Kholat

Am Berg Cholat Sjachl, dessen Name etwa so viel bedeutet wie "Berg der Toten", verschwindet im nördlichen Ural eine neunköpfige Expeditionsgruppe. Als die Vermissten einige Tage später tot und trotz Kälte nur leicht bekleidet im schneebedeckten Gebirge aufgefunden werden, weisen ihre Körper unerklärliche Verletzungen auf. Was nach einem klassischen Horrorfilmszenario klingt, ist eine wahre Begebenheit, welche der Entwickler und Publisher IMGN.PRO zum Thema seines Spiels Kholat gemacht hat. Wir haben uns für euch in die eisige Welt von Kholat begeben, um zu sehen, was sich hinter dieser unheimlichen Geschichte verbirgt.

Das Unglück am Djatlow-Pass

Das "Unglück am Djatlow-Pass" ist die gängigste Bezeichnung für die Geschehnisse, die das Spiel als Grundlage verwendet. Im Jahr 1959 verschwinden neun Ski-Wanderer am Hang des Berges Cholat Sjachl. Eine Suchmannschaft fand zunächst das im hohen Schnee aufgeschlagene Zelt der Gruppe, welches offenbar von innen aufgeschnitten wurde. In der Umgebung wurden später auch die Leichen der nur leicht bekleideten Wanderer gefunden, die barfuß aus dem Zelt geflohen waren. Obwohl die Körper keine äußerlichen Anzeichen für einen Kampf aufwiesen, hatten zwei der Toten Schädelbrüche erlitten, zwei weitere wiesen gebrochene Rippen auf, und einer Frau fehlte gar die Zunge. Angeblich konnte auch eine radioaktive Kontaminierung der Kleidung eines oder je nach Quelle auch von mehreren der Opfer festgestellt werden. Der Gebirgspass, an dem das Unglück geschah, wurde später nach dem Anführer der verunglückten Gruppe Igor Djatlow (Djatlow-Pass) benannt. Die genauen Geschehnisse und Todesumstände sind bis heute ungeklärt.

Außerirdische, das russische Militär, übernatürliche Kräfte oder außergewöhnliche Naturphänomene, es kursieren zahlreiche Theorien und Gerüchte, wer oder was für die Geschehnisse verantwortlich sein könnte. Dabei ist keine Erklärung unumstritten, so dass das Rätsel bis heute als ungelöst gilt. Und genau hier setzt Kholat an. Das Spiel schickt uns als namenlosen Protagonisten in die von Schnee bedeckte Bergwelt, um das Mysterium um das Verschwinden der Expeditionsgruppe zu lüften.

Karte und Kompass

Ohne eine Erklärung oder genauere Aufgabenstellung findet sich der Spieler an einem Bahnhof wieder, von wo aus er seine Erkundung beginnt. Und "Erkundung" ist auch der Begriff, der das Spielgeschehen am besten umschreibt. Nur mit Karte, Kompass und einer Taschenlampe bewaffnet, durchforsten wir die Berglandschaft auf der Suche nach verstreuten Dokumenten, die uns helfen sollen, die rätselhaften Geschehnisse aufzuklären. Während einige dieser Hinweise optional sind, gilt unsere Aufmerksamkeit vor allem neun Tagebucheinträgen. Deren Fundorte sind als Koordinaten auf unserer Karte angegeben, so dass wir uns mit Hilfe unseres Kompass und einiger markanter Punkte in der Landschaft in ihre Richtung orientieren können. Befindet sich ein Dokument in der Nähe, führt das Geräusch des im Wind raschelnden Papiers den Spieler an sein Ziel.

Die Informationen, die wir durch die verschiedenen Dokumente erhalten, sind teils real, teils Fiktion.

Unheimliche Wälder, Gebäude, Höhlen und Gebirgspässe gilt es zu erkunden. Fundorte von Tagebuchseiten sind besonders aufwendig inszeniert. Hier begegnen uns immer wieder geisterhafte, scheinbar glühende Wesen. Gefundene Dokumente dienen im Spiel zugleich auch als Speicherpunkte. Vereinzelte Lagerplätze können nach ihrer Entdeckung zur Schnellreise genutzt werden.

