Ghost Recon Advanced Warfighter 2 (Ubisoft) geschrieben von Jan-Tobias Kitzel
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Simpsons Der Film. Star Wars XVIII. Rambo Die Rückkehr der Tattergreise. Man erkennt ein Schema: Mehr oder weniger Gutes wird fortgesetzt. Ob "Ghost Recon Advanced Warfighter" aus dem Jahre 2006 nun zu Ersterem oder Letzterem gehörte, daran scheiden sich die Geister. "Klasse Story und Action gepaart mit Taktik" sagen die Einen, "Aber diese saublöde KI der Teamkameraden und Gegner und die unfairen Speicherpunkte" sagen die Anderen. Wollen wir doch mal sehen, ob die Entwickler von GRIN bei "Ghost Recon Advanced Warfighter II" den Beschwerden nachgekommen sind und dabei die Stärken des ersten Teils bewahren konnten. Gameplay oder "Mexiko, ick liebe dir!" Als Anführer einer Spezialeinheit hat man es nicht leicht. Gerade noch hat man dem amerikanischen Präsidenten in Mexiko den Allerwertesten gerettet, schon klingelt erneut das Kom. Dabei war man gerade auf dem Rückweg! Aber leider haben wir die Rechnung ohne ein paar übereifrige Putschisten gemacht, die so ganz nebenbei drei Atomsprengköpfe in ihre Gewalt gebracht haben und Mexiko ihrer harten Führung unterwerfen wollen. Wer die "Stärken" der künstlichen Intelligenz der Regierungssoldaten noch aus dem ersten Teil von "GRAW" kennt, weiß, warum die Putschisten mit diesem "genialen" Plan einfach Erfolg haben mussten. Aber es geht doch nichts über ein echtes Hirn unterm Helm und somit schnappen wir uns die durch die einige Jahre in der Zukunft angesiedelte Story teilweise technisch weiterentwickelten Waffen und ab aufs staubige Schlachtfeld. Während wir im ersten Teil von "GRAW" unser Vier-Mann-Team noch allein durch Straßenschluchten bewegen durften, sind nun sogar ein paar Außenlevels mit felsigen Abschnitten hinzugekommen, auch in der Gesamtsicht erweisen sich die einzelnen Karten als deutlich abwechslungsreicher als im direkten Vorgänger. Aber wir sind schon viel zu weit. Denn vor dem Sirren der Kugeln auf dem Feld der Ehre haben die Entwickler die Teamzusammenstellung gestellt: Nachdem Ihr euch einige knackige Worte über die kommende Mission angetan habt unterlegt mit einigen sogar qualitativ guten Videos bekommt ihr vom Programm eine Vorauswahl aus eurem Fleisch- und Waffenarsenal präsentiert. Meist ist die Zusammenstellung von Mann und Ausrüstung vergleichsweise gut geraten, gerade in den späteren Levels empfiehlt es sich aber, selbst Hand anzulegen. Da ihr es dann nämlich vergleichsweise häufig mit Panzern und Helis als Gegnern zu tun bekommt, tut eine Abwehrrakete pro Mann Not und nicht wie in der Voreinstellung nur eine pro Einheit! Ansonsten habt ihr eine breite Auswahl aus diversen Sturmgewehren, Sniperutensilien, Maschinen- und normalen Pistolen und auch die handelsüblichen Handgranaten aus der Nahost-Einschulungstüte dürfen natürlich nicht fehlen. In manchen Missionen dürft ihr sogar wählen, wo ihr abgesetzt werden wollt: Mitten im Geschehen oder lieber etwas weiter weg, dafür aber besser geschützt. Es liegt ganz an euch und eurer bevorzugten Vorgehensweise. So, nun sind wir gut gerüstet und ein Heli oder Truppentransporter bewegt unsere virtuellen Knochen raus ins Gelände oder in den Hinterhof eines Stadtteils. Erstmal die Karte checken. Aha, in 150 Metern zwei Straßensperren, ein paar Patrouillen und da hinten hab ich die Wahl zwischen Frontalangriff durchs Tor oder Schleichweg durch die Gässchen. Auf der zoombaren Karte erkennt ihr dank Satellitenunterstützung die gesamte Umgebung, nur die Bewegungen der Gegner müssen (meist) erst von euch ausgespäht werden. Wer jetzt denkt "Für Vaterland und Sold!" und mit dem Gewehr in der Hand vorwärts stürmt, landet binnen Sekunden im blutdurchtränkten Dreck. Denn ohne Taktik läuft auch in "GRAWII" nichts. Dabei habt ihr die Wahl, ob ihr euren drei Mitstreitern auf der Übersichtskarte (sogar gestaffelt mögliche) Befehle wie Vorrücken, Deckungsfeuer oder Angriff geben wollt, oder lieber in der normalen 3D-Ansicht per Hotkey. Während Ersteres übersichtlicher ist, geht Zweites schneller und ist in der Hitze des Gefechts daher oft die bessere Wahl. Kommt es dann zum Kampf, zeigt "GRAWII" binnen Sekunden Licht und Schatten. Auf der einen Seite ist die Action klasse. Wenn