Trainingslager

Trainingslager

(Bundeszentrale für politische Bildung)

geschrieben von Bernd Wolffgramm

 

Dieser Spieletest ist etwas Neues für DLH.Net. In "Trainingslager" geht es nicht um "schneller, besser, geschickter oder tödlicher", es gibt keine Cheats, es wird niemals eine Komplettlösung dafür geben und es kommen keine Avatare darin vor, die man dann für massig Kohle bei Ebay verkaufen kann. Es wird keine Grafik-Tweaks oder Hip-Hop-Sounds geben und es steht zu bezweifeln, dass es jemals Diskussionsforen im Internet zu "Trainingslager" geben wird. Trotzdem wird das Spiel vermutlich Auflagenzahlen erreichen, von denen die meisten Game-Publisher nur träumen können. "Trainingslager" ist nämlich kein Unterhaltungsspiel, sondern eine Art Lernspiel. Mit vollen Namen heißt es "Trainingslager: Fairness, Toleranz, Zivilcourage - Ein PC-Programm für handlungsorientiertes Lernen". Und damit seien nun diejenigen beglückwünscht, die diesen Test trotz der abschreckenden vorausgehenden Worte noch weiterlesen, denn ihnen wird hier ein interessantes Spiel vorgestellt.

Für Schüler

Die Idee zu "Trainingslager" ist tatsächlich neu und in einer Zeit, in der es alles schon einmal gab, freut man sich, wenn mal jemand nachdenkt und es dann auch wirklich etwas Brauchbares herauskommt. Anders als bei herkömmlichen Computerspielen sitzen die Gamer nicht allein vor dem Monitor, sondern in Gruppen mit bis zu vier Spielern. Sie spielen nicht gegeneinander, sondern miteinander und es geht auch nicht darum, wer aus der Gruppe am Schluss besser ist als die anderen, sondern darum, dass man über das Geschehen im Spiel spricht und gemeinsam zu einem Ergebnis kommt. Dabei gibt es kein "Richtig" und kein "Falsch", sondern nur verschiedene Möglichkeiten, um auf das Spiel zu reagieren. Das Game beinhaltet zwei Szenen, die die Mitspieler beobachten und auf die sie reagieren müssen. Die Installation des Programms ist sehr einfach und die Hardwarevoraussetzungen werden von jedem heute handelsüblichen PC oder Notebook spielend erfüllt.

Gameplay eins - Der Denkanstoß

Nach der Installation führt das Spiel die Betrachter zunächst in einen Umkleideraum einer Fußballmannschaft. Zu sehen sind neben ein paar Bänken vier Spinde, ein Taktikbrett und das Poster einer nicht mehr ganz aktuellen deutschen Fußballnationalmannschaft. Aus dem Nichts ertönt nun eine Stimme, die erklärt, worum es bei diesem Spiel geht und wie es funktioniert. Da das Game sehr intuitiv ist, benötigt es kein Handbuch, der Sprecher erklärt sehr gut verständlich die wenigen Mausklicks, mit denen "Trainingslager" gesteuert wird. Alle Mitspieler werden aufgefordert, sich mit einem Namen zu registrieren, danach wird jedem ein Spind zugewiesen. In diesem Umkleideschrank werden für den Rest des Spiels die Meinungen und Einschätzungen der Spieler verstaut. Durch einen Klick auf den Spind kann man so alle Äußerungen des Spielers aus dem ganzen Programmablauf wieder hervorholen.

