Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn: Das Spiel (PS3) (Ubisoft) geschrieben von Pavel Girard
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Beim Erlauschen des Wortes "Lizenzspiel" sträuben sich sowohl Mitgliedern der Fachpresse als auch Spielern die Haare und ihre Gehirne schalten automatisch auf Abwehrhaltung. Und das zu Recht. In den seltensten Fällen wissen solche Spiele zu begeistern, meist enden sie in uninspirierten und lieblos dahin programmierten Werken, deren Existenz nur einen Grund hat: einem Franchise mehr Geld einzubringen. Dabei ist es egal, ob es sich um Spiele zu Filmen, zu Comics oder etwa zu Filmen, die auf Comics basieren handelt. Speziell letztere Gattung war mit "Thor", "Captain America" oder "Green Lantern" jüngst besonders häufig vertreten. Jetzt wagt sich Ubisoft Montpellier an eine der bekanntesten Nicht-Superhelden-Comicreihen aller Zeiten, "Tim und Struppi" vom Belgier Georges Prosper Remi, besser bekannt als Hergé. Deren Verfilmung ist gerade auch in den deutschen Kinos mit enormem Erfolg angelaufen, nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung der Regiegrößen Steven Spielberg und Peter Jackson. Kann das Spiel das Flair der Vorlagen adäquat in die digitale Form des Videospiels transportieren und dabei vielleicht sogar den schlechten Ruf der Lizenzspiele verbessern? Schiff Ahoi! Wer die gleichnamige Comicvorlage und ihre Ergänzung "Der Schatz Rackhams des Roten" kennt, darf diesen Abschnitt getrost ignorieren, denn Spiel wie Film folgen den Geschehnissen des Doppelbandes weitestgehend korrekt: Reporter Tim und sein Foxterrier Struppi stolpern auf dem Flohmarkt zufällig über ein Modellschiff der "Einhorn" und Tim wird daraufhin vor Ort in ein aggressives Wett-Feilschen mit zwei ominösen Herren verwickelt. Misstrauisch darüber, warum ein altes Schiffsmodell solches Interesse erregt, untersucht er es zu Hause genauer und findet ein uraltes Dokument mit einer kryptischen Botschaft, die auf einen versteckten Schatz hinzuweisen scheint. Bevor er sich versieht, findet er sich verstrickt in eine abenteuerliche Schatzjagd, die ihn um die halbe Welt führt. Vom "Schloss Mühlenhof" geht es unter anderem mit der "Karaboudjan" über den Atlantik, zur fiktiven marokkanischen Stadt "Bagghar" bis hin zu einer düsteren Schlossruine auf einer mysteriösen Insel. Mit dabei ist nicht nur Struppi, sondern wenig später auch Kapitän Haddock, sein zukünftiger treuer Freund und Wegbegleiter. Von Kronleuchtern, Bananen und C4-Steinschleudern Im Kern ist "Tim und Struppi" ein Jump'n'Run, wie zuvor schon die meisten Videospielumsetzungen der Reihe, die unter anderem auf dem Super Nintendo und der Playstation spielbar waren. Wer jetzt aber an "Super Mario World" oder "Crash Bandicoot" denkt, liegt falsch. Das Spiel ist eher ein gemächlicher Vertreter seiner Gattung, vergleichbar mit Klassikern wie "Prince of Persia" oder "Another World". Man sprintet nicht flott durch ellenlange Levels, sondern meistert immer kürzere Abschnitte, in denen man abwechselnd springt, prügelt und kleinere Rätsel löst. Die Umgebungen sind dreidimensional angelegt, die Perspektive aber ist (mit wenigen Ausnahmen) von der Seite zu sehen, ähnlich wie in "Street Fighter IV", um einmal eine nicht so offensichtliche Parallele zu ziehen. Obschon die Levels streng linear sind und man sich nur von links nach rechts und umgekehrt bewegt, gibt es oft mehrere Etagen. Hier fällt zum ersten Mal das gewollt Unrealistische des Comic-Mediums auf, das gut auf das Spiel übertragen wurde, denn betritt man etwa im "Schloss Mühlenhof" eine Tür im obersten Stockwerk, kommt man eine Sekunde später im untersten wieder heraus. Dieses Feature kann auch taktisch genutzt werden, um Gegnern schnell zu entkommen. Die KI-Schergen patrouillieren in den entsprechenden Räumen oder Gängen und oft gilt es, die Umgebung zu nutzen, um sich ihrer zu entledigen. Tim kann mit Druck auf die R2-Taste bestimmte Gegenstände