ein gut ausgedachter Zangenangriff glückt, man sich im vollen Lauf hinter ein ausgebranntes Auto in Deckung schmeißt und den soundtechnisch eindrucksvollen Explosionen lauscht, rockt "GRAWII" einfach nur. Auf der anderen Seite aber lautet der große Schwachpunkt erneut wie im Vorgänger: Künstliche Intelligenz. Sowohl Gegner wie auch eigene Mannen schwanken im Sekundentakt zwischen einem gestählten Marine und einem 1,85 Meter hohen Berg Tofu. Erst nehmen sie den Gegner vorschriftsmäßig unter Feuer, schmeißen sich in Deckung und gucken vorsichtig hinter Ecken hervor. Dann wiederum bleiben sie mitten in der Schlacht einfach stehen, schreien "Bin unter Feuer!" und lassen sich genüsslich abschlachten. Wenn dann noch klare Befehle wie "Sprenge Artilleriegeschütz" schlicht ohne jeden Grund und Rückmeldung verweigert werden, ist der Biss in die Tastatur nicht allzu fern. Und auch die schönste Schlachtatmosphäre geht innerhalb eines Augenblicks in den Orkus, wenn die Gegner sich so "intelligent" verhalten, wie sie es in "GRAWII" leider allzu oft an den Tag legen. Ein Beispiel: Zwei Soldaten auf einer kleinen Brücke. Der rechte, leicht vorweglaufende Mann, wird von uns weggesnipert. Der linke sieht seinen Kollegen fallen. Wir halten die Luft an, erwarten Schreie, Funksprüche um Hilfe oder wenigstens einen schnellen Sprung in Deckung. Nichts. Er läuft einfach weiter. Ungerührt und ohne vom Tod seines Kollegen Notiz zu nehmen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: In manchen Situationen verhält sich die Gegner-KI durchaus ordentlich, aber die beschriebenen Vollidiot-Situationen treten einfach zu häufig auf, was gerade in einem auf Taktik ausgelegten Shooter ein massiver Fauxpas ist. Wenigstens einem anderen massiven Kritikpunkt des Vorgängers haben sich die Entwickler angenommen: Dem Speicherpunktsystem. Zwar speichert "GRAWII" nur an wichtigen Stellen ab, aber drei Quick-Save-Slots erleichtern Euch das Leben deutlich. Dadurch verliert man selbst an den schwierigsten Stellen also gerade in den letzten Levels nicht die Lust am Spiel. Auch an anderer Stelle sieht man, dass sich die Jungs bei GRIN Gedanken gemacht haben: Verliert ihr einen Mitstreiter durch bleihaltigen Feindkontakt, fällt dieser nur für diese Mission aus, in der nächsten ist er wieder mit von der Partie. Dank des knackigen Funkspruchs vom General, dass man ja wisse, dass keiner zurückgelassen werde, beeinträchtigt dies auch nicht die Atmosphäre. Dafür sorgen schon genügend andere Begebenheiten: Wieso kann ich in einem Taktikshooter keine einzige Tür öffnen und selbst über winzige Mäuerchen nicht drüberhopsen? Warum fühlen sich fast alle Waffen gleich an bezüglich Rückstoß, Zielgenauigkeit und Wirkung? Warum sind die Levels fast alle so angelegt, dass nur zwei Wege zum Ziel führen? Dieses Levelschlauch-Design nagt gerade bei einem Taktikshooter durchaus am Gefühl fürs Spiel. Abträglich ist aber auch, dass euch die Charaktere nicht ans Herz wachsen (können). Denn sowohl Anführer wie Mitstreiter bleiben bis auf kurze Kampf-Funksprüche und die Zielbesprechungen stumm. Eine echte Identifikation mag da nicht aufkommen und man erwischt sich durchaus bei einem kalten Achselzucken, wenn ein Mitstreiter draufgeht. Man hat sich ja noch nicht mal den Namen gemerkt von der taubstummen Seele, warum dann trauern? Bei aller berechtigter Kritik sollte aber nicht unter den Tisch fallen, dass der Einzelspielermodus von "GRAWII" seine Stärken hat: Gut geplante Angriffe sind ebenso möglich wie das Erleben einer für einen Shooter vergleichsweise guten Story und gerade in den letzten Levels einer adrenalingetränkten Atmosphäre. Auch wenn das Ende arg patriotisch rüberkommt, ist es dennoch filmreif inszeniert und weiß zu gefallen. Multiplayer oder "Ui, hübsche Lagune!" Aber der Singleplayermodus steht ja nicht für sich allein, vielmehr gelingt es dem Multiplayerpart, "GRAWII" deutlich (!) aufzuwerten: Fünf Spielmodi reichen vom klassischen Deathmatch über Eroberungsvarianten bis hin zum gemeinsamen Durchspielen der Einzelspielerherausforderungen. Acht Karten stehen am Start, die stark unterschiedlich designt sind, und gänzlich andere Vorgehensweisen fördern und fordern. Eine breite Auswahl an Waffenkombinationen für die je nach Modus zwischen