Trotz unheimlicher Atmosphäre stellen lediglich mysteriöse schattenhafte Wesen eine echte Bedrohung dar, die der Erkundung des Spielers ein jähes Ende setzen können. Bekämpft werden können sie nicht, und so bleibt dem Spieler nur die Flucht. Doch obwohl wir nur über sehr kurze Distanzen sprinten können, entkommen wir dieser Gefahr meist sehr leicht. So verlieren die seltsamen Gestalten auch schnell ihren anfänglichen Schrecken.

Was als Herausforderung für den Spieler bleibt, ist die Orientierung in der weißen Berglandschaft, mit ständigem Blick auf Karte und Kompass. Eine Hilfestellung bieten uns dabei Koordinaten, die immer wieder an Wänden aufgebracht sind und uns Auskunft über unsere derzeitige Position geben. Spielerisch bietet Kholat damit nur wenig Abwechslung.

Etwas unbefriedigend ist auch die kurze Spieldauer. Geübte Pfadfinder können in weniger als fünf Stunden alle zur Lösung des Rätsels benötigten Seiten finden.

Für ärgerliche Momente sorgt auch, dass unsere Bewegungsfreiheit einigen Einschränkungen unterliegt. Da unser Charakter nicht springen kann, können wir oft selbst kleine Hindernisse nicht überwinden, die scheinbare Wege zur Sackgasse werden lassen.  

Schön schaurig

Seine größten Stärken hat Kholat bei Grafik und Sound. Bei Ersterer setzt Kholat auf die Unreal-Engine 4 und erzielt damit ein sehr überzeugendes Ergebnis. Die wundervoll inszenierte Berglandschaft wirkt detailliert, glaubwürdig und weckt immer wieder ein Gefühl von beklommener Einsamkeit. Der unterschiedlich starke und optisch sehr gelungene Schneefall beispielsweise macht zunächst den Eindruck einer friedlichen Winterlandschaft und wird einige Meter weiter zum bedrohlichen Schneegestöber. Optisch kann der Indie-Titel insgesamt überzeugen.

Noch besser als die Grafik ist jedoch die sehr gelungene Vertonung. Fernes Wolfsgeheul, der Wind, der durch die Landschaft streicht, das Knacken im Unterholz – all das trägt zur unheimlichen Grundstimmung des Spiels bei. Abgerundet wird das Klangbild durch die sehr gelungene Hintergrundmusik, die verschiedene Stimmungsbilder nochmals unterstreicht. Ab der ersten Sekunde erzeugt das Zusammenspiel von Grafik und Sound eine sehr dichte, mal bedrohliche, mal melancholische Atmosphäre, die den Spieler auf eine emotional packende Reise schickt.

Gesprochen wird im Spiel nur selten, und wenn, dann in englischer Sprachausgabe. Ausnahme sind die für die Story des Spiels zentralen Tagebucheinträge, die vorgelesen werden, und wenige Schlüsselszenen, in denen der Schauspieler Sean Bean mit teils schon fast philosophischen Texten das Wort an uns richtet. Auch hier ist die Vertonung hervorragend gelungen.


Fazit

Kholat ist ein Spiel, das von Emotionen lebt. Für ein wenig Grusel sorgen in erster Linie die sehr gelungene Soundkulisse und einige wenige Schauplätze, die wir im Laufe des Spiels aufsuchen. In der liebevoll gestalteten Berglandschaft erfährt der Spieler zudem immer wieder ein Gefühl von bedrückender Einsamkeit.
Alles funktioniert, aber nichts fordert uns wirklich heraus. Im schlimmsten Fall irrt man durch die Welt, bis man durch Zufall auf den nächsten Hinweis stößt. Eine echte Bedrohung existiert abgesehen von relativ harmlosen Gegnern nicht.
Mit kurzer Spielzeit und wenig Herausforderung ist Kholat vor allem ein Titel für all diejenigen, die sich gerne in Ruhe der Atmosphäre und der Geschichte eines Spieles hingeben. Wer hingegen knackige Rätsel und aufregende Abenteuer sucht, wird eher eine Enttäuschung erleben. (Christian Heldmaier)


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