels zu, je weiter man den Singleplayer-Modus vorantreibt, desto düsterer werden die Feinde, die Charaktergrafiken unterstreichen die Brutalität der Angreifer exzellent. Zu Anfang kann man die Feinde am ehesten als "gelbe Indianer" bezeichnen, es sind also Naturburschen, die zu lange einer giftigen Soße ausgeliefert waren, die den Planeten an den Rand der Apokalypse gebracht haben. Zu Schluss kämpft der Held dann vorwiegend gegen schwarze Humanoiden, die mit Pestbeulen übersäht sind. Zu den Standardfeinden, die man zu Hunderten in "Bulletstorm" im Spiel abknallt, gesellen sich Mini- und Endbosse, an deren Ableben man schwer arbeiten muss. Sie sind allesamt eindrucksvoll dargestellt und lassen durch ihr Aussehen keinen Zweifel daran, "wer hier der Boss ist". Insgesamt leistet die verwendete Unreal-Engine 3 sehr gute Arbeit, auch wenn dem Ego-Shooter-Vieltester wieder mal die unreal-typischen Grafiken und Bewegungen auffallen. Was allerdings in anderen Spielen mit dieser Grafik-Engine als Standard wirkt, ist in "Bulletstorm" nicht zu entdecken. Es wäre ja auch noch schöner, wenn Unreal-Entwickler Epic Games mit der eigenen Entwicklung nicht umzugehen wüsste.
Wegen der starken inneren Handlung gibt es im Spiel viel zu sagen. Der Held spricht mit sich selbst und seinen Team-Mitgliedern über seine Situation und deswegen ist es wichtig, dass auch die deutsche Synchronisation zu der gefühlsgeladenen Stimmung passt. Diese Herausforderung hat THQ gut gemeistert, über einige Konversationen wundert man sich aber, und zwar deswegen, weil man sie in anderen Spielen noch nicht gehört hat. Zwischen Grayson Hunt und seinen alten "Dead Echo"-Team-Mitgliedern gibt es sehr viele Unterhaltungen, die vor Imponiergehabe und Beleidigungen nur so strotzen. So necken sich die Freunde mit teilweise homophoben oder auch homophilen Anspielungen, wie man sie nur aus Gesprächen zwischen pubertierenden Teenagern kennt. Obwohl man das schon oft gehört hat, in einem Ego-Shooter ist das neu. Erst als die Amazone Trishka auf dem Bildschirm erscheint, ändert sich der Tonfall etwas, auch Ishis Metamorphose zu einem Cyborg ist nicht freundschaftsfördernd.
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Fazit
Da war das Ich hatte am Anfang Sorge, dass "Bulletstorm" gegen die anderen Ego-Shooter mit den großen Namen, die zurzeit scheinbar alle gleichzeitig erscheinen, keine Chance haben wird. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: "Bulletstorm" hat es geschafft, ein eigenes Profil zu schaffen. Eine tolle Story, rasante Dauer-Action und das sehr innovative Tötungs-Skill-System machen das Spiel zu einer Empfehlung. Die Schnitte im Spiel sind zwar unschön, aber meiner Meinung nach fallen sie bei der Bewertung nicht ins Gewicht, auch ohne die Splatter-Effekte ist "Bulletstorm" sehr sehenswert. Der Singleplayer-Modus ist nicht zu kurz und die Anzahl der Feinde ist rekordverdächtig. Zu kurz gekommen ist der Online-Modus, der Anarchy-Mode ist ganz nett, aber im Vordergrund steht aber definitiv die Karriere. Bitte mehr davon! (18.04.2011)