Die erste Szene des Spiels heißt "Der Denkanstoß". Erzählt wird - passend zum Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006 - die Geschichte einer B-Jugendmannschaft, die einen neuen Kapitän wählen muss. Es werden die beiden Kandidaten vorgestellt, Bastian und Jens. Ziel des Spiels ist es, dass sich im Anschluss an alle Filmszenen jeder Mitspieler für einen der Kandidaten entscheidet und so mit Stimmenmehrheit ein neuer Spielführer gewählt wird. Um die beiden Aspiranten näher kennen zu lernen, werden den Betrachtern nun mehrere Filme vorgespielt, in denen Bastian und Jens zusammen oder getrennt in Erscheinung treten. Gezeigt werden Szenen aus dem "normalen" Tagesablauf der beiden, etwa beim Fußballtraining, in der Schule oder im Freundeskreis. Im Mittelpunkt jeder Szene steht eine Handlung der beiden "Fast-Kapitäne", die von den Gamern beurteilt werden muss. Ist eine Filmszene zu Ende, finden sich die Spieler im Umkleideraum wieder und jeder Beteiligte wird aufgefordert, der Schlüsselhandlung des vergangenen Films mindestens ein Attribut zuzuordnen. Dazu hängen am Taktikbrett die berühmten gelben Klebezettelchen, auf denen Worte wie "cool", "egoistisch" oder "hilfsbereit" u.v.a. stehen. Jeder Spieler öffnet dann seinen Spind, dort sieht er die Fotos der beiden Kontrahenten. Nun muss jeder Spieler per Drag and Drop mindestens einen gelben Zettel in den Schrank auf den entsprechenden Kopf ziehen, dann kann er den Spind wieder zumachen und der nächste Mitspieler muss seine Bewertung abgeben. Hat ein Gamer das Gefühl, dass keines der vorbereiteten Worte seiner Einschätzung der Handlung entspricht, dann kann er selbst einen neuen Bewertungszettel ausfüllen und diesen dann in seinen Spind schieben. Wurden alle "Wertungen" abgegeben, werden die Spieler zur Diskussionsrunde weitergeleitet, hier sind nun alle Zettel aller Mitspieler einsehbar. Ziel dieses Abschnitts ist es, dass jeder Coach seine Einschätzung verteidigt. Abgeschlossen wird die erste Spielrunde mit dem "Schätzometer". Dargestellt werden für alle Mitspieler jeweils zwei Skalen von minus fünf bis plus fünf, auf denen nun jeder Gamer über einen Schieberegler seine aktuelle Einschätzung der beiden Kapitänsaspiranten Bastian und Jens wiedergeben kann. Damit ist dann die Runde abgeschlossen und der nächste Film kann beginnen. Insgesamt werden den Juroren acht Filme vorgeführt, die der Meinungsbildung und als Diskussionsstoff dienen sollen. Ist dann die letzte Szene abgespielt und sind alle Zettel zum letzten Mal vergeben worden, bitte das Spiel jeden Entscheider darum, sich für einen der beiden stark zu machen und ihn zum Spielführer zu erklären. Ob Bastian gewinnt oder Jens in Zukunft die Spielführerbinde tragen darf, das entscheidet die Stimmenmehrheit.

Gameplay zwei - Schneller Konter

Auf der zweiten CD befindet sich das andere Kapitel des Programms, das - auch ganz "fußball-like" - "Schneller Konter" heisst. Auch hier stehen wieder kleine Filmszenen im Mittelpunkt des Spiels, nur dass diesmal nicht eine abgeschlossene Geschichte erzählt wird, sondern einzelne Szenen des täglichen Lebens herausgegriffen werden. Auch der Ablauf einer Spielrunde ist etwas anders. Wie schon bei "Der Denkanstoß" erklärt eine Stimme den Ablauf des Programms. Eine Registrierung ist diesmal nicht nötig, da es in dieser Runde keine Einzelentscheidungen gibt, die zu einem Endergebnis führen, sondern alle Teilnehmer zusammen zu einer Einschätzung der Lage kommen müssen. Beispielhaft soll hier die erste Sequenz durchgespielt werden.