wie Krüge aufheben und als Allzweckmittel verwenden. Mal schleudert er sie auf einen Kronleuchter, der daraufhin auf die Gegner darunter stürzt, mal wirft er ihnen Bananenschalen vor die Füße auf denen sie ausrutschen. So ergeben sich oft slapstickartige Situationen, die zeitweise für viel Witz sorgen, denn besagter ausgerutschter Gegner kann auch mit anderen kollidieren und unter großem Gejohle gemeinsam mit ihnen ins Wasser stürzen. So kompliziert muss es aber nicht immer sein, denn Tim beherrscht auch die simple Kunst der Prügelei. Mit nur einer Taste schaltet er Gegner auf Gegner im Boxkampf aus, wenn es nötig ist. Ist man kein Freund von solcher Gewalt, kann man die Feinde auch lautlos von hinten ausschalten. Tim packt sie dann dezent bei den Füßen und knallt sie effektvoll wie einen Teppich auf den Boden oder auf andere Gegner. Das sieht extrem überzogen aus und kommt ebenfalls dem Humor des Spiels zugute. Die Rätsel des Spiels sind zwar schlicht, sorgen aber dennoch für Spaß und Abwechslung. So wie man die Gegenstände direkt oder indirekt auf Feinde schleudert, betätigt man mit ihnen auch Schalter, um Türen zu öffnen, trennt Seile durch, um Zugbrücken zu senken oder blockiert Zahnräder, um Maschinen zu stoppen, die Tim irgendwie am Weiterkommen hindern. In seinen besten Momenten erinnert das Spiel dabei an moderne Klassiker wie "Oddworld: Abe's Odyssee" oder "Heart of Darkness". Manche der Rätsel kann man nur mit der Hilfe von Struppis Spürnase lösen: Man steuert ihn durch Lüftungsschächte, damit er seinem Herrchen verborgene Schlüssel bringt oder folgt einer Geruchsspur, um Tim zu einem geheimen Versteck zu lotsen. Diese bunte Gameplay-Mischung ist die größte Stärke des Spiels, denn Platforming-, Rätsel- und Prügeleinlagen gehen nahtlos ineinander über und wirken so wie aus einem Guss. Selbst da hört der Spaß aber noch lange nicht auf. Abseits der Jump'n'Run-Sequenzen findet man sich immer wieder auch hinter dem Steuer einer kleinen Propellermaschine oder eines Motorrades mit Beiwagen wieder. Diese Abschnitte sind jedoch weitaus uninspirierter und schlichter und wirken eher wie integrierte Minigames. Man nimmt lediglich andere Vehikel unter Feuer, springt über Schanzen oder fliegt durch Ringe. Gelegentlich wird es auch etwas zu albern, beispielsweise wenn man während einer Verfolgungsjagd durch die Wüste mit einer Steinschleuder auf einen Hubschrauber mit Gatling-Gun schießt und dieser plötzlich explodiert. Zuletzt verschlägt es Kapitän Haddock in einer Rückblende auch einige Hundert Jahre in die Vergangenheit, wo er sich als Ritter Frantz von Hadoque, einem seiner Vorfahren, dem Fechtkampf gegen Rackham den Roten und seinen Piratenlakaien stellt. Leider sind diese Teile des Spiels nicht so gelungen, denn die Steuerung von Flugzeug und Motorrad ist übersteuert und unpräzise und der Fechtkampf beliebig und langweilig. Dasselbe gilt für die Integration der Playstation Move-Steuerung, die gelegentlich zum Einsatz kommt. Das kommt allerdings nur zwischen bestimmten Levels vor, wo man auf simpelste Weise die Fernbedienung dreht, um neue Pergamente aus den Mästen weiterer Modelle der "Einhorn" ans Tageslicht zu befördern oder in Notiz- und Tagebüchern zu blättern. Hat man das Hauptspiel beendet, sollte man den Datenträger trotzdem nicht direkt im nächsten Videospielladen verkaufen, denn ein gewisser Wiederspielwert ist gegeben. Zum einen kann man die Umgebungen erneut durchsuchen, um alle "Goldene Krabben" zu finden, die dort versteckt sind, zum anderen hält das Spiel mit Herausforderungen bei der Stange: Hier handelt es sich um die bekannten Flugzeug- und Motorradrennen beziehungsweise Fechtkämpfe, die diesmal durch zusätzliche Spielmodi aufgelockert und erweitert werden. Man fliegt etwa unter Zeitdruck durch Ringe, fährt so schnell wie möglich zwei Runden oder versucht, so viele Gegner wie möglich zu erdolchen. Das ist anfangs witzig, wird aber durch die ständigen Wiederholungen recht