drei und fünf Soldatenklassen sorgt für Abwechslung. Es gibt auch im Multiplayerpart ein paar Probleme, hier sei insbesondere das nicht so gut gelungene Balancing im Modus "RVSA" (Aufklärung gegen Angriff) genannt. In RVSA kämpft eine Spezialeinheit gegen Rebellen. Während Erstere drei Gegenstände auf der Karte zerstören müssen, sind Letztere dazu angehalten, genau das zu verhindern. An sich so schon gesehen und auch nett. Aber in der Praxis steckt hier der Teufel im Detail: Während die Spieler der Rebellenseite nach ihrem virtuellen Tod nur einige Strafsekunden bis zum Respawn warten müssen, hat jeder Spezialeinheitler genau ein Leben. Tot ist hier tot, man kann lediglich in der Helmkamera eines Kollegen huckepack reisen und Gegner für ihn markieren. Dass bei RVSA die Rebellen deutlich öfter den Sieg davontragen als ihre Gegner, liegt auf der Hand. Ein Sieg bei den nach jedem Durchgang wechselnden Rollen ist daher als Spezialeinheit-Kämpfer massiv schwerer. Die anderen Modi sind deutlich besser ausbalanciert und wissen in ihren Bann zu ziehen, gerade dank der auch vom Design her toll gestalteten Karten gerade der Lagunenlevel ist eine optische Augenweide. Nur Anfänger, die bisher kaum Shooter im Multiplayermodus gespielt haben, werden ein paar Probleme bekommen, denn die unterschiedlichen Spielarten wie "Team Deathmatch" oder "Hamburger Hill" werden kaum erklärt. Wer nicht weiß, wie es läuft, hat hier einige Runden Trial&Error vor sich. Grafik oder "Schaut gut aus, Sir!" Die Leveldesigner und Grafiker dürfen sich die größte Scheibe Lob vom Gesamtwerk abschneiden, sie haben klasse Arbeit geliefert. Die Levels erscheinen wie aus einem Guss, viele kleine, nette Details schaffen Atmosphäre und auch die in einigen Spielen stiefmütterlich behandelten Multiplayerlevels sind bedacht erschaffen und gleichzeitig toll ausschauend. Wenn in der "Lagune" das Wasser langsam an den Strand schwappt, während eine Handgranate die Gischt in die Luft spritzen lässt, bleibt die Kinnlade schon mal unten. Könnte aber auch am nicht festgezogenen Kinnriemen und der besagten Granate liegen, wer weiß das schon?! Sound oder "Und hört sich auch so an, Lt.!" Sehr ordentlich, was die Soundtechniker von "Ghost Recon Advanced Warfighter II" da abliefern. Klar, es gibt Konkurrenztitel mit mitreißenderer Musik und satteren Waffensounds, aber im Großen und Ganzen kann man der Soundabteilung einen guten Job bescheinigen. Die Musik ist passend und spielt sich nicht unnötig in den Vordergrund, die Waffen klingen unterscheidbar, und wenn eine Granatenexplosion aus dem 5.1-Soundsystem knallt, scheppern die Ohren. Dass die Synchronsprecher dabei ebenfalls einen guten Job machen und ihre Rollen glaubwürdig vertonen, ist das soundtechnische I-Tüpfelchen und trägt ebenfalls deutlich zur Atmosphäre bei. "Ghost Recon Advanced Warfighter II" macht einiges besser als sein Vorgänger. Nicht nur hat man dem Spiel endlich ein Quicksave-System spendiert, auch die Grafiker haben ihren Job noch einen Tacken besser gemacht und die "Action trifft Taktik"-Grundidee ist eh über fast jeden Zweifel erhaben. Wenn sie funktioniert. Denn zu häufig macht die künstliche "Intelligenz" von Mitstreitern und Gegnern der Atmosphäre einen Strich durch die Rechnung. Und ihre Aussetzer sind zu häufig, um einfach darüber hinwegsehen zu können. Der wirklich gelungene Multiplayermodus wertet "GRAWII" allerdings deutlich auf, die Karten und Modi sind mit Ausnahme des unbalancierten RVSA-Modus gut abgestimmt und wissen einige Zeit in ihren Bann zu ziehen. Letztlich ist der Kauf des Spiels persönliche Geschmackssache: Wer auf Taktik-Action-Shooter steht und mit aussetzender KI leben kann, darf bedenkenlos zugreifen. Wer allerdings nicht bereit ist, sich die Atmosphäre durch befehlsverweigernde KI-Kollegen und teilweise strunzdumme Gegner kaputt machen zu lassen, sollte sich den Kauf lieber zweimal überlegen. Glücklicherweise gibt es sowohl eine kostenlose Singleplayer- als auch Multiplayer-Demo zum Antesten, sodass jeder für sich ausprobieren kann, ob ihn "GRAWII" mit seinen Stärken und trotz seiner Schwächen in den Bann ziehen kann. Dem Multiplayerpart werde ich mich auf jeden Fall noch einige Zeit widmen. (27.072007)
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