Zu sehen sind einige Schüler, die nach dem Unterricht den Klassenraum verlassen wollen. Zeitgleich betritt die Reinigungsfrau den Saal und die Schüler machen ihr Platz, damit sie ihre Utensilien hineinschieben kann. Allerdings geschieht dies nicht in aller Stille, sondern die Reinigungsfrau muss sich von den meisten Schülern dumme Sprüche anhören. Eine der Schülerinnen ergreift Partei für die Putzfrau, weil ihre Mutter ebenfalls mit dieser Tätigkeit ihr Geld verdient und diese bekommt dann von ihren Mitschülern weitere gehässige Kommentare zu hören. An dieser Stelle stoppt der Film und die Stimme aus dem Off erklärt, was nun zu tun sei. Die Mitspieler sollen die Szene zu Ende sprechen, sie sollen sich aussuchen, wie man auf ein derartiges soziales Fehlverhalten reagieren soll. Dazu werden den Entscheidern drei vorgefertigte Verhaltensweisen vorgegeben, die alle wünschenswert sind, zum Beispiel "durch Übertreibung lächerlich machen" oder "durch Gegenfragen verunsichern". Diese Grundverhaltensmuster müssen dann von den Spielern mit "Leben" erfüllt werden. Haben sich die Mitspieler auf eine Reaktion geeinigt, muss diese dann aufgenommen werden und wird dann in den Film eingespielt. So können die Akteure dann sehen, wie ihre gefundene Antwort im Film wirkt. In dieser zweiten Episode des Programms ist also wesentlich mehr Interaktivität gefragt als im ersten Teil, wo alles mit der Maus geregelt werden konnte. Hier ist jetzt das aktive Gestalten der Antworten gefragt.

Für Lehrer

Wenn man ehrlich ist, richtet sich dieses ganze Review an Lehrer, einfach deshalb, weil die Schule der ideale Ort ist, um "Trainingslager" zu spielen. Schüler werden sich am besten mit den Personen in den Filmen identifizieren, jeder der vorgestellten Inhalte "passiert" Schulkindern mehrmals am Tag. Und die meisten Schüler kommen sich, wenn sie in eine derartige Situation kommen, genauso hilflos vor, wie die Schüler in den Movies. "Trainingslager" stellt den Spielern auf ganz anschauliche Weise vor, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten können. Natürlich geht das Programm immer davon aus, dass sich auch jeder am liebsten "sozial" verhalten möchte. Da aber gar nicht klar ist, was denn nun das richtige Verhalten ist, bietet das Game immer wieder Diskussionsrunden an, in denen die Mitspieler ihr erwünschtes Verhalten oder die Einschätzung der Situation verteidigen müssen. Und hier liegt die eigentliche Stärke von "Trainingslager". Durch die Technik "Computer" wird es möglich, Verhalten und Werte abzuspeichern und immer weiter zu optimieren oder umzuändern. Die Spieler greifen in Entscheidungen und Abläufe ein, ihre eigenen Ideen fließen in den Programmablauf mit ein. Das unterscheidet "Trainingslager" zum Beispiel von Lehrfilmen oder Büchern, die nur passiv konsumiert werden können.

Die Mitspieler können das Game ohne jede Vorbereitung starten, der/die Spielleiter/in (zum Beispiel ein/e Lehrer/in) kann sich durch das dem Spiel beiliegende Büchlein noch über die Movies hinaus informieren und anregen lassen. Das Handbuch (auf Papier - das sei mal in dieser PDF-Datei-geprägten Zeit gesagt) bietet auf Wunsch eine ausführliche Erklärung zu allen Szenen des Spiels sowie einen populärwissenschaftlichen Teil, der erklärt, wie ein Verhalten in einer bestimmten Situation zustande kommt. So wird dem Lehrer auch noch Material an die Hand gegeben, über das Spiel hinaus Unterrichtseinheiten zum Thema Fairness, Toleranz and Zivilcourage zu gestalten.