schnell langweilig. Ein Comic erwacht zum Leben Tims Abenteuer um die Welt ist einer der hübscheren Vertreter seiner Gattung und orientiert sich stark am Design des Films mit seinem düster-bunten Look. Die Umgebungen sind abwechslungsreich und passend in Szene gesetzt und werden speziell in den späteren Levels mit schönen Wasser-, Wind- und Raucheffekten aufgepeppt. Während die Bewegungsanimationen der Charaktere stets geschmeidig und stilecht ausfallen, sind die Gesichtsanimationen jedoch hakelig und verwaschen. Trotzdem kommen manche Gesichter bemerkenswert nah an die der Comiccharaktere heran, wie etwa im Fall der Gebrüder Vogel-Faull oder Kapitän Allans. Weitere Verweise ans Comic, die ihren Weg ins Spiel gefunden haben sind "Verwunderungs-Fragezeichen" oder "Ärger-Wolken" über den Köpfen der Gegner, wenn sie Tims Spur verloren haben. Indiana Jones lässt grüßen Das visuelle Design trägt also einen Großteil zur Authentizität der Comicumsetzung bei und Selbiges gilt für den Sound. Schlägt man Gegner nieder, ertönt ein "Kuckuck"-Geräusch, wird man nach einem misslungenen Anschleichversuch entdeckt, wirbeln sie alle gleichzeitig herum und brüllen wie wild durcheinander. Generell sind die Soundeffekte, wie das Zuschlagen von Türen oder das Laufen auf Holzdielen sehr gelungen. Der Soundtrack ist abwechslungsreich und reicht von orientalischen Melodien in Bagghar über fidele Geigenmusik, wenn man mit Struppi spielt bis hin zu entspannten Jazz- und Bluesklängen. Den Gesamtstil dominiert jedoch ganz klar die Anlehnung an bekannte Spielberg-Filme, wie die an "Indiana Jones" erinnernde Untermalung während eines Wüstenrennens. Tim und Haddock im Wunderland Zusätzlich zum Einzelspielermodus besitzt das Spiel eine separate Zwei-Spieler-Koop-Kampagne. Das Szenario gibt ein Traum Kapitän Haddocks vor, dessen Hirn eine der Realität entfremdete Version des "Schloss Mühlenhof" erschaffen hat. Das Schloss dient als zentraler Hub, von dem mehrere Türen im Stile eines "Super Mario 64" in die einzelnen Levels führen. Dass diese allesamt Hirngespinste eines ständig betrunkenen Seemanns sind, merkt man dem Level-Design zu jeder Zeit an: Während man sich durch die konventionelle Umgebung eines Stahlfrachters hüpft, kämpft und rätselt, gähnt im Hintergrund ein surreal von Mondlicht beschienenes unendliches Meer und zwischendurch reist man mit überdimensionalen Weckern zu anderen Punkten im Level. Das Gameplay verläuft ähnlich wie im Hauptspiel, außer dass die Spielfiguren sich gegenseitig per Räuberleiter Hilfestellung geben können und zusätzliche Spezialfähigkeiten erhalten. Tim kann einen Enterhaken verschießen, um sich an höhere Orte zu katapultieren und Kapitän Haddock boxt sich durch bestimmte Wände hindurch. Die Abschnitte sind noch komprimierter als die der Kampagne, sorgen aber gerade deshalb für noch mehr Spielspaß, der durch die Möglichkeit, das Ganze zu zweit anzugehen, in unerwartete Höhen schießt. Fazit Aufgrund seines sehr niedrig angesetzten Schwierigkeitsgrades ist "Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn: Das Spiel" vor allem ein Spiel für Kinder geworden. Das ist schade, denn die Fangemeinde gerade dieser lange bestehenden Comicreihe ist wohl eher in höheren Alterssemestern angesiedelt. Können diese aber darüber hinwegsehen, ein Kinderspiel zu spielen, erwartet sie eine bemerkenswert werkgetreue Umsetzung der Vorlage(n). Die vielen optischen Verweise, wie die Animationen und das Aussehen der Charaktere und die authentische Geschichte werden Nostalgikern Freudentränen in die Augen treiben. Auch als reines Videospiel betrachtet und nicht nur als Umsetzung eines Comics, überwiegen die positiven Aspekte. Sieht man nämlich über die Nicht-Jump'n'Run-Abschnitte mit ihrer hakeligen Steuerung hinweg, ist das Spiel durchaus gelungen und stellt eine wohltuende Abwechslung vom Lizenzbrei dar, den vor allem die oft misslungenen Animationsfilmadaptionen lieblos aufgekocht haben. (12.12.2011) |