Für Neugierige

Wie schon in der Einleitung erläutert, hat dieser Test eine ganz andere Dimension als die normalen Reviews, die dem Leser auf DLH.Net präsentiert werden. Es bedarf keinem wochenlangen Spielen, keiner riesigen Installationsorgien und auch keiner Kommunikation mit den Spiele-Publishern, weil irgendetwas nicht läuft. Das Spiel wurde in ein paar Minuten installiert und man konnte sofort loslegen. Es ist natürlich auch nicht wirklich mit Unterhaltungssoftware der gängigen Genres zu vergleichen, es hat weder eine ähnlich lange Spielzeit, noch eine stundenlange Story. Aber das Spiel soll auch nur am Rande unterhalten, es möchte die Sinne schärfen für angemessenes Verhalten in bestimmten Situationen und dies erreicht ein solches Programm besser, als alle bisher da gewesenen Medien. Jemand hat sich Gedanken gemacht und es ist etwas Besonderes dabei herausgekommen. Es ist sonst nicht die Gepflogenheit von DLH.Net, bei einem Spiel auf die Macher hinter einem Game einzugehen, aber auch da machen wir diesmal eine Ausnahme. Der Impulsgeber und Erfinder dieses Art Spielesoftware ist Gerrit Hoberg, der Chef des Idee&Produkt-Verlages. Das Spiel "Trainingslager" ist bereits die dritte Auflage seiner interaktiven Medien, die unter dem Genrenamen "Sprachbaukasten" veröffentlicht werden. Dass diese Art von Spielen nicht nur für Jugendliche gedacht ist, zeigen die Einsatzgebiete der ersten beiden Programme. Der erste Sprechbaukasten hieß "Kontra geben" und wurde für Übungsleiter im Freizeitsport entwickelt, um dummen und rechtsradikalen Sprüchen Paroli bieten zu können. Das zweite Programm trägt den Namen ""Balance - Wenn Kundengespräche zu kippen drohen" und befasst sich mit Situationen aus dem Alltag von Banken und Sparkassen. Wie auch "Trainingslager" machen sich diese beiden Programme das Zusammenspiel zwischen Lernen und Technik zunutze, um Verhalten im Alltag zu erlernen und "richtiges Reagieren" interessant zu vermitteln.

Also, wenn damals einer meiner Lehrer mit einem Programm wie Trainingslager aufgekreuzt wäre, hätte ich ihm nicht nur ein Sternchen in Betragen gegeben, sondern auch noch eine Sonne für besonders interessanten Unterricht. Nun sind Bildchen in der Bewertung ja nicht mehr soooo sehr gefragt, aber ich kann trotzdem allen Lehrern nur empfehlen, sich ins "Trainingslager" zu begeben. Das Programm umfasst zwei CDs mit je einer Aufgabengruppe, beide Spiele lassen sich in je einer Doppelstunde inklusive Diskussion gut durchnehmen. Als technische Voraussetzung benötigt man mindestens irgendeinen PC, besser aber noch mehrere Computer zur Kleingruppenarbeit. Das Programm ist fast kostenfrei und kann gegen 10€ Schutzgebühr bei der Bundeszentrale für politische Bildung abgerufen werden. Und in einem Jahr, in dem das Motto lautet "Die Welt zu Gast bei Freunden", kann ein wenig Übung in sozialem Verhalten definitiv nicht schaden.

(07.04.2006)

Entwickler: Idee&Produkt Verlag
Publisher: Bundeszentrale für politische Bildung
Genre: Lernspiel
Releasedate: bereits erhältlich
Homepage: Trainingslager
Preis: 10 € Schutzgebühr
Altersfreigabe: Nicht der USK vorgelegt, nach Einschätzung von DLH.Net aber für alle Altersgruppen ab 6 Jahren geeignet
Bezugsadresse: Über Homepage (s.o.) oder bei

Bpb-Vertrieb

Postfach 1149

53333 Meckenheim

Bestell-Nr.: >2.540

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